Es sind die großartigsten Momente einer Konferenz, wenn ein Redner es schafft, einem als Zuhörer einen Gedanken ins Hirn zu pflanzen, der nicht mehr weg gehen will. Einen solchen Moment während der re-publica jüngst in Berlin lieferte Sascha Lobo.
In seiner jährlichen Rede zur Nation Überraschungsrede forderte er „neue Narrative“ in Sachen digitales Leben. Denn es kursierten so viele negative Narrative in Sachen Netz um her, häufig nur als „ultra-kurze Anekdoten… die jeder glaubt, weil sie irgendwie logisch klingen“. Und diese würden vor allem weitergetragen von den Netznichtnutzern. Diese Bevölkerungsgruppe schätzt Lobo auf 30 Millionen Deutsche und wenn es darum geht jene Idee des freien Internet zu erhalten, so müssten wir sehen, wie wir mit diesen dauerhaft klarkommen. Ich persönlich glaube, dass die Gruppe deutlich kleiner ist, dummerweise aber eine Menge Personen enthält, die in Politik, Wirtschaft und Medien einflussreiche Positionen besetzen.
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Solche negativen Narrative sind zum Beispiel „Im Netz wollen alle alles umsonst“ oder „Killerspiele machen Kinder zu Mördern“. Lobo glaubt nicht, und auch hier gebe ich ihm Recht, dass es reicht die falschen Narrative richtigzustellen. Stattdessen brauchen wir neue Narrative. Und diese müssen, so fürchte ich im Gegensatz zu Sascha, eine höhere Flugbahn nehmen als die derzeit kursierenden Erzählungen. Die neuen Narrative brauchen verstärkt die Untermauerung durch Studien und die Wissenschaft. Denn es sind eben wir, die diese neuen Narrative erzählen, wir die wir sowieso die Irren im Netz sind und deshalb nicht neutral. Das ist zwar Unsinn, denn die Freunde von Kampfbegriffen wie „Gratiskultur“ oder „Geistiges Eigentum“ sind ebenso unneutral wie wir – nur ist es eben bequemer, auf das Alte zu setzen, denn die Welt der Geistigeigentümler ist die bequemere, wenn man nicht von neuen Freiheiten begeistert ist. Neue Freiheiten sind eben auch immer anstrengend.
Aus diesem Grund also will ich versuchen in den kommenden Monaten häufiger solche Neuen Narrative aufzugreifen und hier im Blog zu erzählen (Hinweise sind natürlich gern gesehen). Und wenn das erträglich genug ist und Sie, die Leser, das nicht ganz doof finden – dann wird darauf vielleicht ein Vortrag bei der re-publica 2013.
Kommentare
Tim 15. Mai 2012 um 16:21
Zunächst einmal brauchen wir vernünftige Begriffe und nicht Wortquark wie „Narrative“.
FK 15. Mai 2012 um 16:28
Das Wort „Narrativ“ ist seit Jahrzehnten üblich, im englischen als „Narrative“ sehr ähnlich und zudem auch in sachen Herleitung treffend. Wozu ändern?
JK 15. Mai 2012 um 20:24
Narrativ passt wunderbar. Problem: Studien und Wissenschaft kommen nicht gegen vermeintlichen „common sense“ (bzw. den persönlichen Satz von Vorurteilen) an, wenn sie ihm widersprechen. Nicht nur bei Oma Hertha, auch in der Politik und den Medien werden Erkenntnisse, ja, reine Tatsachen, die nicht dem Gewünschten entsprechen, einfach ignoriert. Aktuelles Beispiel ist die giftige Publikumsbeschimpfung http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/urheberrechtsdebatte-finger-weg-von-den-buechern-11751277.html – Piraten forden angeblich Urheberrechtsabschaffung und im Netz gibts kein Qualitätsbewusstsein, sondern nur ekligen Brei, was mit fünf Minuten Suchaufwand zu widerlegen wäre. Als einprägsamste Erinnerung ist mir jedoch die Reaktion der bayerischen Familienministering Haderthauer auf eine Studie der Uni Bamberg im Jahr 2009 geblieben. Die Studie hat 6600 „Regenbogenfamilien“ untersucht und festgestellt, dass es Kindern homosexueller Paare nicht besser oder schlechter geht als Kindern heterosexueller Paare. Mit dieser Erkenntnis konfrontiert lautete die CSU-Antwort: „Die Einschätzung des Gesetzgebers, wonach Ehepaarfamilien am besten solche optimalen Bedingungen gewährleisten können, halte ich nach wie vor im Sinne des Kindeswohls für angemessen und richtig.“ – Mit anderen Worten: Verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen, meine Meinung steht fest.
Jetzt habe ich weiter ausgeholt, als ich es wollte – kurzum: Wissenschaftliche Erkenntnisse sind richtig und wichtig, Narrative leben aber von „truthiness“ – also von dem Maß, in dem sie auf den ersten Blick der eigenen Lebenswelt entsprechen. Und dass man da bei internetabstinenten Menschen Ergebnisse erzielen kann, ist für mich sehr fraglich. Leider…
Dave Waver 15. Mai 2012 um 20:58
Nichts für ungut…wenn wir mehr Menschen erreichen wollen, dann sollten wir auch deren Sprache sprechen. Ansonsten mag es schick sein, auf irgendeiner re:publica über Narrative zu reden und dort werden es sicher auch alle verstehen. Wenn ich Herrn Knüwer jedoch richtig verstanden habe, geht es ihm um genau diese Leute nicht.
teekay 16. Mai 2012 um 9:14
Das klingt spannend. Ein Problem bei dem Narrativen Ansatz ist natürlich, dass er fast automatisch Gefahr läuft ‚langweilig‘ zu erscheinen. ‚Killerspiele sind komplexer‘, ‚Die Fankultur im Fußball ist vielschichtig‘, ‚Es gibt keine einfachen Lösungen für das Urheberrecht/den Nahostkonflikt/ die Strategie der Piratenpartei‘. Das wollen aber oft nur Leute hören, die das sowieso schon wissen. Wie kann man eine Neue Narrative einführen ohne gleich ‚beweisen‘ zu wollen, wie sich die Welt total verändern wird? Was nützt das nach längerer Mainstream-Dauerbeschallung…wir haben ja gestern z.B. gesehen, dass der Fußball offenbar vor dem Abgrund steht…schön, dass heute bei Rivva eine andere Narrative gezeigt wird, aber was nützt das (noch) bei entsprechender Boulevard-Berichterstattung?
Konzeptioneller Unterschied 16. Mai 2012 um 15:38
Viele moderne Legenden sind ja falsch. Denen muss man auch die Wahrheit entgegensetzen. Dank Abmahnungen also woanders.
Folgendes ist alles falsch:
– Spinat und Eisen
– Ethernet und 50%
– Kein GPS in Saudi-Arabien
– Google-News-Narrative. Da verwechseln die Leute Google-Websuche mit Google-news und wissen auch nicht, das Leistungsrecht-Behandlung durch Google seit Belgien vor 1-3 Jahren längst gegessen ist.
…
Das Böse wird seine Lügen immer wieder verbreiten. Daher muss man im aktiv die Wahrheit entgegen setzen. Dadurch verliert man aber Zeit wenn es keine effizienteren Methoden als bisher gibt. In abmahnfreien Ländern würde ich ein Firefox-Wahrheits-Plugin schreiben wo man z.b. Hinweise wie „Achtung Abofalle“ oder „CO2-Bilanz schlecht siehe hier (link)“ „Alternatives Produkt hier (link)“ hinterlegen und bevoten könnte. Gleiches natürlich für Forendiskussionen. Die awareness über wahrere Dinge könnte steigern und der Widerstand in Diskussionen somit auch. Wer gegen Amazon postet, kriegt einen Gegenwind zufriedener Kunden zu hören. Bei Firmen wie M$, Paypal, Skype, Ebay usw. ist dem eher nicht so. Und das sind im Gegenatz zu manchen anderen Themen keine „Amazon-Fanbois/Trolle“ oder Pay-Poster.
Von daher sind die Gegen-Narrative vielleicht auch ein Weg, um Wahrheit besser zu verkünden. In abmahnfreien Ländern mit Meinungsfreiheit hätte ich längst ein Wiki für sowas. Weil man ständig (siehe Spinat oder Ethernet oder „Killerspiele“) von Desinformationen oder unklaren (Pseudo)Wahrheiten („Schokolade macht schlank“ „Schokolade bringt Glücksgefühle“ …) umgeben ist welche bestenfalls mal Galileo auf Pro7 aufdeckt. Oder ÖR (z.b. das Thema Killerspieler und Schützenvereine) aber die Sendungen werden ja nur kurzzeitig angeboten.
Nur das Narrativ bringt es nicht. Man könnte sie numerieren. Aber auf jeden Fall sollte man sie bei Google finden. Und es wäre nett, wenn man sähe, das es ein Narrativ ist und man es inclusive Referenzen auf Belege (auch welche die man nicht gut findet aber alle Seiten müssen dokumentiert werden) problemlos wie eine ISBN-Nummer, URL oder Telefonnummer ständig ergänzt (und nicht mit einem lamen Changelog sondern natürlich mit Datumsangabe an der Liste und nach Datum sortierbar) finden würde. Wegen „mangelnder Relevanz“ ist wikipedia wohl ungeeignet.
Man muss die Überwindungshürden minimieren. Dann kriegen mehr mit, was bei den Piraten im (verlinkten) Grundlagenprogramm zu Copyright steht und wer sich die Mühe gemacht hat, übt vielleicht auch Gegenwind in Diskussionen aus. Wenn man natürlich Norwegische Universitätsdokumente übersetzen muss um die Spinat-Lüge aufzudecken, ist das wohl zu aufwendig. Man sollte also schlau sein und es (korrekter als der Gegner !!!!) klar dokumentieren, argumentieren und belegen und das immer wieder überarbeiten wenn sich die Gelegenheit bietet.
Ich würde ja lieber ein Diskussionswiki für Argumentations“Ketten“ aufsetzen wo man graphisch die Argumente, Gegenargumente und (angeblichen) Belege wie in einer (interaktiven, Apps-Fähigen) Mindmap sieht, aber na gut.
Aber nur die Narrative halte ich für zu wenig für die Argumentation gegen Schaumschläger. Es gibt zillionen Ipad-Rentner die man überzeugen sollte und könnte, wenn man sich schlau genug anstellt. Ein Anti-Narrativ wirkt vielleicht am besten, wenn man mitkriegt, das man ewig schon belogen wurde. Z.B. die Spinat-Lüge: „Spinat hat zehnfach Eisen“: Ein Kommafehler der Sekretärin den die Universität inzwischen seit 100 Jahren bekämpft.
Vielleicht sollte man crowdsourced Narrative sammeln und „aufbauen“.
„BWLer fahren BMW. Programmierer fahren Fahrrad, Bus oder Fiat500. Wo ist der Fachkräftemangel ?“ ist kein Narrativ, aber irgendwer kann vielleicht eines draus generieren.
Wie will man bessere Wirkung erzielen als bei „Kapitalismus ist besser als Sozialismus“ oder „Sozialismus ist besser als Kapitalismus“ ? Oder sollen das nur neue „Internet-Religions-Thesen“ für die eigene Zielgruppe werden die man sich dann auf T-Shirts drucken kann ? Wo ist der konzeptionelle Unterschied zu den Lügen oder Populismus-Parolen der Gegner ?
Bei Diskussionen sollte der Wind in die richtige Richtung gedreht werden. Und ob kurze Parolen sinnvoll sind oder nur Anpassung an die Argumentations-Techniken der Gegner, weiss ich nicht.
FK 16. Mai 2012 um 16:10
@Dave Waver: Es geht ja nicht darum den leuten zu erklären was ein narrativ ist, sondern den leuten neue narrative ins ohr und den kopf zu pflanzen. das wort narrativ fällt dabei doch gar nicht.
Dave Waver 17. Mai 2012 um 14:40
@FK: Dann bin ich beruhigt 😉
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