Wenn Geld verdienen so einfach wäre, wie sich das der Geschäftsführer der „Augsburger Allgemeinen“ vorstellt, dann würde es jeder machen. Auf den Medientagen zu München wurde nun das Iphone als neues goldenes Kalb durch die Kongresshallen gezogen. Und es sind schon ziemlich dumme Kühe, die das glauben, was versprochen wurde.
Gestern habe ich herzlich gelacht. Über Andreas Scherer, den Geschäftsführer der Presse-Druck- und Verlags-GmbH zu Augsburg, Mutterhaus der „Augsburger Allgemeinen“ und Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger. Bei den Medientagen zu München verkündete er angeblich ohne Anflug von Ironie, sein Haus werde online künftig auf Paid Content setzen: Es sei „fair“ den Leser an den Kosten zu beteiligen.
Vielleicht ist Herr Scherer Alt-68er. Oder er hat einfach noch nicht begriffen, dass in Deutschland die Marktwirtschaft das beherrschende, gesellschaftliche System ist und das Fairness in dieser eine untergeordnete Rolle spielt.
Geschäftsmodelle, jedenfalls, die auf „Fairness“ beruhen oder darauf, dass Kunden etwas „sollen“ oder „müssen“ funktionieren nur in einem Fall: Wenn sie vom Staat ausgehen. Vielleicht erklärt das ja die von der Regierung versprochenen staatlichen Subventionierungen für Tageszeitungen.
Scherers „Augsburger Allgemeine“, berichtet nun W&V, ist Teil einer Initiative von anscheinend primär lokalen Zeitungen, die eine Iphone-Anwendung mit Abo-Funktion errichten wollen.
Dahinter steckt die Firma Marktwert IT aus Grünsfeld. Weitere Einblicke gewährt der Medienberater Marian Semm (der erklärt nicht mit dem Projekt verbunden zu sein) in seinem Blog.
Ich bin bass erstaunt ob der Behauptungen und dem Glaube an die Zahlungsbereitschaft der Nutzer. Lustig, zum Beispiel, die Behauptung, das Iphone sei das „meistverkaufte Handy der Welt“. Man darf hoffen, dass hier W&V den Begriff „Smartphone“ geschludert hat – ansonsten ist dies eine grobe Falschinformation.
Das aber ist nur eine Kleinigkeit, betrachtet man das angestrebte Preismodell: 79 Cent pro Artikel oder Abo eines Kanals für 7,99 Euro im Monat.
Ich wähle mal ein Wort, das untertrieben scheint ob dieser Zahlen: Größenwahn. Ein Artikel online soll so viel kosten wie eine halbe Zeitung? Und noch dazu Artikel, die aus völlig unterschiedlichen Regionen kommen? Ein Augsburger soll toll finden, was in Koblenz geschrieben wird?
Semm liefert in seinem Blog schon mal die Argumente, warum diese Konstruktion nicht funktionieren wird:
„1) Es müssen wirklich hochwertige Inhalte ihren Weg in das System finden. Ergo müssen Verlage für einen Service wie Newspush einen weiteren, hochwertigen Kanal öffnen. Und sie müssen eine Linie finden, nun nicht mehr nur zwischen Inhalten für Print und Online unterscheiden sondern zwischen Print-Inhalten sowie freien und bezahlten Online-Inhalten – das kann auch bedeuten, bestehende Online-Auftritte zu beschneiden, damit die Inhalte wirklich exklusiv für den Bezahlkanal zur Verfügung stehen. Reichweite und Vermarktung gegen Paid Content.
(2) Der Push-Service macht natürlich nur dann Sinn, wenn die Redaktion tatsächlich im Online-First-Modus arbeitet und Nachrichten möglichst bald nach dem Ereignis oder dem Bekanntwerden eines neuen Faktums veröffentlicht, ein Übertragen von Nachrichten im “Nachtexport” wird dem Medium sicher nicht gerecht. Neben den technischen Änderungen muss die Redaktion in die Lage versetzt werden, zu entscheiden: Was wird wann in welchem Kanal veröffentlicht.“
Hochwertige Inhalte. Warum sollen die nun entstehen, da sie in dieser Form nicht mal in der Zeitung stattfinden? Umfallende Bäume für 79 Cent? Bevor jemand tatsächlich für diese Inhalte zahlt, müssten Zeitungen beginnen, nicht mehr zu berichten, was war – sondern was ist und sein wird.
In die Kategorie „Bizarr“ fällt die Behauptung, der „TKP für Verlage“ liege bei 320 Euro. Gemeinhin bezeichnet der Tausender-Kontakt-Preis (TKP) den Aufwand eines Anzeigenkunden, um 1000 Leser zu erreichen. Gerade im Print-Bereich ist dies die beliebteste Währung. Und: Aktuelle TKP bewegen sich in einem Bruchteil jener 320 Euro, online liegen sie oft genug unter 10 Euro.
Doch diese TKP-Behauptung, von W&V traurigerweise nicht im Geringsten hinterfragt, ist kompletter Unsinn.
Rechnen wir mal nach, wie die Zahl entstanden sein könnte. 79 Cent pro Meldung mal tausend Menschen, die sie erreicht – das macht 790 Euro Einnahme pro Push-Meldung.
Davon gehen 30 Prozent an Apple – so will es der Herr der Iphones.
20 Prozent gehen an Marktwert IT – so wollen es die Herren der Anwendung.
Bleiben noch 395 Euro. Von denen ziehen wir 19 Prozent Umsatzsteuer ab. Ergebnis: 320 Euro.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Die wolkigen Träume gründen darauf, dass jeder, der diese Anwendung kauft, tatsächlich akzeptiert die Push-Meldungen zu bekommen. Und zwar alle. Egal ob von der „Nordsee-Zeitung“ oder der „Augsburger Allgemeinen“.
Der siebte Himmel ist erreicht und gleich wird der achte in Angriff genommen: Ende 2010 sollen eine Million Nutzer diese Anwendung installiert haben. Vermutlich hat dann jemand den Verlagsgeschäftsführern erzählt, eine Meldung pro Tag würde ihnen 320.000 Euro in die Kasse spülen – macht 27.000 Euro pro beteiligtem Verlag, macht 9,8 Millionen Euro im Jahr.
Halleluja, die Rettung ist nah! Nie war es so einfach, Geld zu verdienen!
Fassungslos lese ich solche Meldungen. Wie verfehlt ist die Selbswahrnehmung solche Entscheider? Sicher: Man kann das einfach mal probieren, der Aufwand dürfte sich in verschwindend geringen Bahnen bewegen.
Gleichzeitig aber werden die tatsächlichen Chancen der Iphone-App verpasst. Lokalzeitungen hätten eine große Chance, mit ihnen Einnahmen zu generieren. Aber nicht, wenn mal wild Regionen paart und glaubt, den Nutzern wäre das egal.
Lokalzeitungsleser wollen genau das: Lokales. Und der Iphone bietet die Chance, ihnen Orientierung und Information für die Region zu bieten. Und, ja, damit lässt sich auch Geld verdienen.
Aber das erfordert Kreativität, Engagement und Qualität – nicht aber solch wirre Wolkenträume, wie sie bei den Medientagen präsentiert wurden.
Kommentare
Gackgackgack Paid Content Gackgackgack 25. Oktober 2012 um 9:18
[…] Tja, nur: Jenes Zitat von Andreas Scherer stammt – aus dem Umfeld der Medientage 2009. […]