In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jede Woche, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Es war ein kleiner Einblick in die Postenvergabe der Europäischen Union, die Erkki Liikanen, damals EU-Kommissar für Unternehmen und Informationsgesellschaft, in der Netzwert-Ausgabe vom 22.4.02 gab. Im Arbeitsplatz-Fragebogen, dem Abschluss jedes Netzwert, antwortete er auf die Frage, wer ihm die ersten Schritte im Netz erklärt habe: „Das habe ich durch die Presse erfahren. Und durch meine Sekretärin, die sich in Sachen Internet gut auskennt.“ Was zu lesen ist als: „Ich nicht“. Mangelndes Wissen hat in der Politik noch nie daran gehindert, einen Posten zu erhalten. Heute, übrigens, ist Liikanen der Präsident der finnischen Landesbank.
Um andere Kompetenzfragen ging es in der Titelgeschichte an jenem Tag vor 10 Jahren. Denn damals kam es noch häufiger als heute zu Patzern bei dienstlichen E-Mails. So schrieb der Vorstand eines Chemieunternehmens in Baden-Württemberg einem Bewerber: „Dies können wir ihnen anbieten: 90.000 Euro Jahresgehalt plus Dienstwagen.“ Der Bewerber schlug ein – und erhielt somit, im Personalrecht gelten mündliche wie schriftliche Zusagen, einen Arbeitsvertrag ohne Probezeit, ohne feste Urlaubsregelung – und ohne Kündigungsfrist. Einige Wochen später wollte jener Vorstand das Angebot zurückziehen – man landete vor Gericht. Ergebnis: 15.000 Euro Abfindung plus Anwalts- und Gerichtskosten.
Gerade in der internen Kommunikation musste mancher damals lernen, dass die scheinbar so leicht hingetippten E-Mails eben doch auch bindende Wirkung haben können. Damit ist die Situation vergleichbar mit Social Media heute: Auch in diesem digitalen Feld schreibt mancher Dinge, die er besser nochmal überdacht hätte – weshalb Unternehmen Social Media Guidelines entwerfen.
Und E-Mail-Guidlines? Wären auch heute keine dumme Idee. Einerseits wegen unbedachter Äußerungen, auch wenn die selten geworden sind. Andererseits ließe sich so aber auch regeln wann wer wen CC setzt – vor allem Großkonzerne könnten der Mail-Flut so Herr werden und das Arbeitsleben von Vorgesetzten erleichtern. Doch die wenigsten Firmen machen sich darüber Gedanken. Dabei gab es 2002 sogar erste Schritte, wie Netzwert schrieb:
„Eine rühmliche Ausnahme ist die Neckarwerke Stuttgart AG. Ihr Personalchef, Walter Böhmerle, hat in seinem Unternehmen im vergangenen Jahr für eine eigene Betriebsvereinbarung gesorgt. ,Unsere Mitarbeiter wissen, dass auch E-Mails rechtsverbindlich sind und verhalten sich entsprechend vorsichtig.‘ Für seine Leute im Einkauf veranlasste der Personaler zudem Schulungen durch Juristen: ,Damit sie nicht aus Versehen Angebote abgeben oder Kaufverträge schließen.‘
Die Vereinbarung der Neckerwerke regelt noch mehr: Wer etwa in Urlaub geht, muss für seine eingehende elektronische Post eine Vertretungsregel treffen… Kollegen, die die Attitüde entwickeln, nach dem Urlaub hunderte elektronischer Briefe kurzerhand zu löschen statt abzuarbeiten, findet er ,kühn‘: ,So ein Verhalten kann eine Abmahnung wert sein.'“
Nicht lachen: Diese Massenlöschungen waren damals nicht gerade selten.
Wenn heute Wirtschaftsmedien über die Krise von AOL schreiben, so muss man sich vor Augen halten, wie lange diese schon andauert. Schon vor 10 Jahren sollte Robert „Bob“ Pittmann als COO von AOL Time Warner und CEO von AOL den Karren aus dem Dreck ziehen. 2002 dauerte der Kater der Megafusion aus alter Welt (Time Warner) und neuer (AOL) weiter an. Der Zugangsdienst begann den Trend zum Breitbandzugang zu verpassen, schon damals sanken die Neukundenzahlen. Die Börse taxierte den alleinigen Wert von AOL bereits bei Null.
AOL, das muss man den Jüngeren ja immer erzählen, war so etwas wie der sichere Hafen im Netz. Das erste, was der Kunde sah, wenn er online ging, war die hauseigene Plattform. Und die war so reichhaltig, dass mancher sie gar nicht mehr verließ und glaubte, dies sei das World Wide Web – ähnlich wie es manchen heute mit Facebook ergeht. Das bot eine Zeit lang durchaus auch Mehrwert. Doch je versierter die Kunden wurden, desto mehr befreiten sie sich vom geschlossenen AOL-Bereich. Es setzt ein Fall ein, der bis heute praktisch nicht gestoppt werden konnte.
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