In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Mehr dazu hier. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Kennen Sie den Film „The Net“ mit Sandra Bullock?
Vielleicht wäre es wert, den mal wieder hervorzukramen. Zumindest, wenn man sich die auf Wikipedia geschilderte Handlung heute durchliest:
„Die Computerexpertin Angela Bennett ist ein isoliert lebender Mensch, die ihre Pizza über das Internet bestellt und kaum Kontakt zu den Nachbarn hat. Die einzige soziale Bezugsperson ist ihre an Alzheimer erkrankte Mutter, die aber aufgrund der Krankheit ihre Tochter nicht wiedererkennen kann. Sie arbeitet bei der Softwarefirma Cathedral von zu Hause aus, so dass sie ihre Arbeitskollegen nur über das Internet oder Telefon kennt. Eines Tages erhält sie von einem Kollegen eine mysteriöse Diskette zugespielt, mit deren Hilfe sie sich plötzlich auf Internetseiten mit geheimen Informationen wiederfindet. Kurz darauf stirbt ihr Kollege bei einem Flugzeugabsturz.“
Die Erwähnung der archaischen und heute bestenfalls noch bei der Deutschen Bahn bekannten Technologie „Diskette“ verrät: Der Streifen ist schon ein wenig alt. 1995 entstand er. Am 27.11.2000 diente das Plakat dann als Illustration einer Geschichte über Hollywood und das Web in Netzwert.
Ziemlich schwer taten sich die Filmproduzenten damals schon mit dem Thema Online. Doch der Erfolg von „The Blair Witch Project“, jenem Horror-Billigfilm, der via viraler Verbreitung zum Sensationserfolg wurde, machte viele aufmerksam auf die Möglichkeiten. Das Star-Studio Dreamworks sicherte sich die Adresse www.pop.com und plante eine Kurzfilm- und Marketing-Plattform mit Steven Spielberg an der Spitze. Das Projekt endete starb noch vor dem ersten Online-Tag. Spielberg: „Wenn Geldgeber schon vor dem Start streiten, kann das nicht gutgehen.“
Stattdessen waren dann Kooperationen mit Online-Unternehmen en vogue. So half Amazon dabei „American Beauty“ zu vermarkten. Und „Durchgeknallt“ bediente sich der simpelsten Form des Targeting: Der Film handelte von einer jungen Frau – also wurde er online auf Junge-Frauen-Seiten wie Chickcklick beworben.
Doch schon damals kündigte sich an, was heute das Social Web ist: Auf Seiten wie Aintitcoolnews sammelten sich hunderte von Filmkritiken. „Durch den Andrang der Besucher können diese Seiten mittlerweile den Erfolg eines Films beeinflussen“, sagte die Analysefirma Jupiter.
Tja, Jupiter. Auch so ein Name aus der New Economy.
Analysten hatten damals Hochkonjunktur. Zahlen und Grafiken waren gefragt, denn ständig tauchten neue Geschäftsideen auf und die mussten in Unternehmen und Banken, bei Investoren und Geschäftspartnern verkauft werden. Das ging am besten mit großartigsten Zukunftsprognosen. Und die lieferten Jupiter, Forrester und IDC.
So offensichtlich aufgeblasen waren die Zahlen, dass wir im Netzwert-Team die Schnauze voll hatten. Der freie Journalist Lars Reppesgaard schrieb uns eine Geschichte über die Propheten der neuen Zeit – und sie war nicht freundlich:
„Dass sich die Branche mit schöner Regelmäßigkeit widerspricht und dabei fließig nach unten oder oben verschätzt, tut der Beliebtheit ihrer Untersuchungen keinen Abbruch… Gutgläubige Entscheidungsträger und ihre eifrigen Assistenten packen auch die merkwürdigste Studie noch in Powerpoint-Charts.“
Der Artikel war auch eine Art Ventil für das Netzwert-Team selbst. Denn so langsam war es wirklich anstrengend. Vierzehn Wochen produzierte die kleine Mannschaft die wöchentliche Beilage, dazu kam eine stressige Vorstart-Phase in der das Projekt hastig aufgesetzt worden war. Jeden Donnerstag und Freitag saßen wir bis in den späten Abend in der Produktion, die letzte Bahn ging um 0 Uhr 30, gelegentlich unterzeichnete ich Taxi-Quittungen, weil es später geworden war. Das soll nicht heißen, dass es keinen Spaß machte – im Gegenteil. Wir fühlten uns als Startup im Rahmen des Handelsblatts. Aber ganz ohne Dampf ablassen geht es eben nicht.
So erklärt sich auch die Bild-Auswahl zu einer Geschichte über Reisebüros. Wir entdeckten ein schreckliches Foto aus den 80ern, ich glaube, es lagerte noch im damals existenten Papierarchiv der Fotoredaktion. Es auszuwählen hatte auch etwas von Zynismus und Stressventil.
Der Artikel dagegen berichtete von den Branchenpionieren. Von kleinen Reisebüros, die sich ins Netz wagten. So wie Olaf Slater. Aus seinem Reisebüro in Visselhövede machte er ein kleines Web-Reich mit über 200 Netz-Adressen. Einen kleinen Teil davon gibt es heute noch, Slater selbst ist Senior Product Manager beim Transaktionsdienstleister Travelport. Auch die fünf Reisebüros von Manfred Hegenloh aus Göppingen florierten dank Internet: 20% seines Umsatzes generierte er damals online – 7 Millionen DM waren das. Im Gegenzug investierte er eine halbe Million im Jahr in Online-Marketing.
Kleine Zahlen – verglichen mit einer der merkwürdigsten Persönlichkeiten jener Zeit: Christoph Mohn. Wurde über einen Medienmanager jemals mehr gelästert? Erhielt jemals einer mehr so durchgängig schlechte Kritiken? Und blieb je einer trotz dieser Unbill so lange auf seinem Posten?
Schon damals war er eine Schmunzelnummer. 20 Millionen DM hatte er 2000 in Lycos Europe gesteckt, 300 Millionen sollten es 2001 werden. Schwarze Zahlen? Frühestens 2003/2004. Er lebte die Grundidee der New Economy in vollen Zügen aus: Erst investieren und Publikum aufbauen – dann Gewinne machen. Doch als die Investments nicht zurückgefahren wurden, obwohl Dotcom-Land rechts und links schon brannte, schmierte der Börsenkurs ab: Von 23 DM ging es auf 8. Mohn sah es gelassen: „Wer glaubt, man könne eine Marke wie Lycos Europe ohne Anlaufverluste aufbauen, hat von dem Geschäft keine Ahnung.“ Und: „Ich habe das Geschäftsmodell immer wieder durchgerechnet.“
Er sollte nicht der einzige sein, der sich verrechnet hatte.
Lesen Sie kommende Woche: Schon damals dringend gesucht – Gründerinnen.
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