Ist die ARD ein einziges Unternehmen? Schwierige Frage. Einerseits ist sei ein Verbund aus einzelnen Sende-Anstalten – andererseits brüstet sie sich mit spektakulären Verpflichtungen wie Harald Schmidt für das eine, große ARD-Programm.
Und deshalb ist die Frage auch nicht ganz einfach zu beantworten, ob Mitarbeiter der Anstalten eine Loyalitätspflicht gegenüber dem Konstrukt ARD haben.
Sicher aber ist: Udo Reiter, Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks scheint eine solche nur in Grenzen zu empfinden. Reiter twittert – und das ist gut so (Bevor Diskussionen aufkommen: Die Echtheit des Account ist vom MDR bestätigt).
(Foto: Shutterstock)
Sonderlich interessant ist es im Großen und Ganzen nicht, weshalb ihn nur magere 1560 Menschen mitlesen. Er kommt ein wenig… grantelig daher. Heute morgen nun ist der Herr über das von Volksmusikanten und Heimatfilmen beherrschte Programm offensichtlich verknustert erwacht.
Grund ist der Sieg von Lena Meyer-Landrut bei „Unser Star für Oslo“, dem Vorentscheid zum Eurovision Song Contest. Reiter twitterte:
„Singen kann sie nicht, aber ihr Großvater war deutscher Botschafter in Moskau: Andreas Meyer-Landrut. #usfo“
Hinterfragen wir zunächst die logische Ebene: Was hat die Gesangsqualität einer Frau mit dem Berufs ihres Opas zu tun? Wird sie dadurch ein besserer Mensch? Werden Kritiker dieses Blogs demnächst schreiben: „Knüwer ist zwar dumm wie Flipper, aber sein Großvater war Verkehrspolizist in Breslau?“
Vor allem aber geht es natürlich um die grundsätzliche Frage, ob der Intendant einer ARD-Anstalt ein Produkt aus dem Verbund öffentlich derart kritisieren darf. Erst recht, wenn diese Kritik nicht aufgehängt wird an der Qualität einer Sendung – sondern am eigenen Musikgeschmack.
Kommentare
Hannes 13. März 2010 um 12:24
Hehe, ich finde das macht doch gerade Social Media bzw. neue Kommunikationskultur in Unternehmen aus.
Auch Funktionsträger sollten doch Ihre eigene Meinung Kund tun können. Vielleicht sollte mal nen Tag dafür einführen #ME (Meinung, eigene 🙂
Und über nichts lässt sich so wunderbar zanken wie Geschmack 😀
lg Hannes
Hannes 13. März 2010 um 12:34
P.S. Außerdem gibt jede Meinungsäußerung einen Teil des Charakters preis, hier natürlich wenig, was es mir ermöglicht, diese Person besser einzuschätzen.
z.b. followe ich seit 10 min. Udo Reiter, was mir bei einem reinen MDR-PR-Account nie einfallen würde.
J 13. März 2010 um 13:01
Oh Mann, natürlich ist die ARD kein einziges Unternehmen, zu mal die Sendung „Unser Star für Oslo“ ein Produkt von Brainpool ist. Deswegen darf ja, interessanterweise auch Werbung auf der Webseite geschaltet werden.
Weiter, wie soll denn Herr Reiter seine Loyalität verletzt haben? Er hatte eine Meinung welche von beiden Mädels besser ist, so wie min. 2 Millionen andere Deutsche auch, und mindestens halb Twitter-Deutschland auch. Damit hat er nicht das Produkt an sich schlecht gemacht, sonder geäußert, dass er es vll. besser gefunden hätte, hätte die andere gewonnen.
Der Hinweis mit dem Großvater: Natürlich macht das Lena Meyer-Landrut nicht zu einem besseren Menschen und darauf wollte Herr Reiter auch nicht hinaus, sondern es ging ihm um die Punkte Verteilung beim Contest und das der Umstand den russischen Botschafter zum Vater vielleicht 12 Punkte aus Russland bescheren könnte.
Herr Reiter twittert sehr unabhängig, meinungsstark und oft auch kantig, da waren schon stärkere Spitzen auch gegen den eigenen Laden dabei. Nun aus der Meinung zu einer Sängerin einen Skandal schüren zu wollen…
Besim Karadeniz 13. März 2010 um 13:17
Sagen wir mal so: Die ARD wird den MDR für die kritische Aussage gegenüber dem ARD-Apparat wohl kaum herauswerfen. Udo Reiter war und ist schon ein eher unbequemer Intendant, weshalb die Radio- und Fernsehprogramme des MDR, sagen wir es freundlich, für den im Westen aufgewachsenen Bundesbürger gelegentlich schon sehr irritierend daherkommen. So lange er nicht gegen die Ministerpräsidenten der MDR-Länder aufmuckt, darf er vermutlich alles tun, ohne dass er auch nur im geringsten wackelt.
Paul 13. März 2010 um 13:47
Flipper zählte sicherlich zu den intelligentesten Delfinen unserer Zeit. Ich finde diesen Vergleich sehr vermessen!
Jeeves 13. März 2010 um 13:48
Antwort zur Frage am Schluss: Ja.
lupe 13. März 2010 um 14:04
Habe die Siegerin heute Morgen beim Rasieren im Radio gehört und mich beinahe geschnitten – so durchschauerte mich der Gedanke: So was wird gesendet?
So schaurig war der Gesang.
Peter Stawowy 13. März 2010 um 14:32
Naja, wenn man die Tweets von Reiter so verfolgt, dann merkt man schon, dass da häufig eine gewisse ironische Distanz mitschwingt. Woraus man schließen kann, dass Reiter eher als Privatperson denn als Intendant twittert. Der Verweis auf den Großvater mag verquer wirken, passt aber irgendwie in die Linie.
Ich glaube, Deine Kritik funktioniert im Umkehrschluss nicht oder würde im Zweifel heißen, er solle lieber nicht twittern. Der MDR-Intendant hat eine eigene Meinung. Bei der Masse an Programm, dass die ARD rauspustet, ist es schlicht unmöglich, immer alles gut zu finden. Warum also sollte er nicht eine differenzierte Meinung zu USFO haben und diese öffentlich äußern dürfen (was er öffentlich übrigens regelmäßig macht)?
Kleine Insider-Info am Rande: Die Gerüchteküche zwischert, dass der Herr Intendant seine Tweets mit dem Füller schreibt. Eine bei Twitter nicht ganz unbekannte Schriftstellerin gibt diese dann ein. Heißt es.
Camillo Schumann 13. März 2010 um 14:58
Udo Reiter ist neben seiner Tätigkeit als Intendant des MDR auch ein Mensch mit eigener Meinung. Gott sei dank. Wieso geht es um die Frage: ob der Intendant einer ARD-Anstalt ein Produkt aus dem Verbund öffentlich derart kritisieren darf? Für mich stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Wenn sich ein Intendant nicht mehr kritisch (war es das überhaut?) über ein Produkt äußern darf, dann hätten wir die alten DDR-Zeiten wieder. Auch die Formulierung „derart kritisieren darf“finde ich leicht unpassend. Auch wir Journalisten sollten ab und zu mal die Kirche im Dorf lassen. Ich hätte mich an dieser Stelle über mehr Informationen gefreut, damit man sich selbst eine Meinung bilden kann. Schade, dass man in Blogs auch nur Polemik findet. Außerdem: Wieso sind 1560 Follower mager? Ihm geht anscheinend um Qualität und nicht um Quantität. Oder wie soll ich mir @sexproducts bei den Twitter-Followern des Autors dieses Artikels erklären 😉
Tom (C:= 13. März 2010 um 21:16
Herr Reiter hat sicher sowohl ein Recht auf eine eigene Meinung als auch auf einen eigenen Musikgeschmack. Ich sehe nicht, dass das ein Problem sein könnte.
Jordanus 13. März 2010 um 21:41
Zurück zu den interessanten Fragen: War Dein Großvater wirklich Verkehrspolizist in Breslau?
vivec 14. März 2010 um 1:10
Flipper ist bestimmt intelligenter als die meisten Menschen. Allein schon daraus ersichtlich, dass er kein DSDS guckt.
Alphager 14. März 2010 um 1:33
Hm, Hr. Knüwer, sie kritisieren allerorts, dass reine PR-Senderei im Web 2.0 nicht funktioniert, und wenn dann ein WDR-Intendant dann mal persönlich wird ist es auch wieder falsch?
Natürlich hat der Kerl das Recht, etwas schlecht zu finden.
Thomas Knüwer 14. März 2010 um 9:25
Tja, liebe Leute, dann ziehen wir mal einen Vergleich. Andreas Renschler ist Nutzfahrzeugevorstand von Daimler Benz. Was würde passieren, wenn er über ein Firmenorgan erklären würde: Michael Schumacher kann zwar kein Auto fahren, sein Großvater war aber wenigstens Rheinländer?
Das gäbe einen riesigen Wirbel und er dürfte sich Sorgen um seinen Job machen. Denn sein Arbeitgeber hat Geld in ein Projekt gesteckt und er redet dieses Projekt schlecht.
Herr Reiter hat eine eigene Meinung und einen eigenen Geschmack. Prima, darf er. Nur: Er äußert diese über einen Kanal, der als Kanal seines Arbeitgebers gekennzeichnet ist. Der Account heißt @MDRreiter. Und er wurde per Pressemitteilung als echt verkündet.
@Alphager: Und nun sind wir beim Knackpunkt. Denn ich bin ja absolut dafür, dass Sender (und Unternehmen) kommunizieren. Nur muss man sich auch jederzeit bewusst sein, was man da schreibt.
Was hätte Herr Reiter wohl gesagt, hätte @mdrandreasbrueckner (einer der Nachrichtenmoderatoren des Senders) getwittert: „Bei Musik für Sie kann keiner singen, aber wenigstens hatten sie nette Großväter“? Er hätte sich einen neuen Job suchen dürfen.
karen 14. März 2010 um 14:45
Insolenz*-Hemmschwelle sinkt kurvilinear mit gefühlter Machtfülle und/oder Jobsicherheit.
Umgekehrt sinkt Jobsicherheit in der sog. freien Wirtschaft exponentiell mit Fehleinschätzung des Insolenz-Freiraums.
*Eigene Meinung (EM) fällt im Angestelltenbereich je nach Meinungs-Richtung in die Kategorie Insolenz.
Daniel 15. März 2010 um 10:34
Was ist denn los Thomas Knüwer? So begeistert gewesen von dem Song, dass man beim kleinen Anflug von Kritik gleich ein riesengroßes Fass aufmachen muss? „Loyalitätspflicht gegenüber dem Konstrukt ARD“, „öffentlich derart kritisieren darf“ – „… riesigen Wirbel und er dürfte sich Sorgen um seinen Job machen. Denn sein Arbeitgeber hat Geld in ein Projekt gesteckt und er redet dieses Projekt schlecht.“ mannomann, geht’s vielleicht ’ne Nummer kleiner? Wir sind doch sonst nicht so strukturkonservativ in Sachen Kommunikation.
Thomas Knüwer 15. März 2010 um 11:42
@Daniel: Es geht nicht um den Song, sondern um eine Grundsatzfrage. Das gleiche hätte ich geschrieben, wenn Reiter über den Sender-Twitter-Account die Fähigkeiten eines Tagesschau-Sprechers kritisiert hätte.
Tim 16. März 2010 um 10:34
Wozu die Aufregung. Was soll man von einem Intendanten erwarten, dessen Sender etwa im Februar eine Sondersendung zum 40. Bühnenjubiläum der Puhdys gezeigt hat und auch sonst in Sachen musikalischer Unterhaltung vorzugsweise Künstler zeigt, die das Rentenalter erreicht haben.
Norbert Diedrich (Nordbergh) 16. März 2010 um 14:48
Was soll man von einem Sender erwarten, der sich MITTELDEUTSCHER Rundfunk nennt? Ich empfinde eher Mitleid für einen Intendanten, dessen Web 2.0-Kompetenz offenbar nur von seinem defekten Sozial-Ventil gesteuert wird. Zudem bestärkt es einmal mehr den Grundsatz: Twittere nie nach 22.00 Uhr, alkoholisiert oder in Trance (einer von den Zuständen muss vorgeherrscht haben). Abgesehen davon ist es doch großartig wieder mal zu sehen, dass den wachen Social-Media Augen nicht viel verborgen bleibt. – Ich find’s lustig und allemal spannender als der ganze Eurovisions-Dudel-Gedöhns-Wettberwerb (streng subjektiv betrachtet). Danke für diesen kurzweiligen Fund/Beitrag.
Wes Geistes Kind ist MDR-Intendant Udo Reiter? 4. Oktober 2010 um 17:10
[…] einmal kritisierte ich Reiters Twittereien, damals ätzte er gegen den Eurovision Song Contest – obwohl der ein ARD-Projekt ist. Ob er das nun darf oder nicht, war eine Ansichtssache. Und nun kommt wieder so eine. Denn […]