Seit dem vergangenen Mittwoch fühle ich mich… klein. Denn ich war beim „Guardian“ in London. Der ist vor einiger Zeit in eine neue Zentrale gezogen, von der mir Guardian-Media-Group-CEO Carolyn McCall vorschwärmte, als ich sie beim DLD interviewte. Für eine andere Geschichte war ich ohnehin in London – und habe die Chance genutzt. Es war eine unheilvolle Erfahrung, sozusagen.
Wie wichtig ist die Atmosphäre eines Bürogebäudes für die Arbeitsweise der in ihm tätigen Menschen? Wer meint, das sie einen bedeutsamen Einfluss hat, der möge die neue Zentrale des „Guardian“ vergleichen mit jedem deutschen Verlagshaus.
Der Glasbau liegt nicht einmal in einer schönen Gegend. Kingscross/St. Pancras ist ein Viertel im Umbruch, aber auf dem Weg nach oben. Aber schon die Eingangshalle strahlt Zeitgemäßigkeit, nein, Zukunftsorientierung aus. Licht, nicht pompös, angenehm. Der Wartende blickt entweder durch eine Glasscheibe in den Newsroom der Redaktion oder auf einen großen Flachbildmonitor auf dem die Nachrichtenfeeds der Homepage einlaufen, inklusive ausführlicher Statistiken, wie sich Guardian Online am Tag gerade so macht. Hier wird online nicht verschwiegen sondern zum optisch dominierenden Part der Produktpräsentation.
Meine Gastgeberin im Newsroom war Sheila Pulham, Executive Editor, News & Politics – eine höchst sympathische und bodenständige Berufsstandskollegin.
Dieser Newsroom wäre etwas, was in den meisten deutschen Verlagen wohl zu brennenden Barrikaden führen würde. Es ist nicht sonderlich geräumig, ein leichter Geräuschpegel liegt beständig im Raum. Aber, sagte mir Pulham, die Kommunikation zwischen den einzelnen Einheiten sei mit der Nähe immer besser geworden.
Dazu dürfte wohl auch eine revolutionäre Maßnahme beigetragen haben: In drei großen Ressorts hat der „Guardian“ die Grenzen zwischen Online- und Print-Redakteuren aufgehoben – es gibt nur noch Redakteure. Und das bedeutet eben auch: Der bisherige Zeitungsredakteur muss gelegentlich Schichtdienst für Online machen. Dann beobachtet er den Nachrichtenfluss – explizit inklusive Blogs und Twitter – und schreibt zunächst nur für das Web. Dabei aber fährt er nicht die Seite, entscheidet also nicht über die Platzierung der Artikel auf der Homepage – das übernimmt eine Produktionseinheit.
Die Redaktionssysteme von Print und Online sind verzahnt, auch wenn wohl nicht alles immer glänzend läuft. Auch bei der elektronischen Koordination läuft noch zu viel über E-Mail & Co.
Gelebt wird die Web-Integration von oben. Als Chefredakteur Alan Rusbridger antrat, habe er recht klar gemacht, dass wer glaubt, sich nicht um den Internet-Auftritt kümmern zu müssen, sich fragen dürfe, ob nicht noch andere Arbeitgeber existieren, die besser zu ihm passen.
Ebenso licht und angenehm, aber geräumiger sind Treppenhaus und Konferenzräume. Tja, und dann kam, was mich endgültig sprachlos machte: die Audio- und Videostudios. Die sieben Audio- und Videostudios. Sechs davon sind kleine Glasräume, in denen Techniker und Sprecher ungetrennt voneinander sitzen.
Eines, das große aber beherbergt einen Tisch, an dem bis zu sechs Leute miteinander diskutieren können und einen großen Regieraum. Ich kenne in Deutschland kein Verlagshaus, das auch nur ansatzweise etwas Ähnliches bieten könnte. Außerdem ist allein die Audio- und Videoredaktion so groß wie in Deutschland die normale Online-Redaktion insgesamt.
Nun muss man klar sagen: Die Zeitung „Guardian“ ist defizitär und das Unternehmen bewahrt auch deshalb Ruhe, weil hinter dem Verlag eine Stiftung steht. Aber: Der „Guardian“ setzt konsequent darauf, dass eine Veränderung des Mediennutzungsverhalten nicht ohne Reaktion bleiben kann. Und dass diese Reaktion auch Investitionen erfordert.
So wie in London werden die Medienhäuser der Zukunft aussehen. Das heißt nicht, dass der „Guardian“ das Patentrezept für den digitalen Umbruch hat. Aber er hat das Fundament, um auf technologische Entwicklungen zu reagieren und er hat die Digitalität in seine Unternehmenskultur integriert ohne seine Mitarbeiter zu hirnlosen Textschrubbern zu degradieren. Und all das ist ein gewaltiger Unterschied zur Situation in Deutschland. Mir war kalt, als ich ging.
Kommentare
Andreas Kunze 6. Mai 2009 um 11:49
In London ist mir auch meisten kalt, aber das liegt dann am Wetter. Ansonsten: So weit sind m.E. große deutsche Verlage davon nicht entfernt, etwa der Springer-Verlag. Die \“Welt\“ z.B. hat print und online bereits sehr verzahnt und macht auch nette Videos..
Kathrin Konze 6. Mai 2009 um 15:11
Das klingt natürlich toll. Bleibt zu hoffen, dass Sie nicht nach London abwandern. In den rheinischen Verlagshäusern wird leider derzeit soviel Personal abgebaut, dass sich ein solches Gebäude in 20 Jahren nicht rechnen wird. Schade eigentlich!
René Schmöl 6. Mai 2009 um 16:38
Auch deutsche Verlagshäuser könenn bit Audio- und Videostudios aufwarten. Zum Beispiel IDG in München. Das ist zwar nicht so groß wie in Londoner, aber immerhin seit 2006 schon im Einsatz: http://www.idgmedia.de/index.cfm?pid=1366
Kommentator 6. Mai 2009 um 20:09
Ich arbeite in einem Großraumbüro (Telekommunikationsbranche) und habe folgende Meinung dazu:
Großartig, wenn es um Kommunikation geht, grauenhaft, wenn man Ruhe braucht.
Großartig ist die \“interne Kommunikation\“ wirklich, allerdings im \“guten\“ wie im \“schlechten\“ Sinne: Es geht dabei eben nicht nur um die Aufgaben, die man (gemeinsam) hat, sondern eben auch um Wetter, Geld, Familie, Freizeit, Hobbys und den neuesten Tratsch – 50% der Kommunikation sind nicht \“produktiv\“ im Sinne der Unternehmensziele.
Gruselig ist es dann, wenn man sich in Details vertiefen oder einen delikaten Gedanken weiterspinnen muss/will: Man wird soviel abgelenkt, es klappt oft nicht. (Bei uns im Großraum hat jede/r zweite Musik auf den Ohren, um sein Pensum \“ungestört\“ schaffen zu können.)
Will sagen: Ja, holt die Schluffen und Trödler aus dem Einzelschlafplatz – nein, glaubt nicht, dass es im Großraum besser (aka produktiver) wird.
Just my 1,22 Euro.
Netzjournalist 6. Mai 2009 um 22:01
Eigentlich halte ich Großraumbüros für die schlimmste Seuche unserer Zeit. Wäre mal interessant zu hören, ob die Kollegen dort das genauso euphorisch sehen… aber klar: Der Guardian ist ganz vorne mit dabei und ich würde mir wünschen, dass deutsche Verlage ein ähnlich glückliches Händchen hätten.
Jan 8. Mai 2009 um 2:24
es gibt wohl nur wenige redakteure, die keine angst vor einem großen newsroom haben. die angst muss aber nicht begründet sein.
vom newsroom der frankfurter rundschau war quasi jeder mitarbeiter begeistert (nach dem umzug). durch die schallisolierung ist es sogar leiser als in jedem durchschnittlichen gruppen-büro.
wie aber schon gesagt wurde, hängt es von den aufgaben ab. blattmacher, homepage-manager etc. können besser im newsroom arbeiten. autoren am besten in einzelbüros.
Jan 8. Mai 2009 um 2:28
stimmen der fr-mitarbeiter zum newsroom gibt es übrigens hier. sehr amüsant.
http://www.youtube.com/watch?v=KfAwAJxgWII
Thomas Knüwer 8. Mai 2009 um 9:23
@Jan: Was die Schallschluckung betrifft, gab es hier ähnliche Erfahrungen. Kollegen, die sich schon vorher gegenübersaßen, haben sich nach dem Umzug in den Newsroom schlechter verstanden – weil der Schall gedämpft wurde.