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An diesem Wochenende tauchte im Weblog Buzzmachine eine Meldung auf, deren Bedeutung gewaltig ist – auch wenn sie scheinbar en passant auftaucht. Sie handelt nicht von einem Dammbruch, aber von einem Riss. Und dieser Riss gesellt sich zu mehreren anderen in der jüngsten Zeit, die davon künden, dass die Zeitungsbranche nicht mehr lange Zeit hat, um ihr gedrucktes Kernprodukt zu retten.

Es gibt Menschen, die halten mich für einen Feind der Zeitungen. Das ist, mit Verlaub, Humbug. Ich liebe Zeitungen.

Doch sehe ich eben auch das Leseverhalten meines Freundeskreises, in dem kaum Journalisten und nur wenige Web-Szene-Menschen zugegen sind. Kaum noch jemand leistet sich dort eine Tageszeitung. Die Zeit reicht am Morgen nicht mehr zum Lesen – und am Abend sind die Meldungen dort mindestens 24 Stunden alt, meist sogar noch älter. Die klassische Zeitungsklientel – gut gebildet, gut verdienend, an der Welt interessiert – verabschiedet sich von einem Produkt, dem sie eigentlich große Sympathien entgegen bringt.

Vielleicht ist dieser Freundeskreis ja eine singuläre Erscheinung. Das würden vielleicht jene in der Medienbranche sagen, die den derzeitigen Zustand der Verlagshäuser als konjunkturelle Krise werden und nicht als strukturelle.

Sie versprechen, dass der Fall der Auflagen, und damit verbunden das Sinken der Werbeerlöse, irgendwann – und dieser Zeitpunkt sei absehbar – zum Erliegen kommen werde. Denn textbasierter Qualitätsjournalismus sei unentbehrlich und im Internet werde doch kein Geld verdient.

Womit wir bei einem Satz von Russ Stanton, Chefredakteur der „Los Angeles Times“ wären, der Zeitungsfreunden einen eiskalten Schauer über den Rücken jagt.

Auf einem Podium der der University of Southern California sagte er, die Online-Einnahmen überstiegen die kompletten Redaktionskosten des Blattes. Auf Nachhaken von Buzzmachiner Jeff Jarvis hat zumindest der zuständige Organisator der Diskussion dies so bestätigt (ich habe Russ Stanton per E-Mail dazu ein paar Fragen gestellt – mal schauen, ob er antwortet).

Das Überschreiten dieser Grenze ist bedeutsam, weil sich jeder vernünftige Kaufmann damit einige Fragen stellen muss. Lohnt sich der Vertrieb der Zeitung damit noch? Sollten die Druckereien gekündigt werden?

Ganz so einfach ist die Sache natürlich nicht. Denn zu den betriebswirtschaftlich nötigen Kosten zählen eben auch Posten wie der Anzeigenvertrieb, Gebäudekosten oder Zusatzleistungen wie eine Kantine. Außerdem dürfte ein gehöriger Block von Anzeigen Kopplungsgeschäfte aus Print und Online sein. Doch gleichzeitig darf nicht übersehen werden: Die Einnahmen aus Online-Werbung werden in den kommenden Jahren deutlicher steigen als jene aus gedruckten Anzeigen.

Wenn es Journalisten und Verlagsmanagern also ernst ist mit der Rettung des Kulturgutes Zeitung, dann müssen sie schnell sein. Einfach nur Augen halb zu und weitermachen wird nicht funktionieren. Jede Zeitung muss sich endlich strategisch im Nachrichtenfluss positionieren statt immer nur gegenüber den anderen Zeitungen. Und vielleicht können wir in Deutschland wirklich Halleluja singen, weil wir ein paar Jahre mehr dazu Zeit haben werden, als die Berufsstandskollegen in Übersee.

Nachtrag vom 23.12.: Jarvis hatte inzwischen Kontakt zu Stanton – es gibt interessante Erläuterungen.


Kommentare


Lars 22. Dezember 2008 um 12:38

Ich weiß nicht, ob ausgerechnet \“Dammriss\“ die passendste Vokabel ist:

http://de.wikipedia.org/wiki/Dammriss

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DonDahlmann 22. Dezember 2008 um 12:40

Hmmm – Göldi meint, es geht nicht (http://is.gd/cVAU ), Murdoch meint es geht (http://is.gd/cVBc )

Ich glaube, es kommt nicht zu früh, aber die Verlage sind noch nicht so weit.

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Stefan 22. Dezember 2008 um 13:19

@Lars: mir gefällt der Begriff in diesem Zusammenhang besser! 😉

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jo 22. Dezember 2008 um 14:14

Die Zeit reicht am Morgen nicht mehr zum Lesen

Das kaufe ich nicht. Wenn die Zeit morgens nicht reicht, gleichwohl aber ein Bedürfnis nach gedruckten Worten vorhanden ist, könnte man einfach früher aufstehen. Es muss also noch andere Gründe geben (Die Relation Copypreis-Zeit-Erkenntnisgewinn vielleicht?)

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Mirko 22. Dezember 2008 um 16:01

@jo: Zustimmung – das glaube ich ebenfalls nicht. Vielleicht liegt es eher daran, dass man morgens nicht das einheitliche extrakt von DPA & Co in geruckter Form benötigt.

Ich lese meine Zeitung morgens:

A) weil ich mir morgens den Luxus gönnen meinen Kaffee in Ruhe zu trinken und dabei Zeitung lesen.

B) weil mich der Lokalteil interessiert – das Überregionale lese ich morgens im Büro auf meinem RSS Reader.

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Axel Mathieu 22. Dezember 2008 um 16:54

Kein einheitliches Extrakt von DPA & Co oder eine wie auch immer geartete Copypreis-Zeit-Erkenntnisgewinn-Relation haben mein jahrzehntelandes Vergnügen zwei bis drei Zeitungen am Tag zu lesen beendet, sondern schlicht und ergreifend Geldmangel nach krankheitserzwungener Verfrührentung. Und Geldmangel durch Preisanstieg, Insolvens und Globalisierung lassen in meinem sozialen Bezugsrahmen die Zeitung über Nacht zum Luxusartikel werden.

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jw23 22. Dezember 2008 um 18:09

@Mirko:
Volle Zustimmung.
Es gab im Wesentlichen 2 Gründe für meine Eltern das lokale Blatt vor 3 Jahren abzubestellen (ich selbst (Mitte 20) hatte es aus ähnlichen Gründen übrigens noch nie abboniert):

1. Das \“Überregionale\“ (sprich: die Agenturmeldungen) bekommt man über das Internet schneller und billiger (ja, es gibt Leute Mitte 50, die damit kein Problem haben 😉 )

2. Der Lokalteil, der der eigentliche Grund für das Abo war, wurde immer mehr abgebaut (der kostet ja auch viel Geld, während das Überregionale relativ billig von (in diesem Fall) der Südwestpresse kommt…)

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spätburgunder 22. Dezember 2008 um 22:54

Zwei Punkte: wer braucht Nachrichten, die er online gestern gelesen hat heute? Wo bleibt der Mehrwert – siehe bspw. die taz. Sie bietet Nachrichten über den Ticker hinaus. Von der lokalen Zeitung lese ich nur das Lokalprodukt – und das ist meist schon scwer erträglich.

Also: Einordnung und/oder echter lokaler Content – davon kann eine Zeitung auch in Zukunft leben.

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SvenS 23. Dezember 2008 um 10:08

Das einzige was momentan noch zwischen den Zeitungen und einem wirklichen Dammbruch steht ist der Lokalteil. Es gibt im Moment nur sehr wenige gute lokale Nachrichtenseiten. In meinem Umfeld eigentlich gar keine. Sobald sich hier im größeren Maßstab etwas ändert, wird es den Lokalzeitungen sofort an den Kragen gehen, wenn sie nicht an entsprechenden Angeboten teilhaben. Warum wurde oben scon beschrieben, die überregionalen Nachrichten sind überall das gleiche Agenturmaterial das i.d.R. von gestern ist. Das was morgens in der Zeitung steht hat selbst der Internetverweigerer spätestens im heute-journal oder den Tagesthemen oder ein Nachtjournal gesehen. Dafür geben immer weniger Menschen 20 und mehr € pro Monat aus.

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Martin Aschoff 27. Dezember 2008 um 15:33

Seit wann zählt denn eine Kantine zu den betriebswirtschaftlich nötigen Kosten? Das ist ein Luxus den sich auch ohne Strukturkrise die meisten Verlage (die noch nie auf der Insel der glückseligen Regionalverlage mit Monopol-Einkünften gelebt haben) nicht leisten könnten!

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