In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Die Waffe des Redakteurs ist die Sprach in Gestalt seiner Texte. Gerade in schlechten Zeiten verstecken Redaktionen dann gern die eigene, traurige Stimmung in der Auswahl der Themen und deren Ausarbeitung. Der gemeine Leser merkt dies nicht wirklich, Berufsstandskollegen dagegen schon. Dieses, gegenüber der Produtkqualität natürlich eigentlich nicht gutzuheißende Vorgehen ist irgendwie menschlich.
Auch bei der Redaktion von Netzwert griff es um sich mit Beginn des Jahres 2002. Drei Wochen lang war die E-Business-Beilage nicht erschienen. Neben den Feiertagen lag dies, so ich mich recht erinnere, an einer Geschenkbeilage – aber mein Gedächtnis kann mich auch täuschen.
Aus den einst 12 Seiten und mehr waren regelmäßig 6 geworden, das Papier war schlechter, es war deutlich weniger Geld für Reisen, Fotos und Texte vorhanden, so dass die Bilder oft verwaschen wirkten und die Nachbearbeitung von Artikeln mehr Zeit in Anspruch nahm. Na ja, und die Stimmung war redaktionsweit ohnehin düster. So war diese erste Geschichte im Jahr, am 7.1.02, durchaus programmatisch zu sehen.
„Abschied von Visionen“ stand drüber und diese Überschrift war auch als ernüchternder Kommentar der Redaktion zu verstehen – was natürlich niemand merkte.
Tatsächlich ging es auch um etwas anderes als Verlagskostenkürzungsrunden: „Deutschlands E-Business-Entscheider denken um: Statt gewaltiger Zukunftspläne machen sie nun kleinere Schritte.“ Das ergab die monatliche Befragung eines IT-Manager-Pools durch die Meinungsforscher von Dialego. Überraschen konnte das Ergebnis natürlich nicht wirklich: Alle Welt sparte, der 11. September hatte die Welt in die Krise gestürzt, größere IT-Projekte wurden auf die Warteliste geschoben.
Das hatte auch Unsicherheits-Gründe. Denn DSL-Leitungen verbreiteten sich einerseits rasant (17% der Deutschen hatten schon eine, 22% kündigten an, sich 2002 eine zuzulegen), andererseits war UMTS das heiße Stichwort der Zeit. Die schnelle Mobilfunktechnik hatte sich jedoch nicht so schnell verbreitet, wie erwartet. Absehbar war auch, dass die Zahl der Anbieter sinken würde – sowohl im Mobilfunk- wie im Festnetzbereich. Und was das für den Markt bedeutete, war noch nicht absehbar.
Unsicher war auch die Zukunft vieler Startups. Und so war es immer schwerer für das Netzwert-Team, jemand für die Portrait-Seite „Schrittmacher“ zu finden. Denn welches Startups sagte noch die Wahrheit? Welches könnte nicht nächste Woche schon verbrannt sein?
Eine sichere Bank schien da schon Kai Müller-Kästner zu sein.
34 war er und E-Business-Chef der IT-Beratung CSC Ploenzke. Denn sein Arbeitgeber hatte zwar die Planzahlen leicht verfehlt – aber die sahen ein sportliches Umsatzplus von 13 Prozent auf 810 Mill. Euro vor. Und wer in jener Zeit überhaupt wuchs ohne derbe in die Miesen zu geraten war schon so etwas wie ein Star.
Müller-Kästner hatte fünf Jahre zuvor einen Artikel für das Handelsblatt geschrieben, der ein ganz klein wenig visionär war. Seine These damals: „Das Internet hat in Unternehmen noch eine große Zukunft.“ Dies war für das Jahr 1996 eine bemerkenswerte Äußerung. Ein Jahr später prophezeite er dies beim Vorstellungsgespräch im Hause Ploenzke. Dort fiel er nicht nur durch sein junges Alter auf, sondern auch durch eine oft braun gebrannte Haut dank des Hobbys Wellenreiten. Zweifel am Web hegte er trotz der Krise jedenfalls nicht: „Das Geschäft ist nicht tot, nur weil der Hype fehlt.“
Es war ein wahrer Satz – den doch so mancher im Jahr 2002 nicht glauben mochte.
Ebenso konnten sich wohl nur wenige vorstellen, dass Deutschland einmal ein potenzieller Standort für Videospiel-Unternehmen sein könnte. Im Jahr 2002 liefen die ersten Ausbildungsgänge für Spiel-Designer, zum Beispiel am Institut für Simulation und Grafik der Uni Magdeburg oder an der Universität Ulm. Private Einrichtungen wie die Games Academy in Berlin schulten ebenfalls potenzielle Game-Produzenten. Heute ist Deutschland zumindest im Bereich der Social Games vorne mit dabei – vielleicht ist das ja ein wenig die späte Frucht jener Zeit.
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