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Noch immer gibt es Menschen, die behaupten, die Krise der Zeitungen sei keine strukturelle, sondern eine konjunkturelle. Sprich: Derzeit gehe es der Wirtschaft insgesamt nicht gut, also auch den Zeitungen nicht.

Nun sind heute die von der IVW geprüften Auflagenzahlen erschienen. Und wer den Jahresvergleich zieht, der ist erschüttert. In zwei großen Zeitungsverlagshäusern wird heute tief durchgeatmet. Zum einen bei der „Süddeutschen Zeitung“, zum anderen bei uns im Handelsblatt. Denn die jüngsten IVW-Zahlen fielen für beide Verlage zufriedenstellend aus. Dem Rest der Zeitungsrepublik dürfte jetzt eher nach einem sehr, sehr starken Schnaps zumute sein.

Wieder einmal wird mancher Verlagsmanager gezwungen sein, per Pressemitteilung die Welt schönzulügen. Da heißt es dann immer, man habe die Auflage gehalten oder sei gar gewachsen. Nur reicht weder ein Blick auf die Gesamtauflage noch auf die verkaufte Auflage, um die wahre Lage einer Zeitung zu erkennen.

Ein kleiner Exkurs für die Nicht-Medienmenschen, um das zu erklären. Die Zeitungsauflage, kontrolliert vom IVW-Institut, setzt sich aus mehreren Bestandteilen zusammen. Da wären zunächst Abo und Einzelverkauf, also der Verkauf am Kiosk. Sie sind die wirklich harte Ware, weil das Lenken dieser Zahlen besonders schwer ist (wenn auch nicht unmöglich). Hinzu kommen die sonstigen Verkäufe: Darunter fallen zum Beispiel Großlieferungen an Firmen zum günstigeren Preis. Meist werden sie zwar aktiv vom Bezieher angefordert, immer ist ihr Preis aber unter – meist deutlich unter – dem normalen. Und schließlich gibt es noch Bordexemplare. Sie bezeichnen die Lieferungen an Fluggesellschaften, die zwar für die Zeitungen zahlen, aber nur einen eher homöpathischen Betrag.

Deshalb also sind Abo und Einzelverkauf die eigentlich wichtigen Daten, schaut man sich Auflagenzahlen an.

Betrachten wir nun die heute bekannt gegebenen für das vierte Quartal 2008 und vergleichen wir sie mit dem Vorjahreszeitraum, dann vereisen die Rückennerven wie in einem Schneesturm.

Hier die Einzelresultate:

„Welt“ und „Welt Kompakt“ (Montag – Freitag)
Einzelverkauf (EV): -4,9%
Abo: -7,19%

„FAZ“ (Mo – Sa)
EV: -1,72%
Abo: -0,25%

„Süddeutsche Zeitung“ (Mo – Sa)
EV: +2.34%
Abo: +0.02%

Handelsblatt:
EV: +6,75%
Abo: +0,94%

„Financial Times Deutschland“
EV: -10,84%
Abo: -3,26%

Zwei noch oben drauf, nämlich die beiden Zukäufe von DuMont:

„Berliner Zeitung“
EV: -3,59%
Abo: -3,35%

„Frankfurter Rundschau“
EV: -5,2%
Abo: -7,59%

Es wird Zeit, dass die Zeitungen der Realität ins Auge sehen: Sie stecken in einer Strukturkrise. Und statt einfach weiterzumachen, sind grundlegende Veränderungen nötig – und das schnell. Denn der Abgang der Leser ist nur die eine Seite. Keine Leser bedeutet dann auch schnell: kein Anzeigenkunden. Genau deshalb schmücken die Verlage ihre Auflagen auch mit reichlichem Plus bei Bordexemplaren und/oder sonstigen Verkäufen. Auf Jahresfrist zum Beispiel +19,61 Prozent mehr Bordverkäufe bei der „FAZ“ oder +19,82 Prozent mehr Sonstige bei der „Welt“. Das hilft zwar vielleicht bis zum nächsten Quartal – doch es ist nicht das Mittel um dauerhaft aus der Krise zu kommen.


Kommentare


Chat Atkins 21. Januar 2009 um 14:39

Ich empfehle dem BDZV zur parallelen Lektüre – Edward Gibbons: The Fall and Decline of the Roman Empire. Auch damals schien den Beteiligten unvorstellbar, dass das überhaupt untergehen könne, was vor ihren Augen unterging …

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Alex 21. Januar 2009 um 15:13

Sollte die FAZ platt gelogen haben oder liegen ihnen andere Zahlen vor?

\“Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ haben im vergangenen Jahr ihre Verkaufzahlen spürbar erhöht. Die F.A.S. erreichte im vierten Quartal 2008 die Rekordauflage von 341.430 Exemplaren. Im Vergleich zum Vorjahresquartal ist dies eine Steigerung um 5,91 Prozent.

Die Zahl der Abonnenten stieg um 12.104 auf 189.499. Die F.A.Z. steigerte ihre verkaufte Auflage um 1,34 Prozent auf 373.393 Exemplare. „Die Zahlen zeigen, dass kluge Leser mit erstklassiger Qualität zu begeistern sind“, sagte der Sprecher der Geschäftsführung der F.A.Z., Tobias Trevisan.\“
http://www.faz.net/s/Rub475F682E3FC24868A8A5276D4FB916D7/Doc~E1AEC9F3F937D44A68753BCD957619E6E~ATpl~Ecommon~Scontent.html

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Thomas Knüwer 21. Januar 2009 um 15:27

Tja, kaum geschrieben, da gehts schon los mit dem zurechtbiegen der Wirklichkeit. In der Tat verzeichnet die \“FAS\“ ein sattes Wachstum. Sie aber ist in meiner Rechnung nicht drin. Sonntags- und Wochenzeitungen sind für mich eine besondere Spezies: Magazine auf Zeitungspapier. Und wenn sie gut gemacht werden, haben sie alle Chancen auf ein schönes Leben.

Der erwähnte Faz.net-Artikel arbeitet mit einem miesen Trick. Der Absatz trennt nämlich die angegebene Abo-Steigerun von den \“FAS\“-Zahlen. Somit entsteht der Anschein, sie bezögen sich auf die \“FAZ\“ – tun sie aber nicht.

Die \“FAZ\“ hat ihre verkaufte Auflage in der Tat gesteigert. Nur fließen in diese verkaufte Auflage eben auch die Bordexemplare ein. Und die wurden schmuck um fast 20 Prozent erhöht, um ein Pseudo-Wachstum auszuweisen.

Willkommen in der Welt der Verlags-Spin-Doktoren!

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Thomas Mrazek 21. Januar 2009 um 15:33

@Alex: Das meinte Thomas Knüwer ja mit jener Pressemitteilung. Jens Schröder schreibt bei Meedia zur verkauften Auflage der \“FAZ\“ (in der Tat 1,3 Prozent): \“Da die Aufschlüsselungen in harte und weiche Auflage nun also bekannt sind, relativieren sich die Gewinne der \“F.A.Z.\“ deutlich: Die Zeitung steigerte ihre Bordexemplare im Vergleich zum Vorjahr um 7.300 – ohne diese Maßnahme stünde also auch vor dem Ergebnis der Frankfurter ein Minus.\“ – Dies und weiteres Zahlenmaterial bei Meedia unter: http://is.gd/gHGn

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Christian 21. Januar 2009 um 17:26

Also Abos als harte Ware zu etikettieren – da würde ich aber ganz scharf widersprechen. Die Auflagenmeldungen mit irgendwelchen Sonderverkäufen oder Bordexemplaren zu demaskieren ist eine Sache. Das hat doch einen langen Bart. Ich würde deshalb aber nicht gleich mit dem Finger auf andere Blätter zeigen. Man müsste nämlich, um den Kram mal wirklich aufzudröseln, die IVW-Statistiken mal um das ganze Marketinggedöns für Abos bereinigen. Welche Zeitung und welcher Verlag da das größte Rad drehen, wer weiß das schon? Wir sicher nicht. Ich kenne mindestens 10 Leute, die sich seit Jahren mit den Angeboten wie \“150 Euro Barprämie kassieren für ein Jahresabo, das 155 Euro kostet\“ durch die Medienlandschaft hangeln. Oder die ganzen Meilenritter, die für 10.000 Lufthansameilen gerne 200 Euro zahlen und die Zeitung ungelesen wegschmeissen. Das sind natürlich auch \“harte\“, IVW-gesprüfte Abonnenten. Branchenintern als Schnelldreher bekannt. Kurz: Für Geld lässt sich jede Auflage erstellen. Auch eine \“harte\“ IVW-geprüfte Auflage. Diese Zahlen kannst Du daher eh\‘ in die Tonne treten, solange Du die Hintergründe nicht kennst. (und natürlich behauptet jeder Verlag, der jeweils andere würde da mehr fummeln und ausgeben als andere). Was aber im Sinne Deiner These letztlich auch egal ist, denn das Ausmaß der von Dir diagnostizierten Strukturkrise dürfte ja noch schlimmer sein als diese Zahlen suggerieren.

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Alex 21. Januar 2009 um 17:59

Vielen Dank für diese Aufschlüsselung!
Solche Taschenspielertricks hätte ich bei der auf die eigene Seriösität viel Wert legende FAZ nicht erwartet. Damit dürfte der ebenfalls enthaltene Hinweis auf den Auflagenrückgang der Süddeutschen auf ähnlichen Tricks beruhen. 🙁
@ Thomas: Vielen Dank für den Link! Von dort aus fand ich hier: http://meedia.de/typo3conf/ext/m2analyzer/analyzer/auswahl2.php?category=2 eine Analyse der Fünfjahresentwicklung zahlreicher Zeitungen. Die Entwicklung ist in der Tat eindeutig.

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Alex 21. Januar 2009 um 18:02

Ach ja, Abos als harte Währung: Ich genieße es gerade, ein kostenloses Einjahres-Abo der FAZ vermittelt bekommen zu haben. Scheint unter Studenten und Jobeinsteigern derzeit recht großzügig vergeben zu werden.

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lupe 21. Januar 2009 um 18:16

\“Wieder einmal wird mancher Verlagsmanager gezwungen sein, per Pressemitteilung die Welt schönzulügen.\“

Das würde ich noch ertragen. Doch wenn ein Chefredakteur die Zahlen schönredet, geht es um die Glaubwürdigkeit des Blattes:

Die OZ verkaufte ein Prozent weniger Zeitungen als im Vorjahresquartal, im Vergleich zum Vorquartal sogar drei Prozent weniger. Die Zahl der Abos nahm um o,o7 Prozen zu, im Jahresvergleich jedoch um über zwei Prozent ab.

Der OZ-Chefredakteur meinte dazu:
\“die Auflagenentwicklung des letzten Quartals unterstreicht auch, dass der eingeschlagene Kurs einer leichten Auffrischung des Blattes von der Leserschaft honoriert wird.\“

Ja, fragt sich nur, wie?

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Xpress 21. Januar 2009 um 18:55

Hat doch schon unser Gazprom-Kanzler in der legendären Berliner Runde vorgerechnet: Wer weniger verliert als eigentlich erwartet, ist doch im Prinzip Wahlsieger. Das geht auch mit der Auflagenkommentierung

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weltherrscher 21. Januar 2009 um 19:30

danke für die infos!
ich liebe blogs!

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Jörg Friedrich 22. Januar 2009 um 9:59

Für Anzeigenkunden ist allerdings auch nicht wichtig, wie viele Menschen per Abo auf ihre Anzeigen schauen sondern wie viele es überhaupt tun. Insofern ist für die die gesammte verkaufte Auflage relevant incl.Bordexemplare u.ä.
Die Fluggesellschaften und die Bahn kaufen so viele Exemplare, wie dann auch gelesen werden, das merke ich immer, wenn ich abends fahre und die Zeitungen dann schon alle sind. Ein Abonnent liest hingegen nicht jeden Tag – schaut dementsprechend auch nicht jeden Tag auf die Anzeigen. Die Bordverkäufe rauszurechnen, würde damit ein völlig falsches Bild von den tatsächlichen Anzeigen-Reichweiten liefern.

Das Geschäftsmodell einer Zeitung basiert auf zwei EInnahmequellen: Verkäufe und Anzeigen. Wer die Reichweite durch Bordexemplare vergrößert,stärkt das Anzeigengeschäft ohne das Abo-Geschäft zu verkleinern – und er gewinnt weitere Leser. Woalso ist das Problem, wenn diese Zahlen dann als Erfolg dargestellt werden?

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Thomas Knüwer 22. Januar 2009 um 10:37

Ganz so stimmt das nicht. Anzeigenkunden sind zum einen häufig an einer bestimmten Klientel interessiert – die Verbreitung über Bordexemplare ist aber nicht steuerbar. Zum anderen werden mehr Zeitungen mitgenommen als tatsächlich gelesen werden. Weshalb Anzeigenkunden mittlerweise schon sehr genau den Anteil der fastverschenkten Exemplare registrieren.

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Jörg Friedrich 22. Januar 2009 um 11:24

Das mag sein. Wenn ich Anzeigenkunde wäre, hätte ich aber eine ziemlich genaue Vorstellung von der Klientel, die ich in der 1. Klasse des ICE erreiche. Und wer da eine Zeitung nimmt, liest sie auch.

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Sebs 22. Januar 2009 um 11:44

Hallo Thomas

Rechne doch mal im Gegenzug auf was die entsprechenden Zeitungen für ein Wachstum im Onlinebereich erreicht haben.

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Markus Kigle 22. Januar 2009 um 11:48

IVW hin oder her – es ist interessant zu beobachten, dass der Auflagenrückgang der Tageszeitungen von der Online-Gemeinde mit offensichtlicher Schadenfreude kommentiert wird.
Dass dies von gelernten Journalisten kommt, ist verwunderlich. Sieht die Zunft ihre Arbeit im Netz wirklich entsprechend präsentiert?

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Verlagskauffrau 22. Januar 2009 um 12:03

Auch hier scheint eine Überheblichkeit des Autors gegenüber der kaufmännischen Seite des Mediengeschäfts durch, die mich stört. Oder ist es nur meine Wahrnehmung, dass sich Herr Knüwer für schlauer hält, als die Vertreter aus Verlagsgeschäftsführungen, werbetreibenden Unternehmen und Media-Agenturen zusammen? Wenn die Bordexemplaren und Sonstigen Verkäufe nüscht wert wären, ja warum sollte dann jemand diese gescholtene \“Auflagen-Kosmetik\“ betreiben? Weil die, die über sieben- oder achtstellige Etats entscheiden, den Untergliederung der Verkauften Auflage noch nicht spitz gekriegt haben?

Ich verweise auf die Rechnung von Herrn Knüwer zur Refinanzierung von investigativem Journalismus, die ich heute (ich hatte es mir seit Tagen vorgenommen) endlich ausführlich kommentiert habe. Sowas kann man einfach nicht stehen lassen.

http://blog.handelsblatt.de/indiskretion/eintrag.php?id=2010

So sehr ich Herrn Knüwers Ideen zur Zukunft des Journalismus interessant finde, so sehr ärgern mich doch seine Besserwissereien über das Mediengeschäft.

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Thomas Knüwer 22. Januar 2009 um 14:20

@Markus Kigle: Schadenfreude ist überhaupt nicht dabei. Ich selbst bin Print-Journalist und ich liebe die Zeitung. Aber ich weiß auch: Wenn Zeitungen sich nicht dramatisch ändern, haben sie schon bald keine Überlebenschance mehr.

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Sebs 22. Januar 2009 um 18:52

@Markus Kigle: Das hat nichts mit Schadenfreude zu tun. Eher mit leidgeprüft. 😉 So lange die Journalisten die Möglichkeiten des neuen Mediums verstehen, bzw. sich überhaupt bewusst sind das sie in einem neuen (!) Medium aktiv sind, werden sie sich auch in diesem ordentlich repräsentiert fühlen. Sie können es viel stärker selbst gestalten.
Im Gegensatz zum Printgeschäft ist hier alles noch nicht so alt und eingefahren und man kann hier noch einiges anders machen.

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