In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Schon wieder Cebit. Also, genauer Vor-Cebit-Zeit. Es war ein großes Aufseufzen in der Netzwert-Redaktion, denn jeder im Team wusste: Die richtig schönen Zeiten in Hannover waren vorbei. Die Partys waren nicht mehr so wild, Trends gab es kaum noch, Überraschungen waren selten geworden. Und der Vorbericht auf die Cebit 2002 war in jener Ausgabe am 4.2. entsprechend gedämpft: Eine Umfrage unter 310 E-Business-Entscheidern ergab, dass immerhin 43,9% die Messe für unverzichtbar hielten und 60% wirtschaftliche Impulse erwarteten – doch kaum jemand rechnete mit spannenden Innovationen. Klaus Elix, der Chef der Unternehmensberatung AMS sagte es deutlich: „Das einzig Neue auf der Cebit – es gibt nichts Neues.“ Der schleichende Niedergang der einst größten IT-Messe der Welt ging weiter. Und er sollte auch nicht mehr wirklich aufhören.
Trotdem gab es in der digitalen Welt aber Menschen und Institutionen mit hochfliegenden Plänen. George W. Bush, zum Beispiel, kündigte eine Cybersecurity-Strategie an. Und der „Spiegel“ eine für Paid Content. Damit war er nicht allein, auch „Bild“ und „Playboy“ versprachen künftig Geld für ihre Online-Angebote zu verlangen. Netzwert schrieb:
„Spiegel-Net-Vorstand Thomas Göbler kündigte im Fachblatt ,Kontakter‘ an, für Teile des Spiegel-Online-Archivs ab dem Frühjahr Geld zu verlangen. Noch in diesem Jahr ist ein echtes Abonnement für die Inhalte des Internet-Spiegel geplant. Kostenpflichtige Inhalte sollen darüber hinaus auch bei der „Süddeutschen Zeitung“ kein Tabu mehr sein. Erste Überlegungen – die voraussichtlich im dritten oder vierten Quartal dieses Jahres greifen werden – sehen for, dass das Printprodukt „Süddeutsche“ kostenpflichtig als PDF-Format zum Herunterladen angeboten wird.“
Wenn heute also Verlagsmanager vom „Geburtsfehler“ des Web reden und damit kostenfreie Nachrichtenangebote meinen, so ist das Blödsinn. Es gab mehrere Versuche in diese Richtung – nur scheiterten sie eben. Es gab nicht jenen Moment, da Verlage ihre Leser zu freien Inhalten „erzogen“. Im Gegenteil: Sie versuchten es ja – scheiterten aber. Und wenn heute Verlage versuchen, die PDF-Versionen ihrer Blätter auf dem iPad zu verkaufen, so sind sie letztlich seit dem Jahr 2002 keinen Schritt weiter gekommen. Und langfristig werden solche Arten von iPad-Inhalten so erfolgreich werden, wie der PDF-Verkauf der „Süddeutschen“. Also gar nicht.
Große Pläne hegte auch Frankreich. Eigentlich hegt Frankreich in Sachen digitale Technologie immer große Pläne – meist jedoch werden sie nicht umgesetzt. 2002 regierte gerade Lionel Jospin und er plante bis 2005 den digitalen Bürgerkontakt für alle unter „Mon Service Public“. Die Seite gibt es – ob sie tatsächlich aber jedwede bürokratische Kommunikation übernimmt, kann ich nicht sagen. Doch war überall in der Politik eben die Nachwirkung der New-Economy-Euphorie zu bemerken. Die Politik hatte ein wenig gebraucht, bis sie sich des Themas angenommen hatte. Dann wurden Projekte angegangen und 2002 waren sie in der Umsetzung – um spätestens 2003 wieder abgestellt zu werden.
Eines, dass es immer noch gibt, immerhin, entstand dabei in Aachen. In der Innenstadt sollte das erste frei zugängliche WLan-Netz der Welt funken. Eine erste Sendestation war nicht das Problem, eine zweite schon: Der Inhaber des Ladens unter der Antenne hatte Angst vor Strahlung. Auch ansonsten rissen sich Hauseigentümer nicht gerade um die Antennen. Laut Netaachen aber soll es das Netz immer noch geben. Auch wenn der Praxistest von Netzwert damals ernüchternd verlief: Vom Wirtshaus aus, in dem Autor Christoph Lixenfeld saß, gab es keinen Empfang – ein LKW mit Alu-Aufbau hatte sich zwischen das Lokal und die WLan-Antenne geschoben.
Kommentare
Mirko Müller 21. Februar 2012 um 15:37
Sehr interessant so ein Rückblick. Und schön geschrieben. Das erinnert mich an die Diskussionen „damals“ in der Kostenlos.de-Redaktion. Kostenlos.de startete 1996 – und so um das Jahr 2002 propagierten alle „Experten“, dass die Kostenlos-Kultur im Netz jetzt aber vorbei sei, und damit auch die Webseite. Kostenloses und Kostenlos.de gibt es heute noch – und das ist gut so.
Aachener 23. Februar 2012 um 23:21
Es ist wahr dass es in Aachen öffentliches WLan gibt. Außer der Seite der RWTH, der FH und Wikipedia kostet das jedoch Geld. Und zwar unverschämt viel. Ich weiß nicht wie viel, aber unverschämt.
Unwiderfragte Lemminge 8. Juli 2014 um 17:13
[…] einen haben Verlage ja genau das versucht und sind gescheitert, nachzulesen auch hier. Wichtiger aber: Ein solches Vorgehen hätte ihnen erheblich schneller wirtschaftliche Probleme […]