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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Durch das Projekt Wiredkann es allerdings zu Verzögerungen kommen. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Wir hatten Glück, so zynisch das auch klingt. Denn Netzwert erschien immer Montags – der Anschlag vom 11. September aber fiel auf einen Dienstag. Wie hätte man, sagen wir, zwei oder drei Tage nach 9/11 acht Seiten mit E-Business-Themen füllen sollen? Alles andere erschien absolut unwichtig. Rund eine Woche nach jenem Tag aber war es langsam wieder hinnehmbar, zur Normalität überzugehen.

Diese fand mit einer aus heutigen Sicht vielleicht zu knalligen Explosionsoptik auf der Seite 1 von Netzwert statt. Denn jener 11. September rückte auch das Thema IT-Sicherheit in den Mittelpunkt. Vielleicht hätte Morgan Stanley von einem Tag auf den nächsten nicht mehr existiert: 50 der 100 Stockwerke im Südturm des World Trade Centers hatte die Investmentbank gemietet. Vielleicht hätte das einige Jahre zuvor schon das Aus bedeutet. Doch MS hatte seine Datensicherung aus Manhattan heraus verlagert.

In Deutschland machte sich so mancher seine Gedanken. Denn aus Sicht von Experten hatten sich die meisten Unternehmen hier zu Lande nicht ausreichend abgesichert: „Die deutsche Wirtschaft hat bei weitem keinen ausreichenden Schutz“, sagte zum Beispiel der Bonner Sicherheitsberater Rainer von zur Mühlen.

Dabei ging es ja nicht einmal um Terror. So wäre der emsländische Klimatechnik-Hersteller Erwin Müller-Gruppe lahm gelegt worden, als auslaufendes Öl ein Feuer entfachte. Doch hatte das Unternehmen einen Business-Continuity-Plan – ein Schwirrwort, das nach 9/11 erheblich häufiger zu hören war.

Kommen wir zu netteren Themen. Zum Beispiel dem Landesbeauftragten für Datenschutz in Schleswig-Holstein.

Nein, nicht dem für PR-Effekte alles Tuende Thilo Weichert mit seinem unsäglichen, angeblich unabhängigen Datenschutzzentrum. Im Jahr 2001 hieß jener Beauftragte noch Helmut Bäumler. Der wollte eine neue Stoßrichtung vorgeben: Statt ständig nur über scheinbar nicht genug datenschützende Unternehmen zu giften plante das Land lobende Gütesiegel einzuführen. So berichtete es Netzwertler Burkhard Ewert in der Kolumne „E-Mail aus Kiel“.

Bemerkenswert: Damals gab es gegen die Hau-Drauf-Sprüche der Datenschützer anscheinend mehr Widerstand von Unternehmensseite als ich ihn heute wahrnehme. Denn so berichtete es Ewert damals von einer Unternehmer-Tagung in Kiel. Und er schrieb:

„Erzählt wurde am Rande der Tagung denn auch ein schöner Spruch, der den Übereifer einiger Datenschützer in Sachen Internet-Handel bloßstellt: ,Wenn sie in einen Supermarkt gehen, ziehen sie doch auch keine Strumpfmaske über, damit sie niemand erkennt.'“


Zu den traurigen Absurditäten jener Tage zählte auch die Übernahme von Traditionsunternehmen durch digitale Aufsteiger. Beispiel: Der Online-Bilderdienst Pixelnet übernahm im Frühjahr 2001 die einst angeblich größte Fotohaus der Welt, Photo Porst.

Immerhin: Porst war günstig zu haben. Nur hatte das auch seinen Grund: Die Ladenkette schrieb tiefrote Zahlen. So konnte tatsächlich – bezuschusst durch das Land Sachsen-Anhalt – das 36-Mann-Startup Pixelnet mit seinem Chef Matthias Sawatzky die Porst-Gruppe mit 4500 Mitarbeitern schlucken. Geld immerhin hatte Pixelnet: Die AG war natürlich am Neuen Markt notiert. Dahinter steckte die Idee des Clicks & Mortar: Ein digitales Unternehmen schafft sich physische Präsenzen.

Doch wie es endete war aus heutiger Sicht absehbar: 2002 meldete Sawatzky Insolvenz an. Auch, weil es hinter den Kulissen den Vorwurf des Umsatzsteuerbetrugs gegen eine Gesellschaft gab, die Sawatzky verkauft hatte, die zuvor aber Anteilseigner bei Pixelnet geworden war. 2003 wurde Sawatzky wegen Steuerhinterziehung verurteilt.

Die Namensrechte an Porst übernahm die Ringfoto-Gruppe, das Bildgeschäft geht an Kodak. Und heute kämpft nun Kodak ums Überleben…

Und noch so ein längst vergessener Name: Vivazzi. Unter diesem Namen wollten Vodafone und Vivendi eine Antwort auf AOL geben (allein, dass eine Antwort auf AOL gefunden werden musste, erscheint heute ja schon kaum zu glauben), eine Seite erschaffen, die es mit Yahoo und MSN aufnehmen würde. Vivazzi sollte ein Portal für das mobile Internet sein. Im Mai 2000 waren die hoch fliegenden Pläne verkündet worden, 1,6 Milliarden Euro pumpten die Beteiligten in die Firma.

15 Monate später war Vivazzi krachend gescheitert: So kam die britische Seite auf rund 103.000 Besucher im Monat und lag auf Rang 432 der meist frequentierten Seiten des Königreichs. Zum Vergleich: Yahoo belegte mit 4,4 Millionen Besuchern Platz zwei.

So war das in jenem September 2001: Jeder kam auf seine Art in der Realität an.


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