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Auf der Online-Vermarktermesse Dmexco wurde, wie berichtet, viel geschrien. Nicht akustisch, aber optisch. Und an den Ständen wurden die Kunden beschmust, besektet und behäppchent dass es nur so krachte.

Nur an einem Stand, und es war wirklich kein kleiner, war es etwas ruhiger. Kleinlauter, gar. Es war die Präsenz der Tomorrow Focus AG.

Wer Mitarbeiter dort kannte und mit ihnen im kleinen Kreis sprach, am besten weit weg von den Vorgesetzten, der bekam mit, wie es in ihnen kochte. Kurz zuvor hatte Burda-Manager Philipp Welte ihr Geschäft mehr oder weniger zum Todeskandidaten degradiert. Beim Gespräch mit dem Branchenblatt „Horizont“ hatte Welte Sätze rausgehauen wie: „Wir werden einen nicht unerheblichen Teil unserer verlagsgetriebenen Online-Aktivitäten auf ein notwendiges Minimum herunterfahren“

Jeder, der zum Stand kam, hatte das gelesen. Was für eine desaströse Verhandlungsposition für jene, die Online-Anzeigenplätze verkaufen wollen. Oder auch für die Kollegen, die Inhalte aus dem Burda-Reich Unternehmen als Homepage-Inhalte offerieren. Die einen dürfen sich ob der Erfolglosigkeit – hat der Chef ja so gesagt – in hurricaneska Preisverhandlungen stürzen, die anderen sich fragen lassen, was die hohen Preise rechtfertigt. Leise gezischt wurde Welte mit Begriffen tituliert, die eine FSK18 dieses Blogs erforderlich machen würden.

Wer nicht der Meinung ist, das Internet sei irgendwann voll und werde abgeschaltet, dem ist klar, dass unter Philipp Welte Burda auf einem falschen Kurs ist. Wie immer sind es die schnellsten Ratten, die als erste das sinkende Schiff verlassen. Uli Hegge, in der Branche hochgeschätzt und als eine Art Digital-Zar zu Burda gekommen, ging bereits im Juli. Nun kommt ein weiterer höchst prominenter Abgang hinzu: Focus-Online-Chefredakteur Jochen Wegner.

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Per E-Mail teilte er mit, gemeinsam mit dem ehemaligen Software-Wunderkind und Yahoo-Manager Marco Boerries eine „internationale Plattform für hochwertige journalistische Inhalte“ mit Standort Berlin aufzubauen: „Wir werden ein Ökosystem für neuartige digitale Medien entwickeln, deren Vorläufer heute bereits auf Geräten wie dem iPad zu sehen sind.“ Man darf gespannt sein. Wegner bringt das Wissen und Gespür mit – Boerries technischen Sachverstand und Kapital: das könnte höchst interessant werden.

Dies ist fachlich wie menschlich ein schwerer Schlag ins Burda-Kontor. Wegner hat nicht nur Focus Online zu einem profitablen Unternehmen mit einem Umsatz im zweistelligen Millionenbereich gemacht (eigene Angaben). Das von ihm entworfene Google-News-Gegenstück Nachrichten.de hat es jüngst zum ersten Mal in die Top 50 der Reichweitenmessung Agof geschafft. Und: Er ist einer der angenehmsten und aufrichtigsten Menschen der Online-Nachrichtenbranche.

Es braucht keine prophetischen Fähigkeiten um zu schreiben, dass dies wohl kaum er letzte prominente Abgang in Burdas Digital-Bereich sein dürfte. Als ich zum ersten Mal mit jenem Feld der Münchener Kontakt hatte, war ich beeindruckt. Egal, wen ich kennenlernte: Burdaisten schienen in allen digitalen Fragen auf der Höhe der Zeit, höchst motiviert und eng mit ihrem Arbeitgeber verbunden.

Heute ist die Bezeichnung „Auflösungserscheinungen“ noch gelobt für das, was nicht nur bei der Dmexco rüberschwingt. Burda hat beschlossen, seine Zukunft dem Bedrucken von Papier zu widmen. Bedrucktes Papier, das sich immer schlechter verkauft und immer weniger Anzeigenkunden findet, die den Platz zwischen den Artikeln füllen mögen. Wenn dereinst die Kinder von Hubert Burda einen Einstieg in das Familienunternehmen erwägen könnte es sein, dass sie eher keine Büste von Philipp Welte in die Empfangshalle stellen werden.


Kommentare


Chat Atkins 5. Oktober 2010 um 11:21

Ob gedruckt oder online – Focus zählt für mich zu jenen Medien, die mangels relevantem Fokus – „die 100 schönsten Badeseen“ – keine Lücke hinterlassen werden. Allenfalls in den Portemonnaies der Mitarbeiter …

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_Flin_ 5. Oktober 2010 um 12:19

Focus… na und? Ein Onlineangebot, das seine Artikel zu großen Teilen von Nachrichtenagenturen bezieht, noch nicht einmal Links in den Artikeln setzt und auch keine Werbung schaltet, ist doch eh tot, oder?

Wer nicht mal in der Lage ist, bei wissenschaftlichen Themen auf die Studie zu verlinken, über die man gerade berichtet, oder auf das Video des Interviews, aus dem man zitiert, der soll bitte Zeitungen verkaufen und das Internet mit seiner Anwesenheit verschonen. Denn er hat auch nach 15 Jahren immer noch nix kapiert.

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Medienstudent 5. Oktober 2010 um 13:41

Wer in den letzten Monaten übersehen hat, dass es mit FOCUS Online schwer bergab geht, muss schlicht blind sein. War in diesem Haus selbst Praktikant für ein paar Monate und überrascht, wie wenig man sich dort als (Leit-)Medium wahrnimmt. Meinung? Bloß nicht. Haltung? Bitte ja nicht, es könnte ja ein Freund des Hauses Burda beschädigt werden. Ein Chefredakteur, der diese Einstellung verinnerlicht hat, selbst Praktikanten arrogant-kumpelhaft duzt (wer nimmt so einen Chef schon ernst?) und Konferenzen am iPad verdaddelt (worüber reden wir grade?), sollte dann auch nach 5 Jahren bitteschön seinen Hut nehmen – Weltes Sparkurs hin oder her. Und ob ein Mann, der auf internationalen Konferenzen seit Jahren die immer gleichen alten Thesen verkauft, immer noch als „einer der hellsten Köpfe der Web-Branche“ gilt, darf bezweifelt werden, Herrr Knüwer.

Aus einem desolaten FOCUS Online 1.0 ein weniger desolates 2.0 zu machen, ist imho auch keine allzu große Leistung. Fragen Sie doch mal ein paar Leute bei FOL (wie man sich selbst bezeichnet), und man wird Ihnen dort bestätigen, dass Jochen Wegner Herrn Burda mit zahlreichen me-too-Projekten durchaus auch eine Menge Geld verbrannt hat (nachrichten.de gilt intern zum Beispiel als Rohrkrepierer). Ich habe mich für mein Studium stark mit diesem Thema befasst, aber es gibt sicher Leute, die Ihnen da ausführlicher Rede und Antwort stehen könnten. Dann wären Sie auch in der Lage, einen Artikel zu verfassen, der den abgesprungenen Chefredakteur nicht in die Opferrolle versetzt, sondern das System „Yuppi-Manager als Chefredakteure“ näher beleuchtet.

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bugsierer 5. Oktober 2010 um 14:03

„Burda hat beschlossen, seine Zukunft dem Bedrucken von Papier zu widmen.“
tja, das gibt doch im netzt viel raum für neue anbieter 😉

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Sebs 5. Oktober 2010 um 14:12

Nunja, Burda besteht nicht nur aus Focus 😉

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Giesbert Damaschke 5. Oktober 2010 um 17:00

> Nunja, Burda besteht nicht nur aus Focus

Stimmt! Da gibt es ja noch den zeichensetzenden Qualitätsjournalismus von Bunte, Super Illu, Freizeit Revue, Lisa, Glücks Revue & Co.

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Anton Velhagen 5. Oktober 2010 um 18:10

Da kocht es seit Jahren, und wer das je selbst miterlebt hat, für den hat der Begriff „absurd“ völlig andere Abmessungen.

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Der Beobachter 5. Oktober 2010 um 21:13

@Medienstudent: Sie sind ja ein echter Checker, Herr Praktikant. Wenn Sie Menschen, die Sie duzen nicht als Chef ernst nehmen können – viel Spaß in der realen Welt. Und so richtig mitgelesen haben Sie ja auch nicht, vielleicht ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Knüwer Wegner in eine Reihe mit Hegge steckt. Und dass Focus noch nie ein Meinungsblatt war, nun, in Ihrem Alter muss man das ja nicht wissen. Auch nicht, dass Wegner mit dem Jonet eines der wichtigsten journalistischen Netze in D mit produziert hat.
Ansonsten: Lesen Sie mal den älteren Kollegen Jakubetz: http://www.blog-cj.de/blog/2010/10/05/burda-digital-aus-dem-focus-aus-dem-sinn/

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Lesenswerte Artikel 6. Oktober 2010 6. Oktober 2010 um 6:29

[…] Jochen Wegner verlässt Focus Online: Der digitale Exodus im Hause Burda „Per E-Mail teilte er mit, gemeinsam mit dem ehemaligen Software-Wunderkind und Yahoo-Manager Marco Boerries eine “internationale Plattform für hochwertige journalistische Inhalte” mit Standort Berlin aufzubauen: “Wir werden ein Ökosystem für neuartige digitale Medien entwickeln, deren Vorläufer heute bereits auf Geräten wie dem iPad zu sehen sind.” Man darf gespannt sein. Wegner bringt das Wissen und Gespür mit – Boerries technischen Sachverstand und Kapital: das könnte höchst interessant werden.“ […]

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bingfan 6. Oktober 2010 um 9:01

Die Tomorrow Focus ist ein Unternehmen, das seinen Aktionären verpflichtet ist und nicht gemeinnützig dem Artikel 5 des Grundgesetzes dient – entsprechend müssen doch die Vertreter des Unternehmens in die Geschäftsfelder investieren, die nachhaltig zumindest das eingesetzte Kapital zurück verdienen können.

Journalistische Inhalte mit kurzer Lebensdauer sind dafür ungeeignet – also trennt man sich konsequent von nicht zukunftsfähigen Bereichen. Nun wurde jedoch die Online-Marke „Focus“ für dreissig Jahre lizensiert, man wird also an dieser festhalten – nur was darunter bespielt wird, liegt in der Entscheidung des Lizenznehmers.

Ob das einem gestandenen Journalisten langfristig Spaß bereiten kann, sei dahin gestellt. Da ist es wohl konsequenter, gleich im richtigen Kontext wirtschaftlich tätig zu werden.

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Medienstudent 6. Oktober 2010 um 18:53

Na Herr Knüwer,

der Kommentar #2 war Ihnen – als Wegner-Freund – wohl eine Nummer zu heiß, was? 😉

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Thomas Knüwer 7. Oktober 2010 um 18:47

Was möchten Sie damit sagen?

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Beobachter 8. Oktober 2010 um 13:11

Jochen Wegner hat Jahre lang großartige Geschichten geschrieben. Man konnte fast annehmen, er wäre leidenschaftlich Journalist. Zumal als Gründer des Jonet.
Doch er freundete sich auch mit keinem Thema speziell an. Er sprang von einem schicken Topic über das nächste Super-Interview zum nächsten Hype-Thema. Natürlich hat man ihn machen lassen. Die Themen waren ja großartig. Seitdem er Chefredakteur war hat er sich keine Zeit mehr genommen, um wenigstens nur eine einzige faszinierende Geschichte zu schreiben. Ist das Leidenschaft? Ist das Journalismus? Und was war mit dem geliebten Jonet? Seit Jahren ist er dort nur noch eine Karteileiche.
Dafür widmete er sich diversen Projekten. Das ist in Ordnung. Doch jetzt, wo Focus Online wohl kein spannendes Spielzeug mehr ist – vielleicht weil sein Burda-interner Status schon länger unter Beschuss ist – bleibt auch keine Leidenschaft mehr für das Chefredakteurs- und Projektausdenker-Sein.
Und Software für iPads zu produzieren – was hat das noch mit Schreiben, Recherchieren, Leidenschaft zu tun?
Jochen Wegner ist sicherlich einer der verkanntesten „Alphajournalisten“. Schade um das Talent. Es ist wohl sein Ego, der ihn da hin treibt, wo er jetzt ist.

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Medienstudent 10. Oktober 2010 um 20:52

@Thomas Knüwer: Dass Sie Ihre Blogcomments zensieren. Nicht mehr und nicht weniger. Aber als guter Freund des Hauses Burda und in Anbetracht der Tatsache, dass sie hier das Hausrecht besitzen: sei’s drum. Als Alpha-Blogger (eine Gott sei Dank aussterbende Spezies) darf man sie aber deshalb auch nicht mehr allzu ernst nehmen. Hiermit von meiner Liste lesenswerter – und vor allem authentischer – Blogs gestrichen.

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Leandra 16. Februar 2016 um 9:36

Focus war schon immer ein oberflächliches dümmliches Blatt mit null Informationswert – die Bildzeitung der Möchtegern-Intellektuellen eben.
Daran hat sich bis heute nichts geändert und online ist der Focus noch mieser als offline.
Diese Zeitschrift inkl. Online-Auftritt könnte gerne verschwinden abder sie ist noch immer da.

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