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Weihnachten ist keine schöne Zeit für Senior Consultant Alexandra. Allein ist sie auch diesmal wieder an Heiligabend, kein Adventskranz erhellt ihre Loftwohnung, kein einziger, kitschiger Nikolaus baumelt von den Tibetorchideen auf dem Erkerfensterbrett, niemals würde „Driving home for Christmas“ ihr weißes Iphone verschmutzen, das wie immer aufgedockt ist in der Bang & Olufsen-Anlage.

Nein, ab Advent beginnt ein Zeitareal, das Alexandra am liebsten übergehen würde. Längst ist die Flasche feinster Medoc-Rotwein geleert, der 16 Jahre gereifte Lagavulin tut nun seine Wirkung. Wohling wärmt der Single Malt ihren Hals, beruhigend verbreitet sich das Aroma aus Torf und Karamell.

Jedes Fest verbringt sie so. Im Westerwald feiert jetzt sicher ihr Vater mit seiner zweiten Frau. Ihre kleine Schwester wird dort sein, mit ihren Kindern. Einst wollte Alex ihrem „Papalein“ alles Recht machen. Eine harte PR-Frau werden, so wie er, der große Kommunikator eines Weltkonzerns. Härte trainierte sie sich dafür an. Und, sicher, mancher hatte darunter zu leiden. Ihre Schwester Klara, zum Beispiel.

Als Alex 14 war, kreuzigte sie eines Nachts auf dem Friedhof Klaras Katze und hinterließ das Hermès-Kopftuch der Schwester. Klara landete in den Schlagzeilen als „Satanisten-Tochter des Auto-Pressesprechers“. Alexandra fing sich deshalb eine Ohrfeige ein, als sie die wahre Sachlage enthüllte: Dass ihr Vater doch immer sage, „any PR“ sei „good PR“ und ihre Schwester angesichts des neuen Bekanntheitsgrades nun vor einer großen Model-Karriere stehe. Gut, erstmal konzentriert auf Gothic, aber „Klara kriegt den Image-Shift doch relaxed hin“.

Was für eine Enttäuschung, als ihr Vater Klara die Führung der PR-Agentur hinterließ, die er nach dem Ausscheiden aus dem Konzern gründete. Heute ist ihr alter Herr ein verbitterter Professor einer niedersächsischen Fachhochschule minderer Bedeutung, dessen Ego längst nicht mehr zu seiner abgestuften Position passt. Einladungen zu Weihnachten gibt es für die ältere Tochter schon seit Jahren nicht mehr. Spätestens, seit deren beruflicher Aufstieg stockt und sie nun bei jener schnöden, kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt tätig ist.

Ein Geräusch lässt Alexandra aufschrecken. Das war doch nicht der Gaskamin – vielleicht die Tür? Aber wer sollte…?

Tatsächlich: Eine Frau betritt das Zimmer. Die Senior Consultant wird blass wie der Bezug ihres Sofas: Sie selbst scheint dort zu stehen, jedoch mit grauem Haar und einem selbstgestrickt wirkenden Zopfmusterpulli. Krähenfüße umrahmen ihre Augen, eine goldgestellige Lesebrille baumelt vom Band um ihren Hals. Und sie selbst scheint zu sich zu sprechen: „Hallo Alex“, sagt die Gestalt.

(Dies ist mein 2000. Artikel in diesem Blog. Da muss natürlich mal wieder eine kleine PR-Agentur am Rande der Stadt her.)
„Was… Wer…“, stammelt die echte Alexandra.

„Ich bin der Geist der Weihnacht“, antwortet die Frau. „Warum nur, Alex, bist Du so verbittert?“

„Und warum bist Du so tantig? Na toll. Geist der Weihnacht. Hat mir gerade noch gefehlt. Kaum gibt’s Whiskey kommen die Dickens-Figuren raus. Schaut George Clooney rein, wenn ich auf Saumagen umsteige?“

„Ich möchte Dir doch nur zeigen, dass all diese Garstigkeit zu nichts führt“, sagt die Geistin und ihr Zeigefinger macht eine lockende Geste. „Komm mit, ich möchte Dir etwas zeigen.“ Dann verschwindet sie Richtung Flur, aus dem mit einem mal ein strahlendes Licht zu glühen scheint.

Zögernd erhebt sich Alexandra von ihrem Sofa. Soll sie? Ach, was soll’s – sie folgt ihrem Ebenbild ins Licht hinein. Einen Moment lang wird ihr schwindelig, dann steht sie im Großraum der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Und sie sieht sich doppelt. Einmal ist da der Geist der Weihnacht. Neben ihm aber, auf dem Bürostuhl sitzend und in die Tastatur hackend – Alex, wie sie heute aussieht. Sie scheint die einzige zu sein, die noch arbeitet, keiner der Kollegen ist anwesend.

„Erinnerst Du Dich?“, fragt der Geist.

„Könnte jeder Tag sein“, antwortet Alexandra. Dann schaut sie auf den Bildschirm. „Aaah… Die Aussendung für Samsung. Da gabs doch diesen schwachsinnigen Online-Journalisten, der sich beschwerte.“

„Erzählst Du mir, was passiert ist?“

„Unser Blondchen, dieses praktikantische Miststück Julia, durfte mir aus dem Verzeichnis aller auf der Messe CES anwesenden Journalisten die Mail-Adressen rausziehen. Und dann habe ich denen allen die Pressemitteilungen unseres Kunden Samsung reingeworfen. Einer dieser Blog-Schmieranten hat sich dann beschwert. Und ich hab ihm mal deutlich die Meinung gegeigt:

„CES veröffentlicht eine Presseliste. Sie sind einer von Tausenden darauf. Jeder hat Zugang zu dieser Liste für alle möglichen Anlässe. Sie ist öffentlich. Als PR-Agentur nutzen wir diese Liste, um Standtermine für unsere Kunden zu machen. Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen.

Wenn nicht, lassen Sie mich Ihnen die „Löschen“-Taste vorstellen. Oder akkreditieren Sie sich künftig nicht als Pressevertreter auf der CES.

Ich brauche Sie nicht, um zu unterscheiden, was richtig oder falsch ist. Ich bin in diesem Business schon lang genug. Und ich habe Leute wie sie schneller wegschmelzen sehen, als ein Schneeball im Regen.

Ich erwarte Ihre Entschuldigung.

PS: Ich habe mir Ihre Internet-Seite angeschaut. Ich würde Ihr Blog nicht mal Publikation nennen.“

Der Geist der Weihnacht seufzt: „War das wirklich nötig, diese Aggressivität?“

Alex macht eine abfällige Handbewegung: „Diese Pressemuckel glauben doch, Sie seien die Größten. Bloß keine Schwäche zeigen, hat Pappa auch immer gesagt. Äh, Geist? Geist? Wo bist Du?“

Ein Arm reckt sich aus der Tür, die zu den Toiletten führt und wieder lockt ein Zeigefinger. Alexandra zuckt mit den Schultern und folgt dem Wink. Gleißend hell wird es und dann wieder dunkler. Sie ist zurück in ihrer Wohnung. Doch draußen ist es nicht mehr grau: eine strahlend rote Sonne versinkt, auf den Balkonen der Nachbarschaft sitzen Grüppchen beisammen, Grillgeruch dringt durch die offenen Fenster.

Wieder ist eine weitere Alex im Raum. Sie liegt schlafend auf dem Sofa, gekleidet in das teure Glitzer-T-Shirt von Wall of China, das Laptop aufgeklappt in ihrem Schoß, der rechte Arm hängt schlaff herab, in der Hand das Diensthandy. Auf dem Couchtisch eine Kollektion von Flaschen und Gläsern, die auf das Selbstmixen hochprozentiger Getränke schließen lässt.

„Erinnerst Du dich?“, fragt der Geist der Weihnacht wieder.

„Die Telefonaktion? Klar. Herrgott, lässt man sich einmal gehen und schon kriegt man das an Weihnachten geistmäßig aufs Brot geschmiert…“

„Was war damals?“

„Wir hatten Probleme, unseren Kunden in den Medien unterzukriegen. Also hab ich volle Attacke geritten. Hab jeden Journi angerufen, dessen Nummer ich hatte. Waren locker 45 allein in der Verlagsgruppe Handelsblatt. Aber war halt Sommer und es ging nirgends einer dran. Da hab ich dann auf die Mailbox gequatscht.“

„Aber da war noch etwas, oder?“

„Ja, ja. Ich hab diesem Web 2.0-Scheiß geglaubt und ein Blog aufgemacht. Und weil ich was intus hatte, hab ich da so nen blöden Eintrag gemacht:

„Glaubst Du die Journalisten haben sich darüber gefreut, dass Du sie angerufen hast?“

„Nö. Sollten sie auch nicht. Sie sollten sich endlich mal so fühlen, wie ich, wenn ich ständig irgendwelche Sonderwünsche serviert bekomme. Hier ne Abstimmung, die denen nicht passt, da irgenwelche Anfragen… und immer muss alles hopplahopp gehen. Und was gibts als Dank? Irgendwelche ach so kritischen Geschichten. Mieses Pack…“

Der Geist der Weihnacht greift zum Gin Tonic auf dem Couchtisch und kippt das halbvolle Glas mit einem Zug hinab. „Puh, ähm, also, ja gut jetzt… Dann komm nochmal mit.“ Dann geht er wieder in den Flur, Alexandra folgt ihm.

Wieder befinden sich die beiden nach dem Lichtzappzerap im Großraum. Diesmal aber ist er voll von Kollegen. Die Schreibtische sind weihnachtlich geschmückt, die Kollegen tragen aberwitzige Kostüme. Alexandra hat sich ein Buch ins Gesicht geschminkt.

„Weißt Du noch, wann das war?“, fragt der Geist der Weihnacht.

„Klar. Weihnachtsfeier letztes Jahr. Und ich als Facebook.“

„Wie hast Du Dich damals gefühlt?“

„Netter Abend. Nur dass mich diese Tanja-Anja beim Wettbewerb um die schwachsinnigste PR-Aktion geschlagen hat – das wurmt mich noch heute.“

„Aber Du warst glücklich?“

„Was heißt schon glücklich? War halt schön, damals.“

„Sagt Dir das nicht etwas über Dich? Und verstehst Du nicht, wer ich bin? Schau mich an. Ich bin Du in der Zukunft. Ein freundlicheres Du. Das sich erfreut am Pullover, den die Kollegin Tanja-Anja Dir zu Weihnachten gestrickt hat. Sie ist meine beste Freundin. Lernst Du etwas daraus?“

Alexandra verstummt. Und grübelt. Eine Minute schwebt das Schweigen im Raum. Dann nickt sie: „Ja, allerdings. Boshaftigkeit allein macht keinen Spaß. Ohne Julia zu quälen ist der Job nur die halbe Freude. Journalisten demütigen ist nur in der Gruppe richtig schön. Ja, Du hast Recht. Ich habe etwas gelernt: Wenn ich nicht aufpasse, dann werde ich irgendwann so ein jungfernhaftes Weichteil wie Du. Gott, ich bin Dir so dankbar, dass Du mir das gezeigt hast. Ich glaube, ich schreibe erstmal eine richtig hohle Pressemitteilung schicke Sie an jede Journalisten-Mailadresse, die wir im Verzeichnis haben. Noch heute, an Heiligabend!“

Fast scheint es, als kämen dem Geist der Weihnacht ein paar Tränen. Dann nimmt er die Lagavulin-Flasche, glucksend rinnen einige Schlucke seine Kehle hinab.

Nicht viel später hat sich das Bild gewandelt. Es ist weihnachtlich besinnlich geworden, von den Tibetorchideen hängen nun aus Papier ausgeschnittene Weihnachtssterne, der Geist und sein menschliches Abbild liegen nebeneinander auf dem Sofa, die Flasche Whisky ist geleert, eine mit Grappa auch. Gemeinsam drücken die beiden Alexandras die Maustaste um eine höchst verwirrte Pressemitteilung voll von Worten wie „Weltmarktführer“ oder „epochales Produkt“ an einen fünstelligen – natürlich offen für jeden Empfänger einsehbaren – Verteiler zu senden, während durch die Boxen laut „Fairytale of New York“ von den Pogues dröhnt. Und gemeinsam singen sie ihre Lieblingsstelle:

„Youre a bum
Youre a punk
Youre an old slut on junk
Lying there almost dead on a drip in that bed
You scumbag, you maggot
You cheap lousy faggot
Happy christmas your arse
I pray God its our last“

(Gefunden bei Techcrunch)

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Kollerkommunikation
Die Zahl des Monats
Job-TV 24
Valentinstag
Sepp Blatter
Neue Sanftmut
Street Credibility
Nike
James Bond
Rolling Stones
Eröffnungsspiel
Paris Hilton
Bunte Pillen
Sigmar Gabriel
Gastautorin
Jack Bauer
Second Life
Markus Schächter
KPMG
Keine Re-Publica
Biblische Gärten
Der Deutsche Direktmarketing-Verband
Weihnachtsfeier
Winterdepression
BMW
Ruhr hoch n
Kleingruppenhaltung
Oktoberfest


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