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Seien wir ehrlich: Fernsehwerbung ist Folter. Nicht erst jetzt, seit einiger Zeit oder einigen Jahren. Nein, sie war es schon immer. Wer glaubt, Menschen würden es mögen, bis zu acht Minuten am Stück größtenteils mittelmäßige und unlustige Kurzfilme zu betrachten, der glaubt, dass diese ein verdammt trauriges Leben haben.

Früher aus Sicht der Werbetreibenden wenigstens eines besser: Der Zuschauer konnte zwar nicht gezwungen werden, während der Werbeblöcke vor dem TV zu bleiben – aber er konnte hineingetrickst werden. Zum Beispiel durch ein geringes Angebot von Alternativ-Sendern – Umschalten brachte wenig. Oder durch die Parallelität von Werbeblöcken: Wenn auf dem anderen Sender auch nur Werbung lief lohnte das Zappen nicht. Oder durch das Bedienen des Kinder-Nerv-Faktors: Der Nachwuchs wollte Mainzelmännchen oder Ute, Schnute und Kasimir sehen – und quängelte wenn die Erziehungsberechtigten zur Fernbedienung griffen (so es die damals schon gab). (Foto: Shutterstock)

Heute entzieht sich ein großer Teil der TV-Bevölkerung der Folter. Die Kinder gucken längst was ganz anderes, digitale Videorekorder lassen einen die Werbung überspringen. Und überhaupt gönnen sich gerade jüngere, gut verdienende und gebildete Menschen – eben die attraktivsten Werbeziele – alle technischen Möglichkeiten, damit Werbung sie nicht beim Fernsehen behindert.

Doch an Fernsehwerbung geht derzeit trotzdem nichts vorbei, klagen die Werbetreibenden. Nun, derzeit noch nicht. Übersehen wird aber eines: Die Seifenoper ist längst zurück – im Web.

Dort entstehen immer mehr Formate, sowohl Audio wie Video, die getrieben sind von der Kreativät ihrer Macher – und häufig genug von ihrem Frust, bei großen Medien Ideen nicht so umsetzen zu können, wie sie das gerne tun würden.

Angefangen hat es mit Talkshow-Formaten. Nehmen wir nur Diggnation: Da setzen sich zwei schlagfertige Typen vor eine Kamera und reden bei einem Bier über Geschichten aus dem Internet. Bis zu einer Viertelmillion Menschen wollen das sehen und wenn Kevin Rose und Alex Albrecht Live-Shows machen kommen Tausende. Leider werden sich die beiden ab Jahresende nur noch auf gelegentliche Live-Sendungen beschränken.

Nicht nur, dass Unternehmen als Präsentatoren auftreten: Völlig ungezwungen lassen sich Rose und Albrecht von Firmen einladen – legen das aber offen. Und genau dies verändert sich eben in jener neuen Welt. Werbung ist akzeptiert, wenn sie transparent ist. Genauso aber lehnt Diggnation Werbepartner ab, die ihnen nicht gefallen, wie mir Kevin Rose versicherte.

Ganz ähnlich funkioniert es in einem meiner Lieblings-Podcasts: Twit – This Week in Tech. Dort gibt es keine Werbespots: Moderator Leo Laporte spricht über die Sponsoren, beschreibt ihr Leistungen und lobt sie. Stören tut das anscheinend niemand, er selbst behauptet Gutschein-Codes, die er über die Sendung bekannt gibt, würden hervorragend laufen. Gerade weil bei diesen Formaten das Produkt unmittelbar mit der Person des Moderators verbunden wird, dem die Hörer/Zuschauer eine gehöriges Maß an Glaubwürdigkeit zusprechen (sonst würden sie ihm nicht ihre Zeit schenken), dürfte diese Form der Werbung erheblich effiziente sein als klassische Spots.

In einem Punkt allerdings kollidieren die Riten der Werbetreibenden mit dem Aufbau des Web. Werbung ist in den vergangenen Jahren immer kampagnengetriebener geworden. Ist eine Kampagne beendet wollen viele Unternehmen alles vernichten, nichts soll mehr bleiben. Das funktioniert bei den neuen Seifenopern nicht mehr: Hier bleiben die Präsentatoren auf immer festgehalten. Die einzige Alternative wäre die Werbung über einen Adserver einzuspielen. Nur: Der Produzent der jeweiligen Sendung müsste sich dann einen eigenen leisten um die Werbung noch so filtern zu können – und das dürfte zu aufwändig sein.

Nach den Info-Formaten steigt nun die zahl der fiktionalen Web-Angebote. Und auch sie suchen Sponsoren, Präsentatoren – möglicherweise ist sogar Product Placement möglich. Durch einen „Wired“-Artikel wurde ich auf drei spannende Ideen aus den USA aufmerksam.

Odd Job Nation: eine Comedy um Verzweiflungs-Jobs in den Zeiten der Wirtschaftskrise:

Inst Msg: Echte Tweets, Blog-Einträge und Web-Trends werden in Satire verwandelt – zum Beispiel LOL-Katzen

The Mercury Men – eine noch nicht gestartete Science-Fiction-Serie:

Auch hier kommt es zu einem kleinen Kulturkampf zwischen Werbetreibenden und Inhalteanbietern. Um die Shows zu verbreiten hilft es, sie auf jeder Seite einbindbar zu machen. Das aber bedeutet auch: Wer die Shows sponsert weiß nicht exakt, in welchem Umfeld der Zuschauer die Show sieht. Das könnte die Extremkonservativen abschrecken – sie haben sich an totale Kontrolle gewöhnt (was auf Dauer im digitalen Zeitalter natürlich ohnehin nicht mehr funktionieren wird).

Zugegeben: In Deutschland sind wir noch nicht so weit. Das liegt natürlich auch an der Marktgröße: Wer in den USA etwas startet sendet in die ganze Welt – in Deutschland beschränkt sich das auf die Heimat, Österreich, Schweiz und ein paar Menschen, die Kafka im Original lesen wollen und deshalb Deutsch lernen. Somit sind die Vermarktungsmöglichkeiten von Anfang an beschränkt. Hinzu kommt eine generelle Technikfeindlichkeit in Deutschland.

Manches wird hier auch zu deterministisch angegangen. So hält sich die Meinung, im Web müsse alles unbedingt kurz sein. Eines der deutschen Web-TV-Portale nennt sich dann auch gleich mal 3min. Muss es aber gar nicht. Die Macher selbst bekommen genügend Rückmeldungen als dass sie entscheiden können, welche Länge die passende für ihr Format ist.

Es wird also noch ein wenig dauern. Doch bin ich absolut sicher, dass wir auch hier zu Lande reine Web-Formate erleben werden, die für Werbetreibende interessant sind. Und nach einiger Zeit werden sie sich sogar rechnen: Weil ihre Macher nicht den gewaltigen Wasserkopf mit sich herumtragen, der einen wirtschaftlichen Erfolg solcher Formate bei großen Medienhäusern verhindern würde.


Kommentare


sabinehaas 9. Juli 2010 um 11:17

Die aufgezeigten Trends finde ich sehr interessant und sie zeigen ein Angebot, das sich ergänzend zu den etablierten Formaten entwickelt. Aber die Überschrift finde ich sehr verwirrend: All das sind keine Seifenopern. Es ist nicht einmal Fernsehen. Denn um eine Daily Soap zu machen, bedarf es dann doch mehr als nur ein paar Clicks im Web. Und damit ist auch die Diskussion um Werbung eine ganz andere: Langfristige Werbestrategien an einer festen Zielgruppe zu ermöglichen – das ist ein Kern-Erfolgsfaktor von Daily Soap. Und das ins Web zu übertragen, ist mindestens noch ein ganz weiter Weg.. 🙂

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Dierk 9. Juli 2010 um 12:34

Diese Form der Werbung hat allerdings so manchen Haken, von denen der nicht geringste die durch den Gesetzgeber verlangte Trennung von Redaktion und Werbung ist. Wir können uns doch nicht über Schleichwerbung bei der ARD oder Product Placement in einem James-Bond-Film* aufregen, dann aber eben diese im Internet zulassen, nur weil es neu ist. Sicherlich ist die Trennung nicht ganz einfach, jeder Test der Stiftung Warentest, jeder Produkttest im Ratgeber Technik [von den PR-Beiträgen bei derPro7SAT1-Gruppe ganz zu schweigen] ist Werbung. Und sie ist transparent – ebenso wie der klassische Werbespot, die Anzeige oder die Großfläche.

Das wir uns nicht falsch verstehen, meiner Ansicht nach ist Mundpropaganda im Sinne der Empfehlung die beste Werbung, die jemand machen kann, ob diese allerdings akzeptiert wird, wenn das Umfeld professionell ist – der Tester/Moderator also wie die Abenteuer Leben und Galileo Typen rüberkommen -, bezweifle ich einmal ganz unfrech.

*Wobei PP bei Bond seit 1953, also dem ersten Roman von Ian Fleming, wesentliches Charaktermerkmal ist. Aber das erfordert einen eigenen Blog-Eintrag.

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Thomas Knüwer 9. Juli 2010 um 13:12

@SabineHaas: Die Bezeichnung Seifenoper bezog sich nicht auf den Inhalt sondern auf die Entstehungsgeschichte des Begriffs: die Finanzierung von Programmen durch Hauptgeldgeber aus der Wirtschaft wie einst Procter & Gamble.

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Thomas Knüwer 9. Juli 2010 um 13:14

@Dierk: Die Trennung von Redaktion und Werbung ist aus meiner Sicht bei der klaren Nennung von Sponsoren klarer als bei den meisten klassischen Medienformaten, die wir kennen. Bei fiktionalen Formaten taucht das Problem des Product Placements in der Tat auf. Ich persönlich würde da auch das Präsentieren von Formaten für die bessere Lösung halten.

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Neue Inhalte im Fernsehen – übers Web | Content Crew 12. Juli 2010 um 14:01

[…] Der sehr empfehlenswerte Artikel über Web-TV in Knüwers Indiskretion Ehrensache » […]

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Hypothese: Product Placement steigert langfristig die Qualität des TV Programms « roederhallo 8. September 2010 um 9:42

[…] nicht-klassischen Instrument Placement einen nicht-klassischen Weg der Verbreitung wählen. Erste Ansätze des webTV gibt es schon und Hulu steht in den Startlöchern für den Sprung über den Atlantik (siehe auch […]

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