In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Es ist vielen Jüngeren heute nur schwer zu erklären, wie sich die Arbeitsmoral rund um die Jahrtausendwende wandelte. Sicher, es gab schon immer die, die bis spät in die Nacht schufteten. Aber das waren die karrieregeilen. Die, die nach oben wollten. Ab 1999 kehrte aber immens vielen Unternehmen ein Wandel ein. Die Lichter brannten immer länger. Betriebsräte machten sich Sorgen. Pizza-Lieferdienste boomten.
Das erstaunliche: Kaum jemand klagte wirklich darüber. Die meisten waren berauscht. Berauscht von neuen Möglichkeiten, berauscht an der eigenen Arbeit, berauscht aber auch von einem neuen Team-Gefühl – und der Erkenntnis, das gemeinsame Arbeit Spaß machen kann. Im Netzwert-Team war das nicht anders. Bis 10 Uhr, manchmal bis Mitternacht in der Redaktion – konnte passieren. Und? Für die allermeisten Journalisten heute sind solche 12- bis 14-Stunden-Tage wohl kaum vorstellbar.
Accenture befragte damals Mitarbeiter aus digitalen Branchen nach ihren Arbeitszeiten. Ergebnis: 16% arbeiteten über 60 Stunden in der Woche, 88% über 40 Stunden – mehr oder weniger also jeder. Dafür lag das Einkommen eines Angestellen auch bei 98300 DM, Teamleiter verdienten 128.000 Mark.
Doch das Gehalt war nicht die einzige Motivation.
Unternehmen bereiteten ein Umfeld, in dem die Mitarbeiter gern länger blieben. Die Dortmunder Comline AG war so ein Fall. Das Wirtschaftsmagazin „DM“ hatte das IT-Unternehmen im März 2001 gerade zum attraktivsten Arbeitgeber der Republik gekürt. Neben guter Bezahlung und hohen Freiheiten gab es bei Comline hübsche Neben-Wohltaten: ein Fitnesscenter im Haus, ein Squash-Feld und einen Hemdenbügelservice. Das rechne sich sogar, behauptete Comline: Die Mitarbeiter-Fluktuation betrage nur ein Prozent, branchenüblich seien 12 bis 15 Prozent. Jährliche Ersparnis: 400.000 Euro.
Auch heute gibt es diese Zuwendungen für Angestellte wieder. Allerdings weniger in Deutschland. Gute Programmierer sind im Silicon Valley derzeit so rasend gesucht, dass Startups wie Instagram oder Größen wie Google in diesen Bereich wieder Geld stecken, wie die „New York Times“ vergangene Woche berichtete.
Neben den langen Arbeitszeiten ist es zehn Jahre später nur schwer vorstellbar, wie unendlich grottig manche Internet-Seiten damals programmiert waren. Selbst offensichtliche Probleme schienen bei den Firmen nicht bemerkt zu werden. Dem widmete sich Netzwert damals verstärkt in Zusammenarbeit mit dem Usability-Spezialisten Feldmann Media.
Der erste Artikel sorgte bei manchen Kollegen im Handelsblatt für Grummeln. Denn Netzwert-Kollegin Simone Wermelskirchen war eine der Testerinnen von Homepages der Auto-Konzerne – und schrieb das bei deutschen Journalisten verhasste Wort „ich“. Ihre Erlebnisse waren teilweise haarsträubend. Minuten dauerte die Suche nach einem Auto-Konfigurator auf der Mercedes-Seite. Wer bei Audi am Ende noch einmal ein Detail ändern wollte, fing besser nochmal an – das ging schneller. Die geringen Farbkontraste des BMW-Auftritts versteckten Scroll-Leisten. So mancher Konzern-Auftritt wirkte im Jahr 2001 noch wie ein Schildagentur-Streich.
Werner Lauff. Auch so ein Name aus jener Zeit, der aus dem Kopf gerutscht ist. In Deutschland war der Chef der Bertelsmann Broadband Group (BBG) ein Vordenker des interaktiven Fernsehens und ein begnadeter Redner.
Das Problem: Bertelsmann machte seine Broadband Group dicht und schlug sie RTL zu. Lauff war mit einem Mal ohne festen Aufgabenbereich. Und so was wie schwer vermittelbar, wie Burkhard Ewert damals für Netzwert schrieb:
„Die Konkurrenten aus dem eigenen Hause schienen ihn nicht haben zu wollen. ,Für Herrn Lauff sind wir hier nicht mehr zuständig‘, verlautet es aus der Bertelsmannzentrale in Gütersloh. ,Fragen sie besser bei RTL‘. Dort jedoch, wo der 43-jährige Breitband-Guru angesiedelt sein soll, kennt ihn die Telefonzentrale nicht, und das Büro der Geschäftsführung verweist einigermaßen ratlos auf eine Telefonnummer der BBG in Hamburg.“
Das sei für ihn kein Problem, sagte Lauff gegenüber Netzwert. Es sei klar gewesen, dass er bei RTL nicht einsteige. Und auch dass seine Arbeit mit dem Ende der BBG größtenteils für den Papierkorb war schien ihn wenig zu stören. „Ich reise um die Welt und rede über die Zukunft“, beschrieb er seinen neuen Tätigkeitsbereich. Heut ist der Unternehmensberater und Redner in Düsseldorf.
Eine der schönsten Reportagen in der Geschichte von Netzwert schrieb in jener Ausgabe Anja Müller. Sie begleitete Menschen am Rande der Messe. Zum Beispiel den Cebit-Pfarrer. Doch, den gab es tatsächlich – ob es ihn heute noch gibt, weiß ich nicht. Eine halbe Stunde predigte er damals, 25 Besucher waren am ersten Messetag gekommen – für Pater Aloys Terliesner eine gute Zahl. Im Verlauf der Messe würden es mehr. Auch das ungewöhnlichste Messe-Quartier hat Müller sich angeschaut: Der ehemalige Leiter des Friedhofs Selhorst vermietete Zimmer in seinem Haus – mitten auf dem Friedhof.
Jene Idee, die Cebit ein wenig anders zu beschreiben, brachte auch einen Artikel hervor, der in der „Handelsblatt“-Redaktion für Diskussionen sorgte. Kabarettist Dietmar Wischmeyer schrieb eine Liebeserklärung an Hannover. Und er schrieb halt so, wie er spricht:
„Wer sich über Niedersachsens Glitzermetropole mokiert, lügt sich über die Mittelmäßigkeit seines eigenen erbärmlichen Kaffs hinweg. Einwohner eines Rattenlochs in Wilhelmsburg behaupten noch mit vor Stolz geschwellter Brust, sie lebten in Hamburg. Schön für sie, wir müssen da Gott sei Dank nicht hausen, denn wir leben in der Provinz…
Über Jahre hinweg musste sich die Cebit damit bescheiden, lediglich die größte Computermesse der Welt zu sein, jetzt ist sie endlich die größte Messe überhaupt. Wo? Auf dem größten Messegelände der ganzen Welt selbstverständlich. Die Veranstalter heißen auch nicht „Hannoversche Messe AG“, sondern selbstverständlich „Deutsche Messe AG“ – als ob in Frankfurt, Köln oder Düsseldorf bestenfalls Glühweinbuden aufgestellt würden…
Eine Witzfigur wie die Expo-Sprecherin Wibke Bruhns wäre in Köln vom ,Express‘ geteert und gefedert worden. In Hannover wartete man einfach ab, bis sie wieder zurück ins Altersheim für Ansagerinnen einrückte…
Irgendwann sind wir hier die weltgrößte Provinz der Welt. Selbst dann kann uns noch immer jeder Münchener, Stuttgarter oder Frankfurter besuchen, ohne dass wir mitleidig über ihn lachen, besonders in den Hamburger Stadtmagazinen ,Spiegel‘ oder ,Stern‘. Macht aber nichts, denn aus Hannover ward ihr genommen, zu Hannover sollt ihr wieder werden – hier sitzt die weltgrößte Altpapierbörse der Welt.“
Lesen Sie kommende Woche: Was nach der Hitze bleibt.
Kommentare
Tjark 28. März 2011 um 12:35
…CeBIT-Pastoren und die Kirche auf dem Messegelände gibts immer noch ….