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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Mehr dazu hier. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Aktienoptionen.

Welche magisches Wort. Welch Lockruf aus dem Paradies, diese schmeichelnden Silben aus einer schlaraffesken Zukunft.

Na gut, heute eher nicht mehr.

Aber damals, in der New Economy. Heute kann sich kaum noch jemand vorstellen, welchen Zauber dieser Begriff auslöste. Allüberall in der digitalen Wirtschaft arbeiteten damals die Ameisen des Web für geringe Löhne – aber massig Optionen. Doch als die Märkte krachten schaffte es manche Firma nicht mal mehr an die Börse. Und so wurde aus dem Luftvermögen eine Luftblase.

Am 11.9.2000 widmete Netzwert-New-York-Korrespondentin Sigrun Schubert diesem Thema die Rubrik „E-Mail aus…“. Schon damals hatten manche Startups, vor allem an der Ostküste, Nachwuchsprobleme. Denn die gut Studierten wollten Bares sehen. Das aber gab es woanders: Weshalb eine Umfrage ergab, dass nur noch 18% der Graduierten von Elite-Unis zu einer Internet-Firma wollten – aber 67% zu Investmentbanken oder Unternehmensberatungen. Das Einstiegsgehalt solcher Absolventen lag damals übrigens bei 93.000 Dollar plus Boni von 37.000.

Schubert folgerte für die Web-Firmen damals, sie stünden vor einem Teufelskreis: „Denn bevor die Börsenkurse wieder steigen und Aktienoptionen zum Anreiz für Bewerber werden, müssen Gewinne her. Nur ist das doppelt schwer mit Bilanzen, die durch überhöhte Personalkosten belastet sind.“

Ein Hoffnungswert war auch UDDI, oder auf lang: „Universal Description, Discovery and Integration“. Damit beschäftigte sich damals die Netzwert-Titelgeschichte „Bären auf der Jagd“. Die Jäger, das waren IBM, Microsoft und Ariba im Kampf mit Oracle und SAP. UDDI war ein Versuch der Standardisierung des Online-Handels vor allem im B2B-Bereich:

„Bisher sind elektronische Marktplätze nicht viel mehr als eine Kleinanzeige. Ein Unternehmen, das beispielsweise eine Lieferung Schrauben benötigt, schreibt diese auf dem Marktplatz aus. Dort melden sich Anbieter, per Auktion wird der günstigste Anbieter ermittelt. Dann folgt ein gelebter Anachronismus: Der Ausschreiber verständigt sich über die Lieferungsbedingungen per Telefon mit dem Lieferanten – denn oft können die Software-Systeme der beiden Unternehmen nicht ausreichend kommunizieren, um eine pure Computer-Verbindung automatisch zu erlauben.“

UDDI sollte als automatisierte Drehscheibe diesen Kontakt moderieren. Vielleicht weiß einer der Leser, warum – doch UDDI ist heute anscheinend kein Thema mehr. Auf jeden Fall berichtet Wikipedia, dass die Unterstützer Firmen den Katalog 2005 abschalteten.

Gleichzeitig war dieser Artikel aber auch Auslöser einer Debatte, die wir immer wieder bei Netzwert führten. IT-Themen lassen sich und ließen sich extrem schwer bebildern. Unser eigener Anspruch war es, möglichst wenig Monitore und Computer oder Menschen vor Monitoren und Computern abzubilden. So entstand auch das Bild der Bären auf der Jagd: Wir suchten eigentlich nach einem Motiv, das drei Gleichgesinnte darstellte als Symbol für IBM, Microsoft und Ariba. So stieß die Fotoredaktion auf die Bären – und wir schrieben den Artikel entsprechend um – was dem Silicon-Valley-Korrespondenten Rudi Kulzer, einem profunden IT-Fachmann aber eher nüchternem Autoren, so gar nicht recht war.

Den großen Harry-Potter-Rummel gab es im Jahr 2000 noch nicht (der erste Band erschien 1998 auf deutsch, wie Ingo Warnke in den Kommentaren dankenswerterweise erwähnt). Hätte es ihn gegeben, Juan Riere Pol hätte alle Vorlagen für einen Vergleich geliefert. 15 war der Mallorciner damals und bereits Chef eines Software-Unternehmens namens Babysoft. Logo: ein Schnuller. Umsatz: 1,8 Millionen Euro. „Bill Gates von Spanien“ nannte ihn das „Wall Street Journal“.

Und heute? Ist es stiller geworden. Was ja nicht schlecht sein muss. Wenn mein Spanisch reicht, dann ergibt sich aus diesem Interview, dass Riera Pol zumindest noch 2008 ein erfolgreicher Unternehmer im Web-Geschäft ist – was eigentlich auch mal eine Geschichte wert wäre.

Die Olympischen Spiele standen damals vor der Tür. Weshalb Netzwert einen Blick auf Sportportale warf. Deutscher Marktführer damals: Sport1. Ja, die gab es damals schon. Heute hat die Online-Marke die TV-Marke DSF geschluckt und war zwischenzeitlich profitabel. Andere dagegen gibt es so nicht mehr: Sport.de wollte an die Börse – heute gehört die Seite zu RTL Interactive. Und von Sportal wird auch recht wenig gesprochen.

Ein besonderes Schmunzeln löste bei der Lektüre im Jahr 2010 ein Artikel mit der Überschrift „Macht des Wissens“ aus. Untertitel: „Das Wissen der Welt füllt Lexika und drängt ins Internet. Wie dort aber Geld zu verdienen ist, wissen die Anbieter nicht so recht.“

Tja, sie sollten es auch nie erkennen. Da starteten Brockhaus und Holtzbrinck das Portal Xipolis (welch grauenvoller Name), das in vier Monaten 40.000 zahlende Abonennten generieren sollte, Bertelsmann konterte mit Wissen.de. Vermessen klingt heute das Zitat aus dem Hause Brockhaus: „Da Buch ist für ide schnelle Information absolut unschlagbar.“ Und Langenscheidt sekundierte mit einer Studie, nach der das Nachschlagen eines Begriffs in einem Buch 23 Sekunden und im Internet 4 Minuten und 12 Sekunden dauere.

Vier Monate später, am 15. Januar 2001, startete Wikipedia. Am 11. Februar 2008 kündigt Brockhaus an, sein gedrucktes Lexikon nicht mehr zu aktualisieren.

Ob die Schweizer Familie Steiner einen besseren Blick in die Zukunft lieferte? Sie zog zu jener Zeit in ein Haus in der kleinen Gemeinde Hünenberg. Unter dem Kampfnamen „Family Future“ sollte sie alles ausprobieren, was die Haushalts- und Unterhaltungselektronik hergab. Sie konnte per Handy den Backofen anwerfen, die Haustür per Fingerscan öffnen, die im Web bestellten Lebensmittel wurden in eine Kühlbox geliefert, die in die Hauswand integriert war.

Hinter dem Projekt steckten Metro-Grüner Otto Beisheim und sein Mitstreiter Hans-Dieter Cleven. Sie wollten so auch interessante Startups ausmachen, die es zu fördern galt. Immerhin lief das Projekt bis 2006, wenn ich die Homepage richtig deute.

Direkt neben dem Bericht, ein Schmunzler. Stefan Glänzer, Mitgründer des Online-Auktionshauses Ricardo und heute ein angesehener Investor, mit einem Bild wie aus der Jugend. Im Arbeitsplatz-Fragebogen nannte er als Lieblings-Netz-Seite www.blutgraetsche.de. Die gibt es heute so nicht mehr – vielleicht ist Glänzer inzwischen umgestiegen auf die Hartplatzhelden?


Kommentare


Ingo Warnke 13. September 2010 um 20:55

Apropos Wikipedia, das Jahr 2000 und die (Nicht)existenz von Harry Potter:

http://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Potter

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