In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Das waren noch Zeiten, damals, in Hannover. 28% der von Netzwert befragten E-Business-Entscheider nächtigten mit mindestens einer Fahrtstunde Entfernung von der Cebit. Ein Viertel zog Privatzimmer einem Hotel vor – Kostengründe. Das ergab eine Umfrage, der Marktforscher von Dialego. 48% fühlten sich nach einem Messetag „sehr erschöpft“. Dabei nahm die Befragung ja nur die Cebit 2001 vorweg: Damals fand sie noch später, Ende März statt.
Damals jedoch gab es schon sehr früh Cebit-bezogene Anzeigen – und die sollten mit Inhalten bedient werden. In der Hochzeit füllte das „Handelsblatt“ zwei fette Extra-Beilagen mit Anzeigen und IT-Inhalten. Jede Branche schien sich der digitalen Welt zu öffnen – sogar die Sparkassen.
Über die schrieb der geschätzte Olaf Storbeck:
„Jahrelang zankten sich die 562 eigenständigen öffentlichen Geldhäuser um die Online-Strategie. Bis heute haben sie nicht mal ein gemeinsames Web-Portal mit umfassenden Finanzinformationen, geschweige denn einen gemeinsamen Online-Broker.“
Kurz darauf aber sollte es ernst werden. Am 1. April sollte Pulsiv übernommen werden, ein Discount-Broker als Konkurrenz zu den drastisch wachsenden Rivalen wie Consors oder Comdirect. 100 bis 200 Millionen Mark sollte das neue Engagement kosten. Später, Ende April, wurde bei Pulsiv dann die Spitze ausgetauscht und das Ziel „Marktführerschaft“ ausgerufen. Im Sommer wurde aus Pulsiv SBroker. Doch wer heute die grauenvoll zusammengstückelten Homepages von Sparkassen sieht, der ahnt: So richtig sind sie nie im digitalen Zeitalter angekommen.
Wollte man böse sein, könnte man das auch von Microsoft behaupten. Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Regelmäßigkeit ein neuer Hoffnungsträger dort in das Top-Management rückt. Zuletzt ist Ray Ozzie daran gescheitert, den Konzern zu erneuern. Vor zehn Jahren war Rick Belluzzo der scheinbar kommende Star. 1998 hatte ich ihn noch als Chef von Silicon Graphics bei einer Pressereise nach Kaliforniern erlebt. Die Begeisterung für ihn konnte ich nicht recht nachvollziehen: Er wirkte hektisch, angespannt, unsympathisch. Bei Microsoft machte er aus dem dümpelnden Online-Zugang MSN immerhin ein respektables Angebot.
Im Frühjahr 2001 stieg er auf zum COO – aber hielt die Position nur ein Jahr. Dann ging er als Chef zu Quantum. Vielleicht lag es auch an seiner mangelnden Technik-Kompetenz. Denn gegenüber Netzwert gestand er: „Ich sitze manchmal in Meetings und meine Augen rollen sich nach innen, weil ich nichts verstehe.“
Noch einer, der des öfteren seinen Job wechselte war und ist Utz Claassen. Zu jener Zeit pflegte Netzwert eine Gastautoren-Rubrik, die Stück für Stück zu dem Ort wurde, an dem Top-Leute der alten Wirtschaft sich ein wenig Dotcom-Image zulegen konnten. Claassen trat in seinem Beitrag „Her mit den Ohrringen“ für mehr Individualität im Wirtschaftsleben ein:
„Die Firmen der Neuen Wirtschaft bekommen manchmal – durchaus kompetente – Arbeitnehmer nur aus einem Grund: Deren Individualität wird akzeptiert, die Firmen erlauben ihnen die kleinen Freiheiten, die Mitarbeitern in Großbetrieben of nicht zugestanden werden – und sei es nur der Dackel, der mit an den Arbeitsplatz gebracht werden darf… Niemand schaden diese kleinen Eigenheiten, nur im Konzernalltag sind sie nicht gern gesehen.“
Er forderte transparente Leistungskritieren, so dass Kleidung oder persönliche Einstellung zu Dingen außerhalb des Jobs nicht mehr die Karriere bestimmen. Das war und ist keine dumme Haltung.
Im nachhinein aber ist es lustig, mit welchem Einsteigsbeispiel der Text von Utz Claassen beginnt: Ohrringe. Zum einen, weil diese natürlich nur bei Männern als möglicherweise ungewöhnlich empfunden werden – Frauen als Manager waren bei Claassen also gar nicht auf dem Schirm.
Zum anderen schrieb er: „Wäre ich Aktionär, mir wäre der Ohrschmuck egal.“
Und in unserem Kopf ersetzen wir Ohrschmuck mit Goldkettchen.
Übrigens: Das waren am 12. März 2001 die meistbesuchten News- und Informationsseiten in Deutschland:
Lesen Sie kommende Woche: Audi verwirrt.
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