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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Durch das Projekt Wiredkann es allerdings zu Verzögerungen kommen. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Sechs Seiten. Sechs magere Seiten, noch dazu auf schlechterem Papier als zu Beginn. Darauf hatte sich Netzwert am 9.7.2001 reduziert. Eine Seite davon belegte auch noch jene Kleinanzeigenrubrik, die aus dem Abdrucken von Firmen-Homepages bestand.

Immerhin – schwacher Trost – war anderswo auch Krise. Zum Beispiel in der Online-Werbung. Immerhin jeder fünfte E-Business-Entscheider erklärte in einer Umfrage des Online-Marktforschers Dialego, dass mehr als 10 Prozent des Marketing-Etats seiner Firma schon in Web-Werbung floss. Trotzdem ging sie massiv zurück. Langsam aber sicher wurde klar: Bannerwerbung kaum angeklickt. Doch wäre es ja nur logisch, entfaltete sie trotzdem Wirkung – auf Print-Anzeigen klickt ja auch keiner. „Wir brauchen eine Währung, die auch den Aufbau von Marken-Image durch eine Web-Kampagne misst“, forderte deshalb Volker Budde, damals Leiter der Produktentwicklung beim Vermarkter Adlink. Zehn Jahre später hat sich erschreckend wenig in diesem Feld getan – was auch Media-Doyen Thomas Koch in seinem Blog immer wieder gern aufspießt.

Schon etwas getan hat sich im Leben der Brigitte Zypries. Die portraitierte Netzwert an jenem 9.7.01 ausführlich. Als Staatssekretärin im Innenministerium von Otto Schily verantwortete sie den weitesten Teil der deutschen Internet-Politik zu jener Zeit. Damals wähnten wir sie als jemand, auf den wir in diesem Feld achten müssen. Weil sie zwar nicht so fürchterlich viel Fachwissen aufbrauchte – aber bei Rechercheanrufen in der Lage war, dieses schnell zu beschaffen. Das erschien eine gute Basis zu sein.

Heute sind wir schlauer. Und die kritischen Untertöne des Portraits zeigten, dass selbst in jener Zeit, das das Land Digitalien oft genug überschätzt wurde, Deutschland Politik in diesem Feld durch überbordendes Nicht-Wissen auszeichnete. Ausschnitte:

„Einen privaten PC hat Zypries noch nie gehabt. Ihr erster persönlicher Rechner stand Anfang der 90er Jahre in ihrem Büro in Hannover. Derzeit nutzt sie privat gelegentlich das Dienst-Laptop, um Blumen zu bestellen oder eine Zugverbindung zu suchen. Doch so richtig überzeugt ist sie vom E-Einkauf nicht: ,Ein wenig umständlich ist das ja doch.‘
Wenn sie auf Dienstreise oder am Abend in ihre 90-Quadratmeter-Wohnung in Berlin-Friedrichshain fährt, lässt Zypries den Rechner lieber im Ministerium…

Auch die englische Sprache gehört nicht zu Zypries‘ Stärken – was in Zeiten des weltweiten Webs nicht gerade von Vorteil ist…

In Sachen Internet strebt Zypries die Fachkompetenz indes gar nicht so sehr an: „Ich muss ein Problem abstrakt bewerten können – aber es nicht unbedingt lösen.“ Zudem habe sie der Anteil, den das Thema Internet in ihrer Arbeit einnimmt, überrascht.“

Sechs Jahre später würden die Kinderreporter des ARD Morgenmagazins Zypries dann bloßstellen:

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Das Team von Netzwert versuchte die magere Seitenzahl zu kompensieren mit Geschichten, die fast schon trotzig zeigten, wie digitale Technologien andere Branchen eroberten. Krankenhäuser, zum Beispiel. An der Uniklinik Mainz experimentierten die Mediziner mit einem hausweiten Bluetooth-Netz und PDA für alle Ärzte (für die jüngeren unter uns: Das waren handtellergroße Computer mit monochromen Bildschirmen – so eine Art iPhone in ganz, ganz hässlich). Das entlastete massiv die Wirbelsäulen von Assistenzärzten und Schwestern: Sie konnten auf alle Patientenakten digital zugreifen.

Eine Woche später gab es dann einen Ausblick auf den Moment, den heute viele Verlage bereuen. Den Moment, von dem sie heute glauben, sie hätten ihn nutzen müssen, um Paid Content einzuführen.

Tatsächlich aber gab es ja diese Bezahlversuche damals. Die „Herald Tribune“ wagte sich in das Feld, N-TV (damals noch ein ernstzunehmender Börsensender) verkaufte Analystenstudien für 1,50 bis 7,50 DM. Noch waren damals die Einbußen im Bereich der Online-Werbung gering, wagte sich jemand in das Feld der Bezahlinhalte. Und tatsächlich gab es Erfolge. Die Stiftung Warentest nahm schon 2001 1,5 Millionen DM mit dem Verkauf ihrer Berichte ein. Der US-Sportsender ESPN setzte 2,8 Millionen Dollar mit einem Baseball-Tippspiel um. Patricia Lühr, Analystin bei Jupiter MMXI, war eine derjenigen, die eine Warnung aussprach, die ungehört verhallen sollte: „Die Idee, dass Kunden zahlen, ohne dass sich das Angebot ändert, wird nicht funktionieren.“

Eine bittere Erkenntnis aber stellte sich beim Netzwert-Team auch ein: ein liebevolles Detail bei der Planung der Beilage war den Lesern so etwas von egal – die Rubrikentitel. Lange hatten wir uns die Köpfe heiß geredet über jene Seitentitel: Rechtsraum stand für juristische Themen, Geldgeber für Investorenbereiche, Überstunden stand über den leichteren Themen auf der letzten Seite. Nun fielen diese Titel weg – und keiner, aber auch wirklich keiner hat es gemerkt. Die Lehre für’s Leben: Der Leser merkt solche Sachen überhaupt nicht.


Kommentare


Unwiderfragte Lemminge 9. Juli 2014 um 8:45

[…] dagegen, sich selbst zu hinterfragen. Das ist nicht neu. So mochten sie 2001 nicht hören, als die renommierte Analystin Patricia Lühr in Sachen Paid Content sagte: “Die Idee, dass Kunden zahlen, ohne dass sich das Angebot ändert, wird nicht […]

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