In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Durch das Projekt Wiredkann es allerdings zu Verzögerungen kommen. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Ach, was waren das für herrliche Zeiten. Damals, als es noch so unfassbar einfach war, an börsenrelevante Finanzinformationen vor ihrer offiziellen Veröffentlichung zu gelangen.
Vor 10 Jahren war dies nämlich noch recht einfach – dank unterentwickelter Content Management-Systeme. Und es war nicht mal illegal. Wie das ging, schilderte Netzwert in der Ausgabe vom 13.8.2001:
„Die Kunden von Tom Kraemer hatten Glück. Im vergangenen Oktober entdeckte der Analyst des Investmenthauses Merrill Lynch eine Überschrift auf der Web-Seite des Server-Herstellers Sun Microsystems, die phänomenale Quartalsergebnisse des Unternehmens akündigte. Offiziell sollten Umsatz und Gewinn erst nach Börsenschluss bekannt gegeben werden.
Kurzentschlossen riet Kraemer seinen Kunden zum Kauf der Sun-Aktie. Es dauerte nur knapp eine Stunde, bis die Zuständigen bei Sun den Fehler bemerkt hatten. Die Nasdaq schloss die Aktie daraufhin solange vom Handel aus, bis Sun die Ergebnisse per Pressemitteilung veröffentlicht hatte. Doch die knappe Stunde reichte schon für ein Plus im Depot: Der Aktienkurs kletterte binnen kurzer Zeit von 108$ auf 117$.“
Sun war nicht allein mit solch einer Panne. Der Glasfaserkomponentenhersteller JDS Uniphase hatte seine Zahlen ebenfalls früh auf seine Homepage gestellt, nur eben leicht versteckt hinter einem Link, der noch nicht auf der Seite integriert war. Nur: Erreichbar war er schon. Damals herrschte eben noch der Glaube, niemand gebe einfach mal auf gut Glück einen logisch erscheinenden Link in den Browser ein. Zum Beispiel indem er den Link zum Geschäftsbericht des Vorjahres nimmt und einfach die darin enthaltene Jahreszahl verändert.
Tja, es war die Naivität des noch immer Neuen. Nicht naiv, sondern damals schon von Überwachungsbegehren getrieben schaute die Politik auf das Netz. Was heute die Vorratsdatenspeicherung, war im Jahr 2001 die Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung (TKÜV). Das Bundeswirtschaftsministerium setzte per Gesetzt eine Spionagetür durch, die alle Online-Zugangsdienste einbauen mussten – trotz schwerer Bedenken der Wirtschaft. Minister Werner Müller erhielt dafür den Big-Brother-Award. Der Dresdner Informatikprofessor Andres Pfitzmann sagte Netzwert damals etwas, was so heute für die Vorratsdatenspeicherung gilt: „Darum dient der ganze Aufwand nur dazu, Leute zu beobachten, die nichts zu verbergen haben.“
Kommentare
David 3. September 2011 um 17:04
Also wenn alle „Netzwert Reloaded Artikel“ so interessant sind, wie es dieser schon ist, dann werde ich hier zum Stammleser. Schön, wenn mal jemand so akribisch das aufarbeitet. Mittlerweile findet man ja vieles im Netz und gerade die Sache mit dem Geschäftsbericht ist sicherlich auch heute noch etwas was bei vielen Unternehmen funktionieren würde, wodurch man vielleicht an Informationen kommt, die (vorerst) nicht unbedingt für die Öffentlichkeit bestimmt sind.