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Gestern schrieb ich noch über den Staub der Gestrigkeit, der sich über den Medienstandort Nordrhein-Westfalen gelegt hat. Und prompt liefert Ministerpräsident Jürgen Rüttgers die nächste Vorlage. Denn eines gestern ist beim Kölner Medienforum untergegangen: NRW wird seine Zeitungsverleger subventionieren – es gibt Staatshilfen für Zeitungen. Politische Rhetorik ist schon lustig. Beispiel Jürgen Rüttgers. Da tönt der NRW-Ministerpräsident gestern: „Journalismus muss unabhängig bleiben.“ Keine Subventionen für Verlage. Basta. Und am gleichen Tag kündigt er an, Staatshilfen zu geben – er nennt sie nur anders.

Alle Neuntklässler in NRW sollen ein Jahr lang kostenlos eine tägliche Zeitung erhalten. 200.000 Schüler sind das. Die Finanzierung wird noch verhandelt, wobei es wohl eine Frage des Preises ist, den die Zeitungen ansetzen dürfen.

Im Artikel der „FTD“ heißt es:
„Der ZVNRW deutete an, dass die Zeitungshäuser eine finanzielle Beteiligung der Landesregierung befürworten.“

Von der Polit-Sprache ins Deutsche übersetzt heißt das: Entweder das Land zahlt oder es kann seine PR-Aktion in die Tonne kloppen.

Gehen wir also davon aus, das Rüttgers zahlt. Die denkbare Spannbreite des Preises ist ordentlich. Nehmen wir mal als Beispiel die „Westfälischen Nachrichten„, das einst mein Studium zu einem geringen Teil mitfinanzierten. An einem Wochentag kostet sie 1,20, Samstags 1,70 Euro. Diese Preise wären aber zu hoch angesetzt, es handelt sich um Abos. Jene kosten im Monat in jener Gegend, in der ich aufwuchs 24,10 Euro.

Der Preis könnte aber auch weit darunter liegen. Wenn die Abos vom Land eingekauft würden, wäre dieser ein Großabnehmer und die Lieferung könnte in den Bereich der Bordexemplare fallen. Dann würden pro Ausgabe nur ein paar Cent gezahlt.

Nun stellt sich die Frage: Werden die Exemplare nach Hause geliefert? Wenn dem so ist, wird es schwer, deren Erfolg bei jungen Lesern zu überprüfen. Wahrscheinlicher ist: Die Eltern schnappen sie sich. Und wenn diese Eltern bereits ein Abo haben – warum sollten sie für dieses weiter zahlen?

Kommen die Zeitungen aber in die Schule, sind sie wunderbares Unterrichts-Störmaterial – das wird die Lehrer freuen. Noch dazu dürfte die Verteilung ein sattes Chaos auslösen. Und: Die Verlage müssten in der Lage sein, an freien Tagen nicht zu liefern.

Zur Berechnung der Staatshilfe aber ist die Frage des Vertriebs dieser Exemplare wichtig. Werden sie nach Hause geliefert, läuft das Abo 12 Monate lang. Landen sie an der Schule müsste die Belieferung in den Ferien eingestellt werden.

Rechnen wir also mal.

1. Der Billigheimerfall:
Nettoschulzeit: 9 Monate
Zahl der Schüler: 200.000
Runtergehandelter Preis: 20 Cent
Gesamtaufwand: 7,2 Millionen Euro

2. Der Teuerfall:

Belieferungszeit: 12 Monate
Zahl der Schüler: 200.000
Abopreis: 24 Euro
Gesamtaufwand: 57,6 Millionen Euro

Kommt dieser Plan also durch, dann gilt festzuhalten: Das Land Nordrhein-Westfalen gewährt Zeitungsverlagen Staatshilfen.

Ob es den Zeitungen dann tatsächlich hilft, ist die andere Frage. Denn wie schon gestern geschildert: Jürgen Rüttgers hat es nicht so mit der Gegenwärtigkeit der Medienwelt.

„Jugendliche sollen ein Gespür für die Qualität einer Information entwickeln“, sagt er. Genau das aber könnte ja zum Problem für die Zeitungen werden. Die meiste Lokal- und Regionalzeitungen im Land sind in einem traurigen Zustand. Gerade jene Schüler, die sich mit der Nachrichtenlage auseinander setzen werden merken, dass da eine Lücke klafft zwischen dem Nachrichtenstand, den sie im Web bekommen und dem der Zeitung. Sie werden sich ärgern über Ungenauigkeiten, kleine Artikel und unkritische Lokalberichterstattung. Und sie werden sich fragen: Warum sollte ich die Zeitung dem Internet vorziehen? Und warum steckt der Rüttgers das Steuergeld meiner Eltern da rein?

Zeitungen sind nicht zu retten mit den Mitteln von gestern. Die Verlage müssen sich ändern – dann können sie sich selbst retten.


Kommentare


Muriel 23. Juni 2009 um 10:14

Erinnert mich an diese Aktion des Hamburger Abendblatts, die Große Bildungsinitiative.
Und wir können uns sicher alle noch erinnern, wie begeistert wir als Schüler gewesen wären, wenn wir jeden Tag eine Zeitung hätten lesen dürfen. Und wir hatten damals noch nicht mal so gute Alternativen…
http://www.bildblog.de/4529/wie-man-aus-einer-not-ein-geschaeft-macht/

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Lars 23. Juni 2009 um 10:24

Und man darf bei dabei auch nicht vergessen, dass der Haushalt NRWs alles andere als ausgeglichen ist. Die Kinder und Jugendlichen (und auch ich als junger Erwachsener) dürften es Rüttgers eher danken, wenn er einen ausgeglichenen Haushalt vorlegt (oder zumindest in diese Richtung arbeitet), anstatt das wenige vorhandene Geld noch in sinnlose Subventionspakete zu stecken.
Denn seien wir ehrlich: Wenn ein Schüler kein Interesse an Zeitungen oder Lesen hat, wird diese Zeitung ein Jahr direkt in den Papierkorb wandern oder von den Eltern gelesen. Wenn ein Schüler aber Interesse an Informationen oder Zeitungen hat, wird er sich diese entweder aus der Zeitung der Eltern beschaffen oder sich die Informationen aus dem Internet holen. Der einzige Fall in welchem diese Wahlkampfkampagne wirklich etwas bringen würde, wäre, wenn Schüler aus einkommensschwachen Familien Zugang zu Zeitungen bekämen, auf die sie sonst keinen Zugriff hätten. Dies sollte man dann aber gezielt und für die komplette Schuldauer machen, anstatt Gießkannenartig alle Schüler auszustatten.

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Jens Kürten 23. Juni 2009 um 10:27

Zeitungen für Schüler sind sicher eine gute Idee.Aber doch bitte nicht mit Steuergeld.Schon schlimm genug, dass meine Steuern den Neuwagenkauf subventionieren.Schüler an die Zeitungen heranzubringen ist originäre Aufgabe und Überlebenschance für die Zeitungen.Wird mit Projekten wie Schüler lesen Zeitung der RP oder Zeus der WAZ-Gruppe ja auch schon ganz gut gemacht.Kostenlose Abos für Studis gibt es ja auch häufig. Aber bitte Herr Rüttgers, nicht mit meinem Steuergeld.

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Treknor 23. Juni 2009 um 11:20

vor allem.. richtige Zeitungen.. und nich diese Lokalblättter die ihre Bedeutung schon vor 10 Jahren völlig verloren haben.. lächerlich das ganze.

Die Verleger haben einfach gepennt…und nun sind sie eben am Ende…schade um die Jobs…eine Katastrophe für die Angestellten die davon abhängen…

aber eine gerechte Strafe für die Verleger…und wieder stimmt der Spruch.. \“Wer zu spät kommtn den bestraft das Leben\“ …

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Rainersacht 23. Juni 2009 um 13:29

Die Aktion ist dermaßen absurd, dass einem nicht mal mehr was Satirische dazu einfällt (so in Richtung Fische einwickeln…).

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Huluk 23. Juni 2009 um 17:43

In meiner Klasse gab es mal eine ähnliche Aktion, wenn auch nur für einige Wochen. Die Zeitungen wurden zu einem Schüler geliefert, der sie dann morgens mitgebracht hat. Nach Wochenenden hatte der Ordentlich zu schleppen^^ Mir hat das ganze gut gefallen, den Unterricht gestört hat es aber schon ein wenig. So viele Sudokus und Kreuzworträtsel habe ich nie wieder in so kurzer Zeit geschafft!

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besser 23. Juni 2009 um 17:48

Herr Knüwer, Sie müssten doch wissen, dass die Verleger solche Aktionen doch lieben, um die Auflagen zu schönen. Im Endeffekt werden doch nur Minimalpreise angesetzt, dass das Land diese zum Teil trägt ist doch in Ordnung – es handelt sich doch um Unterrichtsmaterial. Also machen Sie doch aus so einer Mücke nicht schon wieder einen Elefanten.

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Saarlänner 23. Juni 2009 um 18:55

Das Projekt an sich ist gar nicht verkehrt und wird seit einigen Jahren erfolgreich im Deutschunterricht diverser Realschulen und Gymnasien fortgesetzt, meines Wissens stets in der 9. Klasse. Regelmäßig analysieren dort die Schüler zusammen mit ihren Deutschlehrern unterschiedliche Zeitungen. Vor allem im direkten Vergleich der Printmedien untereinander (zum Beispiel Süddeutsche vs. BILD vs. KSta) wurde den meisten der Schüler schnell klar, welche Zeitungen den Namen verdienen oder eben doch nur zum Fische einwickeln nutzen. Zum Einstieg wird übrigens oft der Klassiker \“Die verlorere Ehre der Katharina Blum\“ gelesen. Viele Artikel werden dann online nach-recherchiert und auf den Wahrheitsgehalt abgeklopft. Sofern nach solchen Projekten auch nur ein paar der Jugendlichen die Augen geöffnet werden, dass man nicht immer alles einfach so schlucken sollte, was in gedruckter Form daher kommt, kann das Projekt doch durchaus als erfolgreich bewertet werden. Das ganze Projekt dauert jeweils jährlich ein paar Wochen und wird oftmals durch die Schüler selbst finanziert, d. h. die Zeitungen werden von ihnen selbst gekauft und in den Unterricht mitgebracht. Ich kenne aber auch Schulen, die die Kosten der Zeitungen übernehmen.
Die Aktion auf ein ganzes Jahr lang auszudehnen, halte ich jedoch für äußerst überflüssig, sofern nicht immer wieder im Unterricht an bestimmten Tagen bestimmte Artikel/Themen analysiert und nachrecherchiert werden.

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Flieger 23. Juni 2009 um 19:07

Als \“Zeitungsmensch\“ aus dem Vertriebsbereich möchte ich diese teilweise etwas substanzlose Diskussion mit ein paar Fakten aus dem echten Leben anreichern. Mit dem bloßen Liefern von Zeitungen an die Schulen ist es noch nicht getan, und um die Finanzierung der Auflage geht es m.E. auch gar nicht.

Denn: Zeitungslieferungen an Schulen sind nur dann sinnvoll, wenn die Lehrer (& Schüler) mit dazu passenden pädagogisch-didaktischen Lehrkonzepten, Unterrichtsmaterialien, Rechercheangeboten etc. versorgt werden. Und das kostet richtig Geld. Wir machen im Jahr zwischen 3 und 6 Schulprojekte à 6 Wochen mit je 40 Klassen bzw. 1000 Schülern. Die o.a. Leistungen kaufen wir bei darauf spezialisierten Bildungsinstituten ein und verausgaben dafür je Aktion um die 15.000 Euro.

Mir als Vertriebsleiter würde es genügen, wenn wir (gerne auch staatliche) Unterstützung zur Finanzierung dieser Leistungen bekämen. Die Zeitungen haben wir immer schon kostenfrei geliefert, und das würden wir auch weiter tun. Denn es geht eben nicht darum, die Auflage zu schönen (das bringt rein gar nichts), sondern es geht darum, die Lust am Lesen und am Journalismus zu wecken und der dringend nötigen Leseförderung der Kids auf die Beine zu helfen. Saatshilfe dazu ist absolut legitim, warum sollten Verlage das Bildungswesen weiterhin subventionieren?

Der Staat sollte sich an den Aufwendungen für Konzepte und Unterrichtsunterlagen zumindest beteiligen, die Verlage sollten wiederum ihre Zeitungen kostenlos liefern. Wird das eingehalten, gibt es an den NRW-Plänen m.E. wenig zu kritisieren.

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Tg 23. Juni 2009 um 20:58

Ja lieber Himmel, natürlich kann man jede öffentliche Geldausgabe \“Staatshilfe\“ nennen. Davon leben z.b. die Rentner (Zuschuss zur Rentenkasse) oder die Ärzte, natürlich alle Straßenbauer, Lehrer, pipapo. Nach gängiger Definition (die ich nicht teile) wird ja auch der verminderte MWSt-Satz für Presseerzeugnisse als Subvention (=Staatshilfe) verstanden, also bekommt das Handelsblatt schon lange Staatshilfe – natürlich auch über die Abos und Pressespiegel in Behörden, Parlamenten etc.
Müssen öffentliche Geldausgaben dem Kriegsspiel und Kasperletheatern für Betuchte vorbehalten bleiben? Ob das Land NRW nun Schulbücher kauft, Tafeln, SmartBoards oder noch gedruckte Zeitungen – es sollte sich vielleicht am \“Lehrzweck\“ oder Lernziel orientieren und nicht an Dogmatik.

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Roland 25. Juni 2009 um 16:03

Bin der Meinung dass kein Unternehmen Staatshilfen bekommen sollte. Aber ganz ehrlich: Es ist doch oft so dass eine Hand die andere wäscht…

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