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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Durch das Projekt Wiredkann es allerdings zu Verzögerungen kommen. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Meine Kollegin Simone Wermelskirchen leistete Abbitte. Öffentlich. Gegenüber ihrem Marketing-Professor. Der nämlich hatte gepredigt: „Im Marketing analysieren sie immer zuerst die Wünsche ihrer Kunden. Sonst werden sie besser Staubsaugervertreter.“ Und das, berichtete Wermelskirchen in Netzwert vom 27.8.2001 in der Kolumne „E-Mail aus Düsseldorf“, habe die Studentenschar gelangweilt aus dem Fenster sehen lassen.

Doch nun besuchte sie die Online-Marketing Düsseldorf, die viele Jahre später zur Dmexco mutieren sollte. Sie konnte nicht ahnen, dass sie die Vorboten einer neuen Zeit beobachtete. Damals erschien es noch als logische Evolution, dass Unternehmen Kunden im Rahmen digitaler Werbung nicht blind zuballern sollten mit blinkenden Bannern und E-Mails. Die amerikanische Fachbuchautorin Kim MacPherson zitiert sie mit einem Satz, der auch aus der Zeit des Social Web stammen könnte: „Erlaubnismarketing setzt voraus, dass die Bedürfnisse der Kunden ernst genommen und sie gefragt werden, bevor Werbepost in ihrem elektronischen Briefkasten landet.“

Zehn Jahre später tun viele Unternehmen das noch immer nicht. Doch die rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich zu Ungunsten der Werbetreibenden verändert und was früher die Erlaubnis zum Mailen war, ist heute das Werben um das Anklicken des Facebook-Like-Buttons.

Ansonsten war diese Netzwert-Ausgabe eine kleine Überraschung: Sie hatte 8 Seiten, was bedeutete – es gab mal wieder ein paar Anzeigen. Das bot Raum für Kür-Elemente, die in den Wochen zuvor zu kurz gekommen waren. Zum Beispiel ein Streitgespräch zwischen den Historikern Hans-Ulrich Wehler und Werner Abelshauser. „Keine echte Revolution“ war es überschrieben und ich wüsste gern, was die beiden heute so dazu sagen. Einige Passagen:

Abelshauser: … Manche Innovationen wie die Fließbandarbeit haben zwar eine gewaltige Wirkung entfaltet und galten als die Produktionsmethode der Zukunft – sind aber heute so gut wie verschwunden. Und dem Strom wurde eine nahezu mystische Bedeutung verliehen, man schrieb sogar Gedichte darüber. Die Vergleiche zeigen uns, dass bei Internet und E-Business vielleicht engere Grenzen der Relevanz bestehen als wir denken.

Wehler: Die Medien neigen dazu, das Thema zu dramatisieren. Für viele Bereiche ist das Internet nur eine enorme Verkürzung der Entscheidungszeit. Ob das ein qualitativer Sprung in eine neue Welt ist – da bin ich skeptisch.

Wehler: … Heute sehe ich spontan aber nur einen Entscheidungsbereich, in dem die Vernetzung drastische Änderungen herbeiführt, nämlich beim Militär. Ich glaube, wenn es heute zu einem Konflikt kommt, wird es anders sein, als alles da gewesene.“

Das Internet verändert wenig? Dieser Meinung muss man sich nicht anschließen. Und zumindest auf Mikroebene waren die Jahre 2001/2002 eine Zeit, die für viele Menschen vieles veränderte. Für Peter Záboji, zum Beispiel.

Er galt als einer der verrücktesten Manager zu jener Zeit. Der 57-Jährige verteilte auch schon mal Wasserpistolen an seine Untergebenen mit dem Rat, diese zu nutzen, wenn jemand in einem Meeting Blödsinn rede. Bekannt war er für seinen Tretroller – 200 seiner Mitarbeiter bekamen einen -, mit dem er durch die Flure rollte. Bei Siemens war er aufgestiegen, dann Chef des Telekom-Unternehmens Otelo. Schließlich setzte ihn der Private-Equity-Investor KKR auf den Chefposten der ehemaligen Bosch-Tochter Tenovis, auf das er den Telefonanlagenbauer saniere.

2002 behauptete KKR, das sei gelungen – Záboji wechselte in den Aufsichtsrat. Der „Spiegel“ sah die Sache anders:

„Seit Záboji mit seinem Kickboard durch die Gänge des Frankfurter Unternehmens raste, sei dort „alles anders“ geworden. Steht zumindest in seinem Buch. Dass er sein Spielzeug wegstellen musste, nachdem er einen Mitarbeiter über den Haufen gefahren hatte, steht dort nicht. Dass seine Idee einer Databurg das Unternehmen Millionen kostete auch nicht. Záboji ließ für dieses Projekt die Telefonapparatefabrik ausräumen und Großrechner darin aufstellen. Die sollten zum Beispiel Banken mieten können, um bei Störfällen in ihren eigenen Systemen weiterarbeiten zu können. Zusätzlich sollten junge expandierende Unternehmen dort Callcenter betreiben. Die Umwandlung sei für ihn ein „Kick“ gewesen, schreibt Záboji. „Wo die Telenorma früher aus einem Quadratmeter Fabrikgelände 4 Mark monatlich erwirtschaftete, erzielen wir inzwischen mindestens 75 Euro.“

Die Umwandlung kostete Tenovis bisher 20 Millionen Euro und lief so schlecht, dass eine eigens dafür gegründete GmbH wieder aufgelöst wurde. Noch heute stehen etwa 20 Prozent des Gebäudes leer, obwohl bereits eine zweite Databurg fertig ist, in die noch niemand eingezogen ist. Über 20 Millionen Euro investierte der Manager in die Werbung, buchte Banden bei Spielen des FC Bayern und lud Schriftsteller auf die Cebit. Er päppelte die internationalen Büros auf – heute gibt es sogar eines in Südafrika. „Dabei konnten wir alles, außer international“, sagt ein Manager, der Zábojis Hyperaktivität als Flurnachbar erlebte. In der erst im vergangenen Jahr veröffentlichten Bilanz von 2001 weisen die meisten Auslandsbüros deutliche Fehlbeträge aus. Man kann sich ja mal irren. Záboji spielte schließlich New Economy, da war ständiger Wandel gefragt, latente Risikobereitschaft – da durfte sich „niemand sicher fühlen“, so Záboji. Irgendwann wurde es KKR zu bunt.

Die Investoren bekamen Angst um ihr Geld und wechselten den Ungarn aus.“

Tenovis rettete das nicht. Nach weiteren Abbaurunden wurde das Unternehmen 2004 an Avaya verkauft. Záboji arbeitete noch ein paar Jahre als Entrepreneur in Residence an der MBA-Schule Insead, bis heute hält er noch einige Posten wie die Kuratoriumsmitgliedschaft beim Budapest Festival Orchestra.

Und noch so ein Name jener Zeit. Gold-Zack. Was war das für eine Story. Einst ein erfolgreicher Gummibandhersteller aus Wuppertal wurde die Firma 1996 vom Iserlohner Unternehmer Dietrich Walther übernommen. In der anschwellenden Hitze des Neuen Marktes verkaufte er die Kurzwarensparte an das Traditionshaus Prym (das die Marke bis heute weiterführt) und verwandelte Gold-Zack in ein Emissionshaus. Gleich mit rein kam die Gontard-Metallbank. Die Idee: Anleger würden die Aktie von Gold-Zack kaufen und somit Investments in Startups finanzieren. Wenn bei denen der Exit erfolgreich abgeschlossen wird, profitieren dann die Gold-Zack-Aktionäre.

Das funktionierte zunächst auch prima. Doch versteckt sich hinter dem Konzept eine Lawine. Denn mit dem Einbrechen der Märkte und der fehlenden Möglichkeit, Beteiligungen zu verkaufen oder an die Börse zu bringen fiel auch Gold-Zack in sich zusammen wie ein erkaltendes Soufflé. Mitte 2003 folgte das Aus. Da war Christian Stolorz schon nicht mehr Vorstandschef. In jener Netzwert-Ausgabe füllte er den Arbeitsplatz-Fragebogen aus. Das zugehörige Foto zeigte ein Bild aus seinem Büro: eine Unfallszene bei einer Jagd aus dem 19. Jahrhundert. Prophetisch, irgendwie. Stollorz starb dann 2005 im Alter von nur 49 Jahren.


Kommentare


FF 13. September 2011 um 15:34

Tja. Man muß sich nüchtern eingestehen, daß deutsche Historiker (insbesondere Großprofessoren) zur Analyse der Gegenwart kaum etwas Erhellendes beizutragen in der Lage sind.

PS.: Man vergleiche das jüngste Interview Heinrich August Winklers für die letzte Sonntags-FAZ. Gelesen, sofort wieder vergessen.

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