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In meiner Teenagerzeit musste man Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“ gelesen haben, fast so wie heute Harry Potter. Na gut, nicht ganz, aber irgendwie schon. Es war DAS Buch, ein Werk, das fast jeder mochte, hielt es doch gekonnt die Wage zwischen Gesellschaftsroman, Satire und Krimi. Für mich war es in besonders einem Punkt eine neue Welt: Die Präzision, mit der Wolfe den Pimp Roll beschrieb, jenen rollenden Gang schwarzer Gang-Mitglieder, so etwas hatte ich noch nie zuvor gelesen.

Im vergangenen Herbst ist Wolfes neuer Roman erschienen – und er wirkt wie ein „Fegefeuer der Eitelkeiten“ für das 21. Jahrhundert. Wieder geht es um Menschen im Kreuzfeuer der Medien, wieder geht es um einen Kriminalfall. Doch während die Geschichte von „Fegefeuer“ heute wirkt wie der 372. Gerichtsroman (nur eben viel besser geschrieben), ist „Back to Blood“ ein Buch, das jeder lesen sollte, der sich für Medien, für Gesellschaft – oder einfach für tolle Literatur interessiert.

Diesmal geht es nach Miami. Dort wird ein muskelbepackter Polizist mit einer waghalsigen Aktion zum Medienstar. Er freundet sich mit einem Reporter des „Miami Herald“ an, der eine spektakuläre Geschichte verfolgt: Ein russischer Oligarch schenkte der Stadt Gemälde im Wert von 70 Millionen Dollar, weshalb das örtliche Museum nun seinen Namen trägt. Nur: Die Bilder sollen gefälscht sein.

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Dieser Handlungsstrang ist nur der grobe Wegweiser für ein Panoptikum Miamis. Da sind die Exil-Kubaner, die sich unterdrückt fühlenden Schwarzen, die tatsächlich unterdrückten Puerto Ricaner, das dekadent anmutende, weiße Establishment, die neureichen Russen. Dass Wolfe die Handlung ausgerechnet hierhin verlegt, hat seinen Grund: Offensichtlich ist Miami für ihn ein Abbild des städtischen Wandels im dritten Jahrtausend. Dies ist die Zeit, in der aus Minderheiten Mehrheiten werden – so wie schon in Miami, wo Einwanderer inzwischen über 50% der Bevölkerung ausmachen.

Doch sie leben nicht
mit- sondern neben-, im schlimmeren Fall gegeneinander. Dieses Fundament legt schon die furiose Einleitung, bei der ein Streit um einen Parkplatz beim Chefredakteur des „Miami Herald“ diesen Gedankengang auslöst:

„Everybody… all of them… it’s back to blood. Religion is dying… but everybody still has to believe in something

But believing in by definition means blindly, irrationally, doesn’t it. So, my people, that leaves only our blood, the bloodlines that course through our very bodies, to unite us. ‚La Raza!‚ as the Puerto Ricans cry out. ‚The Race!“ cries the whole world. All people, all people but everywhere, have but one last thing on their minds – back to blood! All people, everywhere, you have no choice but – Back to blood!“

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So sehr sind die Bevölkerungsgruppe separiert, dass sich Wolfes Figuren gegenseitig in fremde Welten entführen, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegen: Der kubanische Polizist sieht zum ersten Mal die Art-Deco-Nostalgie, seine Ex-Freundin eine Sex-Party weißer Jugendlicher, der junge weiße Reporter das Altern der Rentner in Florida. Wer den Glauben an eine multikulturelle Gesellschaft verloren hat, wird bei Wolfe reichlich Futter finden. Ein Ort allerdings kommt gar nicht vor: das Miami der Touristen. South Beach, jene US-Version des Ballermanns, wird ausgespart. Vielleicht ist Wolfe diese Gegend zu offensichtlich als Handlungsort gewesen.

Doch da ist noch eine zweite inhaltliche Klammer, die „Back to Blood“ umgibt: der Medienwandel. Die Reporter im „Fegefeuer“ waren eine geifernde Menge, die hungrigen Chefredakteuren Schlagzeilen lieferte. In Miami dagegen führt ein alternder Chefredakteur ohne große Ambitionen den „Herald“. Er war derjenige, der den neuen Investoren, das Blatt wurde von seinen Verlegern mangels Profitabilität verkauft, am wenigsten Ärger bereiten würde – und er selbst gefiel sich in der Vorstellung, im Jahrbuch seiner alten Uni nun den Titel „Chefredakteur“ unter seinem Bild zu lesen. Ein junger Reporter aber liefert nun jene Museumsgeschichte, die ihm in die Quere kommt: Der Chef versucht die Story zu stoppen – aus Angst, es sich mit den Oberen der Stadt zu verderben.

Gleichzeitig räumt Wolfe mit dem Glauben auf, Zeitungen seien neutral in ihrer Berichterstattung. Denn längst wird der „Miami Herald“ in der kubanischen Gemeinde mit dem Prefix „Yo no creo“ versehen, der spanisch sprachige „Nuevo Herald“ dagegen schreibt den Exil-Kubanern nach dem Mund. Keines der beiden Blätter aber ist um eine neutrale Darstellung eines Geschehens bemüht.

Wie schon im „Fegefeuer“ ist keine der handelnden Personen wirklich sympathisch. Wolfe spielt mit seinen Figuren, er führt einen zynischen Tanz mit ihnen auf – zum Vergnügen des Lesers. Und all dies mit einer Sprache, wie es sie nur selten gibt – von der sich aber jeder Journalist inspirieren lassen sollte. Wie Wolfe aus Geräuschen Worte und aus rapartigen Geräusch-Wortfolgen Sätze bastelt – das ist meisterhaft.

Back to Blood erscheint am 28.1.13 auf deutsch.

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