Journalisten haben sehr oft eine besondere berufliche Deformation. Geht es um ihr Fachgebiet, kennen sie sich glänzend aus, können Zahlen aus dem Ärmel schütteln und zueinander in Bezug setzen, kramen wildeste Anekdoten aus der Historie hervor. Sprich: Sie sind Experten.
Ganz anders, geht es um die Branche, in der sie ihr Gehalt verdienen. Die meisten Journalisten beschäftigen sich herzlich wenig mit dem was in ihrem und anderen Verlagen wirtschaftlich so passiert, wer die handelnden Figuren sind, wie es mit Zahlen aussieht. Ich kenne viele Zeitungsredakteure, die nicht mal einen intensiveren Blick auf die IVW-Zahlen ihres Arbeitgebers werfen.
Und hier meine ich nicht, wie man annehmen könnte, den Nachwuchs. Nein, selbst Deutschlands angeblich bester Rechercheur fällt in diese Kategorie: Hans Leyendecker.
Er führte ein höchst unterhaltsames Gespräch mit „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann. Leider fragt Leyendecker sehr bodenständig, ich glaube, aus Diekmann hätte sich noch mehr herausholen lassen. Trotzdem: Das Interview macht Spaß.
Recht früh aber kommt eine Stelle, die für Leyendecker schon ein wenig peinlich ist. Sie geht so:
„SZ: Sie haben seltsame Vorstellungen von Gesundheit: Als Sie Bild-Chefredakteur wurden, lag die Auflage bei 4,5 Millionen. Heute liegt sie noch knapp über drei Millionen. Sieht so Erfolg aus?
Diekmann: Wenn Auflage der wichtigste Maßstab für ökonomischen Erfolg wäre, dann hätte die SZ mit ihrer stabilen Auflage im vergangenen Jahr wohl kaum neun Millionen Euro Verlust gemacht. Bild hingegen erzielt Jahr für Jahr Rekordergebnisse – und wir müssten in diesem Jahr wirklich noch alles falsch machen, um zu verhindern, dass auch 2010 wieder das beste Jahr der Bild-Geschichte wird.
SZ: Die neun Millionen sind eine Behauptung von Ihnen, die im Übrigen nicht stimmt. Fest steht: Ihre Auflage sinkt und sinkt.“
Ach, die neun Millionen stimmen nicht? Damit täuscht Leyendecker vor, diese tatsächliche Zahl unterscheide sich signifikant. Wenn dem so ist, so möge er dies mal seinen Konzernbetriebsrat Harald Pürzel mitteilen. Der sah dies nämlich in den Abbauwirren des vergangenen Jahres anders, wie er dem „Focus“ verriet:
„Der rückläufige Anzeigenmarkt macht dem Traditionshaus zu schaffen. Laut Pürzel rechnet das Unternehmen in diesem Jahr mit acht bis zehn Millionen Euro Verlust.“
Selbst wenn es acht Millionen waren, so liegt Diekmann eben nicht fürchterlich falsch. Entweder Leyendecker betreibt hier PR im Sinne seines Arbeitgebers. Das aber dürfte er eigentlich nicht. Schließlich ist er zweiter Vorsitzender des befremdlichen Journalisten-Geheimbundes „Netzwerk Recherche“ – und dieses wütete in seinem Medienkodex doch noch gegen Journalisten, die PR machen. Oder aber Leyendecker weiß es nicht besser.
Beide Optionen sind für ein mindestens ein klein wenig peinlich.
Kommentare
Thomas Mrazek 10. September 2010 um 13:53
Thomas, da musst da aber auch genau sein: Leyendecker führte das Gespräch zusammen mit Marc Felix Serrao, es kann also genauso gut sein, dass dieser die Zahl negierte. Dann wäre das Leyendecker-Bashing allerdings futsch. Die Geschichte mit dem „befremdlichen Journalisten-Geheimbund“ Netzwerk Recherche (ich bin da auch Mitglied) dann noch weiterzudrehen und Leyendecker PR-Dienste für das eigene Haus zu unterstellen – sorry, da hast Du ein bisschen arg aufgeblasen.
Sascha Stoltenow 10. September 2010 um 14:06
Im Übrigen halten die Kollegen der SZ auch Medienpreise für Beweise: http://bendler-blog.de/2010/09/10/journalistische-un-logik/
Das bedeutet: Eine PR-Aktion (Medienpreis) wird von Journalisten herangezogen, um PR für ihr eigenes Blatt zu machen. Willkommen in der Grauzone.
teekay 10. September 2010 um 20:56
Netzwerk Recherche my a*%! Durch einen mittelschnellen Blick auf’s Bildblog bekomme ich mehr kritischen Input zu Bild als durch diese extrem brave Interview. Und immer dieses Getue um Auflagenzahlen…Bild verdient durch die Webseite genauso wie SZ durch DVDs etc Geld macht. Ach ja, da wird diese Uralt-Kamelle vom Trittin-Foto ausgekramt-na, als ob es in letzter Zeit keine Fehler gegeben haette…ich finde es schade, dass Leyendecker an der Mythenbildung vom ach so popkulturellen Diekmann so einfach mit macht. Wie gesagt, 2-3 Wochen bildblog lesen und der ‚Coolheitsfaktor‘ von Diekmann und seiner Zeitung sind schnell dahin…
ralf kaiser 11. September 2010 um 5:06
Den Chefredakteur von BILD zu interviewen ist eine Chance. Vorbereitet und humorvoll könnte man Herrn Diekmann vielleicht einen frische Fehler bei den Fakten nachweisen, eine Verletzung des Persönlichkeitsrechtes oder ihn mal lächerlich machen. Herr Leyendecker und Herr Serrao aber waren offensichtlich faul.
Schade.
Pottblog 11. September 2010 um 7:00
Links anne Ruhr (11.09.2010)…
Duisburg (Loveparade 2010): Steuerzahler finanzierten die Katastrophen-Party (DerWesten) – Herne/Bochum: Abbindung Hordeler Straße: SPD macht Druck auf SPD (DerWesten) – Die Herner Ratsfraktion der SPD macht Druck auf die Bochumer SPD…
Bendler-Blog » Blog Archive » In der Grauzone – Arbeiten an der Schnittstelle von Journalismus und Militär-PR 28. September 2010 um 22:13
[…] niemand darauf hinweisen. Eine zusätzliche Bestätigung erfährt diese Forderung zudem durch die Kritik derer, die sich in der durch das netzwerk recherche markierten Grauzone vermutlich komfortabel […]