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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jede Woche, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Zu den größten, unerfüllten Hoffnungen der bunten, wilden Dotcom-Jahre zählt die Umkehr von Marktverhältnissen durch B2B-Handelsplattformen. In etlichen Industrien wurde davon gesprochen, dass ein transparenterer und schnellerer Markt eine bisher unterlegene Seite stärker machen oder eine bisher überlegene noch besser stellen könnte. Ja, das widerspricht sich, doch die alleinige Tatsache, dass im Handel zwischen Unternehmen digitale Marktplätze errichtet werden konnten, sorgte für eine gewisse Goldgräberstimmung.

Viele dieser Träume haben sich nicht erfüllt. Es gab zu viele dieser Marktplätze, eine große Zahl von ihnen wurde betriebswirtschaftliche nicht seriös betrieben und außerdem hakte es oft im Vertrieb: strukturkonservative Unternehmen begegneten der neuen Technik mit Skepsis.

Eine der ungewöhnlichsten Handelsplattformen entstand damals auf Schweine.net: Dort handelten Schweinezüchter und Schlachtbetriebe grunzendes Vieh, Freitags um 14 Uhr passierte dies in einer Auktion, an der heute die Beschreibung „realtime“ hinge. Dies hätte die herrschende Schweine-Ökonomie aushebeln können: Denn die Preisfindung war höchst intransparent, noch dazu hatten sich viele Landwirte vertraglich an bestimmte Genossenschaften gebunden. Die Schweinebörse sollte das ändern. Was aus ihr geworden ist? Detlef Breuer, der damalige Geschäftsführer des Auktions-Veranstalters ISN (Interessengemeinschaft der Schweinehalter) verließ diesen 2010 – die Börse selbst scheint nicht mehr zu existieren. Zumindest existiert sie noch (danke für den Leserhinweis an Alexander S.).

Jene Netzwert-Titelgeschichte vom 8.4.02 war zugleich der Auftakt einer Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle. Die berichtete in ihrer TV-Sendung „Made in Germany“ über E-Business-Themen eine Zeit lang in Kooperation mit dem „Handelsblatt“. Für das Netzwert-Team war das eine Entlastung: Denn die DW-Autoren lieferten eben auch Texte für’s Gedruckte – und die waren oft richtig gut. Ganz nebenbei senkte das natürlich auch die Redaktionskosten.

Noch so eine Idee, die in Deutschland nie recht Fuß fasste: Online-Streitschlichtung. In den USA mit ihren vielen Rechtsstreitigkeiten und teuren Prozessen war die Idee des E-Judges entstanden: Plattformen warben pensionierte Richter und Staatsanwälte an, streitende Bürger akzeptierten diese als Ombudsleute und zahlten 50 bis 150 Dollar, der Richterspruch wurde nach digitaler Anhörung per E-Mail zugestellt. In Deutschland startete solch ein Dienst im Juli 2001 unter dem Namen „Just Fair“, das Bundeswirtschaftsministerium spendierte eine Förderung von 1,4 Mill. Euro – zusätzlich zur Angel-Finanzierungsrunde. Heute verweist die Homepage nur noch auf den zuständigen Liquidator.

Überlebt hat dagegen Keynote Systems. Die Kalifornier sind aber auch eine Demonstration, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Denn über ihr damaliges Angebot würden viele heute schmunzeln: Keynote überwachte die Leistungsstärke von Web-Seiten. Schwächelt die eines Kunden unter der Last der Anfragen, wurde ihm 2002 noch eine SMS oder eine E-Mail zugestellt. Dabei war Keynote einer der wenigen Anbieter zu jener Zeit, die jene Leistungsmessung von außen vornahmen und somit das tatsächliche Erlebnis der Nutzer überwachten.

Doch auch Keynote wackelte: 1999 war die Firma an die Börse gegangen, der Kurs war am Erstverkaufstag von 10 auf 27 und später auf 163,75 Dollar geschossen. Im April 2002 lag er dann bei 9,30 Dollar – und dem Unternehmen gingen die Bar-Reserven aus. Doch Keynote hat überlebt. Der Kurs liegt heute bei knapp über 15 Dollar, eine Dividende wird gezahlt, 4 von 5 Analysten empfehlen den Kauf. Es ist eine jener stillen Survival-Geschichten der Dotcom-Zeit.


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