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Nichts ist überraschender als Ökonomie. Zumindest erscheint es so, verfolgt man Medien, die über volkswirtschaftliche Trends und Kennziffern berichten. „Deutsche Wirtschaft wächst überraschend“, „Konsumklima verbessert sich überraschend stark„,  „Ifo Geschäftsklima-Index legt überraschend zu„, „Die Inflationsrate sank im Juni nach vorläufigen Zahlen überraschend deutlich“ – so geht es ständig zu im Reich der VWL. Es scheint, das Leben eines Ökonomen ist ein nicht enden wollendes OH!AH!UI! und Gehmirwechichfassetnich.

Nun ist das Leben ja voller Überraschungen – doch so viele?

Nein, diese Wahrnehmungen der Überraschungen deutet daraufhin, dass Ökonomen ein Vermittlungsproblem haben. Sie können der breiten Öffentlichkeit kaum verständlich machen, was in ihrem Feld passiert. Das ist bitter. Denn selten war das Interesse an ökonomischen Zusammenhängen größer. Und nie war es nötiger zu erläutern, was in der Welt der Wirtschaft vor sich geht. (Foto: Shutterstock)

Also versuchen andere sich in der Interpretation der gesamtwirtschaftlichen Lage – Ökonomie-Blogs. Auch in Deutschland sind – mit reichlich Verspätung – einige entstanden, die durchaus lesenswert sind. Zum Beispiel Egghat, Weissgarnix, das Blicklog oder Markus Gärtners Blog.

In den USA gibt es da noch reichlich mehr – inzwischen mit teils erstaunlichem Einfluss. Das gefällt nicht jedem.

Und so keilte jüngst Kartik Athreya von der Landeszentralbank Richmond aus, wie „Handelsblatt“-Ökonomie-Experte Olaf Storbeck in seinem Blog schreibt. Einen offenen Brief hat er veröffentlicht, in dem er unter anderem schreibt, Ökonomie-Blogs hätten absolut nichts interessantes über Ökonomie zu erzählen.

Sie ahnen die Reaktion: wütender Gegenwind aus Reihen der Kritisierten. Den passendsten Kommentar lieferte dabei für meinen Geschmack The Money Illusion:

„If Athreya really thinks we are so shallow, then I encourage him to enter the fray, start his own blog.  I’d love to debate monetary policy with him.“

Bemerkenswert: Jener offene Brief ist inzwischen nicht mehr öffentlich erhältlich. Storbeck hat ihn aber mal sicher verwahrt.

Zur Haltung des Zentralbankers passt wunderbar das, was „Guardian“-Chefredakteur Alan Rusbridger heute morgen bei einer Skype-Keynote für das Medienforum NRW sagte: „Viele Blogger sind interessante und kompetente Autoren. Wer das ignoriert, ignoriert die Krise der Medienbranche.“

So ähnlich ist es auch in der Ökonomie. Sie muss raus aus ihrem Elfenbeinturm und rein in Blogs und Social Media. Muss erklären, wie sie die Welt sieht – und diskutieren mit jenen, die es anders sehen.

Immerhin: In Deutschland scheint sich langsam etwas zu bewegen. Die „Financial Times Deutschland“ befragte jüngst 1100 Ökonomen und ihr Fachmann fürs Volkswirtschaftliche, Thomas Fricke, schreibt dazu unter anderem:

„Fast jeder Zweite stimmt stark zu, dass die bisher hermetisch wirtschaftlich denkende Zunft (Motto: Wir bieten ökonomische Ideallösungen, die Umsetzbarkeit ist nicht unser Ding) mehr von Psychologen, Soziologen und anderen lernen sollte – um Krisen zu verhindern, in denen es um Herdentriebe und andere Psychophänomene geht.“

Und beim Handelsblatt bloggt ja immerhin mit Harald Uhlig einer der Angesehenen seins Fachs – wenn auch mit desaströsem Layout und leserunfreundlicher Technik.


Kommentare


Dierk 29. Juni 2010 um 17:18

Ich hatte bisher immer den Eindruck, die Überraschung sei auf Seiten der selbst und so genannten Experten. Wenn den ein Wirtschaftsprofessor/-doktor/-experte mal eine greif- und überprüfbare Voraussage macht, ist sie sehr oft falsch. Daraus folgt, dass entweder unsere Experten keine sind oder Ökonomie ist so wichtigen Disziplinen zuzuordnen wie Astrologie und Handlesen – nur nebulöse Aussagen, die als Unterhaltung zu gebrauchen sind, aber mehr auch nicht.

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Dirk Landau 29. Juni 2010 um 19:12

@Dierk: Gewiss, wer als „Experte“ durch die Medien geistert ist nicht unbedingt einer (mit Ausnahme natürlich der o. a. Blogger) . Aber die Wirtschaftswissenschaften als solche sind alles andere als „Grenzwissenschaft“.
Besorg Dir mal irgendeine VWL-Dissertation von vor 20-30 Jahren, lies und staune!

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Think Tank Directory » Blog Archive 29. Juni 2010 um 20:48

[…] „nichts interessantes über Wirtschaftspolitik zu sagen haben“. Im Gegenteil, findet der Medienberater Thomas Knüwer: die Wirtschaftswissenschaft „muss raus aus ihrem Elfenbeinturm und rein in Blogs und Social […]

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Finmike 30. Juni 2010 um 13:11

Desaströses Layout beim HB? Ja, sicher, die Bleiwüste ist nicht sehr lesefreundlich. ACK. Aber das mit der Spaltenbreite, die fleissiges nach unten Scrollen vom Leser verlangt, das geht auch hier. Und leider zu oft auch anderswo.

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dogbert 1. Juli 2010 um 9:32

Schöner Einwurf von TK

Ich will mir Athreyas Welt der ökonomischen Debatte gar nicht vorstellen. Konsequent weiter gedacht müssten nicht nur die Blogs, sondern auch Medien und vor allem die Politiker schweigen zu ökonomischen Sachverhalten. Äußern „dürfen“ sich nur diejenigen, die jahrelang theoretisch und empirisch geforscht haben. Unsere Lektüre beschränken wir dann auf wissenschaftliche Journale. In diesen Wochen würden wir dann vielleicht erstmals etwas über die Pleite von Lehman erfahren.

Wie ein Wissens-Transfer zu denjenigen erfolgt, die mit den ökonomischen Empfehlungen leben müssen, bleibt unklar.

Athreya hat eine falsche Vorstellung von Blogs, wobei es „die Blogger“ ohnehin nicht gibt. Blogs stellen Fragen, spülen versteckte Informationen nach oben, versuchen sich in qualifizierter Meinungsäußerung und stoßen Diskussionen an. Wir haben gar nicht den Anspruch, es besser zu wissen. Wir glauben aber auch nicht, dass die Ökonomen es besser wissen.

Besten Dank
D

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Maurice Lagesse 2. Juli 2010 um 19:43

Die in den Medien täglich zitierten „Überraschungen“ gehen meiner Meinung nach eher weniger auf Vermittlungsprobleme der Ökonomen zurück, sondern haben ihre Ursachen vielmehr in den sogenannten Konsenserwartungen oder -schätzungen.

Täglich werden vielerlei Indikatoren und Einschätzungen aus der Welt der Wirtschaft erhoben. Inflation, Arbeitslosenzahlen, Befragung der Stimmung von amerikanischen Einkaufsmanagern oder deutschen Exporteuren…

Ziel dieser ganzen Erhebungen ist, sich ein Bild über den gegenwärtigen und möglichst auch über den künftigen Zustand der einzelnen Volks- oder der Weltwirschaft zu machen. Selbst wenn man jedoch jeden Indikator ganz exakt messen und gewichten könnte, würde sich wahrscheinlich trotzdem noch ein disparates Bild sich teilweise widersprechender Zahlen ergeben.

Nun bilden sich zu den einzelnen Werten sog. Konsenserwartungen, das heißt, es wird sozusagen ein Durchschnitt oder Median der verschiedenen Schätzungen genommen, der so etwa die Mehrheitsmeinung der Ökonomen oder Marktteilnehmer oder der befragten Manager spiegeln soll.

Kommt nun eine exakte statistische Messung ex post, z.B. der Inflationsrate des letzten Quartals heraus, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß diese von dem ungefähren Durchschnitt aller Meinungen abweicht. Das ist nicht weiter verwunderlich – das Gegenteil wäre es schon eher.

So kommt es aber fast täglich zu diesen Abweichungen, die häufig von den Medien als tolle Überraschungen hyperventiliert werden. Und je mehr Indikatoren der öffentlichen Beschau unterliegen, umso mehr Überraschungen werden zwangsläufig produziert.

Alles in allem kein Grund zu besonderer Aufregung, man sollte sich nur stets darüber im Klaren sein, daß „Konsensschätzungen“ eben auf „Schätzung“ betont werden sollten und daß die Welt der Wirtschaft reichlich komplex ist und sich nicht mit einer Zahl messen läßt.

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Ökonomen erklären uns nicht mehr die Ökonomie « Blick Log 8. Juli 2010 um 0:15

[…] von Bloggern erklären. Auch wenn sich schon die “Blogkollegen” von Economics Intelligence, Indiskretion Ehrensache, egghat, Weissgarnix und viele mehr ins Zeug geworfen haben, will ich meinen theoretisch nicht […]

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