Den neuen Nachrichtendienst True/Slant zu erklären ist nicht einfach. Weshalb diese Plattform vielleicht scheitert. Doch ihre Grundidee ist höchst spannend – weshalb sich eine Beschäftigung mit ihr lohnt. Selbst die Macher von True/Slant – allein schon: wer hat sich den blöden Namen ausgedacht? – schwurbeln bei der Eigenumschreibung umher:
„True/Slant is an original content news network tailored to both the “New Journalist” and marketers who want a more effective way to engage with digital audiences. Contributors, consumers and marketers each have a voice on True/Slant.“
Ich versuche das mal aufzudröseln… Bei True/Slant gibt es Journalisten, die nebenbei bestimmte Themengebiete betreuen. David Knowles, zum Beispiel, kümmert sich um Politik und die ersten 100 Tage des neuen US-Präsidenten. Dazu schreibt er zum einen selbst Artikel, zum anderen kommentiert er Stücke aus anderen Quellen und er wirft Links zu interessanten Werken ein.
Gleichzeitig gibt es in Matrixorganisation Themen, die von mehreren Autoren betreut werden. So kümmern sich sechs Leute um Barack Obama.
Das Ziel ist dabei anscheinend weniger das Schaffen eigener Inhalte, sondern auf die Inhalte anderer Quellen aufmerksam zu machen. Die True/Slant-Leute sind also Redakteure im klassischen Sinn: Sie editieren den Nachrichtenfluss des Bereichs, in dem sie Fachman/-frau sind.
Gleichzeitig haben sie die Vorgabe, zu Leserreaktionen Stellung zu beziehen, also aktiv zu kommunizieren.
Das ganze ist ein Wirtschaftsunternehmen. Und deshalb wird zum einen Werbung geschaltet, zum anderen können Unternehmen genau solche Profile, wie sie die True/Slant-Mitarbeiter haben, ebenfalls starten in der Hoffnung auf aktive Kommunikation mit ihren Kunden.
Puh, ganz schöne Kopfgeburt, das ganze. Aber das bedeutet auch: Da hat sich jemand Gedanken gemacht. Viele Gedanken. Und ne ganze Menge kluge Gedanken – auf mehreren Ebenen.
1. Pseudo-Twitter: Eine der angenehmsten Funktionen bei Twitter ist die des Nachrichtenfilters. Es gibt viele Experten in bestimmten Gebieten, die Links zu interessanten Geschichten weiterreichen. Dabei verlinken sie für gewöhnlich auf die Originalquelle. Die Autoren-Profile bei True/Slant imitieren genau diese Funktion.
2. Journalisten als Marke: Wir Journalisten haben alles daran gesetzt, unsere Berichterstattung an Personen aufzuhängen. Nur wir selbst haben uns nicht personalisiert. In einer Welt aber, in der Marken zu Gunsten von Menschen an Bedeutung einbüßen, haben wir eine schlechte Position. True/Slants Grundidee hilft, dies zu beheben – die Journalisten haben die Chance, sich als Experten zu profilieren und Leser an sich zu binden. Zu diesem Thema gab es übrigens am Wochenende einen höchst lesenswerten Artikel bei Techcrunch.
3. Marken als Personen: Unternehmen versuchen ihre Kommunikation ebenfalls zu personalisieren. Gelingt ihnen dies – und dafür ist eine maßgebliche Umstellung der Art, wie sie kommunizieren nötig – kann True/Slant genauso in den Marketing-Kanon rutschen wie Facebook-Fanseiten oder Twitter-Konten.
4. Nachrichten sind Kommunikation: Journalistische Berichterstattung kann durch Reaktionen von Lesern angereichert werden. Sie korrigieren Fehler, ergänzen neue Informationen und Sichtweisen.
Ja, True/Slant macht einen guten Eindruck. Eigentlich fällt mir nur ein Grund ein, der gegen die Seite spricht: Sie ist einfach wahnsinnig schwer zu verstehen.
Kommentare
michael kausch 15. April 2009 um 8:50
der anspruch, journalisten zu marken zu entwickeln, ist in der tat spannend. in einer zeit der zahllosen \“bürgerjournalisten\“ und der kostenlosen und zum teil trotzdem vernünftig recherchierten inhalte, haben klassische berufsjournalisten nur noch eine überlebenschance, wenn sie selbst zur qualitätsmarke werden, zu menschen, denen ihre zielgruppe ein besonderes vertrauen entgegenbringt.
dass der markenwert vom medium auf den journalisten übergehen muss, ergibt sich aus der ausfranzung der klassischen medien gegenüber offenen und interaktiven foren. die medienmarken werden massiv an wert verlieren, wie sie an autonomie gegenüber ihren rezipienten und gleichzeitig an vertriebs- und werbeeinnahmen verlieren.
eines tages wird man besser leben, wenn man frau schnutinger ist, und nicht ein anonymer schreiberling des handelsblatts. und vielleicht wird man sich dann auch eines knüwers erinnern. wo schreibt der gleich nochmal …?
Sascha Stoltenow 15. April 2009 um 12:31
Ich finde das gar nicht so schwer zu erklären. Meines Erachtens geht es bei True/Slant um die Verbindung von Autoren – Themen – Publikum. Das sieht sehr gelungen aus, und ist quasi das neue Konzept des Freitag noch einen Schritt weiter gedacht – unter Verzicht auf das Printmedium. Neben der inhaltlichen Kompetenz der \“Contributors\“, die Agent, Journalist und Community-Manager in einem sind und so zur Marke werden können, kann sich True/Slant so zu einer Medienmarke entwickeln.
Dass dabei den Marketers die Möglichkeit zu eigenen publizistischen Aktivitäten gegeben wird, finde ich klasse, denn das bedeutet, dass sie ihr Geschwurbel ungefiltert auf die Menschen loslassen – und angesichts der Resonanz erkennen, dass es keinen interessiert.
Meine Prognose: Es spricht einiges dafür, dass sich die traditionellen Medien in eine ähnliche Richtung entwickeln, quasi als Dekonstruktion. Es ist doch schon heute bei mir so, dass ich in der taz die Artikel von Feddersen lieber lese als die von anderen. Mal ganz pathetisch: Vielleicht sehen wir hier einen Teil der Zukunft des Journalismus. Media deconstructed and personalized.
Etienne Rheindahlen 15. April 2009 um 16:36
Vor allem gefällt mir der Background von True/Slant-CEO Lewis Dvorkin (siehe: http://trueslant.com/people/dvorkin/ ). Und vor allem gefällt mir sein Motiv, warum er True/Slant entwickelte: \“After 10 jobs, three stints on the unemployment line, two lifetimes and one short-lived magazine/web start-up, I have this burning need to put a life\’s learnings and lessons together once and for all.\“
Im Übrigen kann ich Sascha Stoltenow nur zustimmen: ja – vielleicht ist das ein Teil eines künftigen und zukunftsweisenden Journalismus.
Patrick 15. April 2009 um 17:31
Im angelsächsischen Raum sind Journalisten ja seit Jahrzehnten Identifikationsfiguren, Semiprominente und auch \“Marken\“.
Da läuft sehr viel der Glaubwürdigkeit durch Profilierung.
Vgl. Unterschied AnchormanNachrichtensprecher
Das wird uns hier zweifellos auch ein wenig ins Haus stehen.
In so fern ist das zwar nicht unbedingt neu, aber klingt, als wäre dies hier sehr konsequent umgesetzt (Aggregation usw.). Schön!
Naomie Laan 16. April 2009 um 12:42
Hört sich für mich ein bisschen nach Zoomer an. Dort haben doch die Redakteure auch mit den Nutzern zu aktuellen Themen kommuniziert und kommentiert.
Detlef Borchers 17. April 2009 um 11:45
Für mich liest sich das wie http://www.iamnews.com/ , das auf Burdas DLD Anfang des Jahres vorgestellt wurde.
Thomas Knüwer 17. April 2009 um 13:44
@Detlef Borchers: Iamnews kenne ich auch – ist aber was anderes. Bei Iamnews sollen handfeste Rechercheaufträge vergeben werden, True/Slant dagegen dreht sich um konstante Beobachtung eines breiter gesteckten Themengebietes.
Raphaelth 23. April 2009 um 13:46
Die USA scheinen uns mal wieder voraus zu sein, aber wollen wir das wirklich?
Wenn ich mir die über-personifizierten Wahlkämpfe in den USA anschaue, bei denen es weniger darum geht Informationen zu kommunizieren, als viel mehr dem Publikum zu gefallen, frage ich mich, ob das langfristig gesund ist für eine Demokratie.
Und ebenso frage ich mich, ob Personenkulte dem Qualitätsjournalismus gut tun würden.
Ist es nicht ein wünschenswerter Luxus, dass bezahlte Journalisten schreiben können, was sie wollen, ohne darauf achten zu müssen dem Publikum zu gefallen?
Falls Journalisten ihre Arbeit nur noch nach streng ökonomischen Kriterien betreiben können, und stets das Publikum im Hinterkopf haben müssen, dann sehen die Printmedien bald so aus, wie das Nachmittagsprogramm im Privatfernsehen.