Als kürzlich ein Flug der Spanair verunglückte, wunderte sich jemand bei Twitter darüber, dass der Nachrichtensender N-TV seinen Pariser Korrespondenten zuschaltete – obwohl doch der Absturz in Madrid stattgefunden hatte. Vielleicht war Markus Boehnisch, der örtliche N-TV’ler auf dem Weg zum Ort des Geschehens, vielleicht hatte er Urlaub – im August hat fast ganz Madrid Urlaub. Und vielleicht war einfach Paris das nächste Korrespondenten-Büro, das besetzt war.
Warum aber überhaupt jemand zuschalten, der auch nichts anderes macht, als die Hauptredaktion? Weil man bei vielen Medien, ja bei fast allen, glaubt, räumliche Nähe liefere eine qualitativ bessere Berichterstattung.
Das ist ein Irrglaube. Und er mündet in einer großen Verschwendung von Redaktionskapazitäten, egal ob bei Fernsehen, Radio oder Zeitung. Vom Fußball lässt sich manches lernen. Zum Beispiel das Management von Ressourcen. Kein Trainer käme auf die Idee, beim Freundschaftsspiel gegen einen deutlich unterklassigen Club mitten in der Woche und mitten in der Saison seine beste Elf auflaufen zu lassen. Denn ein Spieler hat eben nur begrenzte körperliche Reserven, die sollen nicht bei unwichtigen Partien verschwendet werden.
In der Wirtschaft ist das ähnlich. Der Vorstand hat sicherlich auch aus standesdünkeligen Gründen einen Fahrer. Doch vor allem soll er als zumindest scheinbar wichtigster Mitarbeiter während des körperlichen Transportes arbeiten können.
Nur Redaktionen haben das noch nicht recht gelernt. Damit meine ich nicht nur, dass Redakteure immer mehr Sekretariatstätigkeiten erledigen müssen. Nein, auch in der internen Organisation müssen gerade die teuersten Mitarbeiter – in diesem Fall die Korrespondenten – Arbeiten übernehmen, die andere, günstigere Kräfte eben so gut machen könnten.
In vielen Medien sind Korrespondenten nur Edel-Nachrichtenagenturen. Nur weil jemand im gleichen Land sitzt, bedeutet das nicht, dass er unmittelbar besseren Zugang zu Informationen hat, als ein Fachredakteur in der Heimat.
Nehmen wir nur die Wirbelsturmsaison. Nicht jedes Medium kann überall dort jemand hinschicken, wo der nächste Sturm zuschlägt. Also werden die US-Korrespondenten eingeschaltet. Und so schreiben Journalisten in New York, Washington oder Los Angeles über Ereignisse in Miami oder New Orleans. Das gleiche betrifft die derzeit stattfindenden Parteitage der US-Parteien, wie Jeff Jarvis in seiner „Guardian“-Kolumne giftet.
Dabei tun jene Berichterstatter fernab vom echten Geschehen nichts anderes, als Nachrichtenagenturen zu beobachten, Fernsehen zu gucken und die Onlinequellen zu durchsurfen. Es sind Tätigkeiten, die genauso gut aus der Heimat erledigt werden könnten.
Natürlich gibt es den Fall, dass ein Korrespondent eine Quelle hat, die exklusive Informationen liefert. Doch wenn das nicht der Fall ist, sind Korrespondenten-Kapazitäten wesentlich besser investiert in Geschichten, die nicht über Nachrichtenagenturen zu bekommen sind.
Eigentlich ist dieser Gedankengang nahe liegend. Warum aber läuft es nicht so? Vielleicht soll der Leser, Zuhörer oder Zuschauer getäuscht werden? Soll denken, weil ein Korrespondent räumlich näher am Geschehen sitzt, steige die Qualität der Berichterstattung? Oder ist es die Angst der Korrespondenten, bei immer geringer werdendem Platz für Berichte abseits des Nachrichtengeschehens zu selten aufzutauchen – und somit den Job zu verlieren? Vielleicht ist es auch Bequemlichkeit: Die Nachrichtenlage zusammenzufassen ist ein leichterer Job als die Recherche.
So oder so: Auch hier ist in Zeiten knapper werdender Ressourcen ein Umdenken nötig. Bevor die nächste Sparwelle wieder einmal die Korrespondentenposten hinwegspült.
Kommentare
stefan 4. September 2008 um 11:46
Übertroffen wird die Nachrichtenferne nur noch, wenn die Floskel fällt \“Politischen Beobachtern zufolge …\“. Dann hat meistens der englische Kollege an der Bar einen schlauen Satz gesagt. Gern noch getoppt durch \“… bleibt abzuwarten\“. Auf deutsch: Ich habe keine Ahnung.
Und damit zurück nach Hamburg. Äääh, Düsseldorf.
Konstantin Klein 4. September 2008 um 11:47
Ja – und nein. Was die Berichterstattung über Naturkatastrophen und dergleichen angeht, stimme ich größtenteils zu; das kann der Heimatredakteur mit Agenturzugang fast genauso gut.
Etwas anderes ist es aber mit politischen oder sozialen Themen: Hier kommt es mindestens so sehr auf das Hintergrundwissen an, das man sich eben nicht nur in ein paar Minuten Agenturstudium aneignet, sondern nur durch kontinuierliche Arbeit und dito Leben im Berichtsgebiet.
Sagt einer, der mehr als sieben Jahre genau das getan hat.
Andreas F. 4. September 2008 um 12:11
Ja, interessant ist auch manchmal, wenn irgendwo bei einer großen Veranstaltung eine Horde Journalisten herumsitzen und warten – und nichts passiert. Dann interviewt schon mal ein Journalist den anderen und fragt den dann, wie das so ist, hier als Journalist zu warten (was er doch selber weiss).
Irgendwie scheint mal wohl zu glauben, dass es kompetenter und authentischer wirkt, wenn man Andere etwas fragt und sie zitiert. Selbst bei Sachen die man eigentlich genauso gut kennt bzw. bei denen man die gleichen Informationen hat.
Armin 4. September 2008 um 12:49
Wie Konstantin Klein sagt, ja und nein. Ich bin kein Journalist, aber auch als \“Nutzer\“ merkt man das schon.
Wenn ich mir so die Deutsche Presse und \“Blogosphaere\“ so durchlese wenn dort Ereignisse aus meinem jetzigen Heimatland (UK) kommentiert werden, da merke ich schon sehr oft dass dort nur Agenturmeldungen ohne Reflektion und Hintergrundwissen wiedergekaut werden. Oder Zeitungsmeldungen mehr oder weniger abgeschrieben werden ohne diese einzuordnen oder zu hinterfragen.
Einfach weil das Hintergrundwissen fehlt, das Gefuehl fuer etwas das passiert, manchmal sogar die Kenntnis der Geographie/Gegend.
Das sind wirklich Sachen die man nur ueber eine laengere Zeit lernt wenn man in einem Land lebt (und sich auch integriert, wer nur in seinem \“Expat-Ghetto\“ bleibt tut dies nicht).
Interessanterweise kann man das auch \“verlernen\“: Bei vielen Ereignissen in Deutschland faellt es mir inzwischen schwer diese einzuordnen, nach inzwischen 8 Jahren fehlt mir immer oefter das Hintergrundwissen zu verschiedenen Ereignissen.
Uwe 4. September 2008 um 12:53
Sehr schön. Erinnert mich an die Olympia-Berichterstattung meiner Lokalzeitung: Die hatten einen Vertreter vor Ort, dessen Name aber täglich in 8-10 als Autor auftauchte – um zu verschleiern, dass leicht bearbeitete Agenturmeldungen ins Blatt gehievt wurden. Aber Hauptsache, der Leser fühlt sich direkt informiert.
PS: Ich glaube, über Olmypia hätte man fast kompetenter berichten können, wenn man nicht vor Ort gewesen wäre – aufgrund der Einschränkungen beim Netzzugang.
Saksith Saiyasombut 4. September 2008 um 12:57
Ich stimme Herrn Klein zu. Nehmen wir mal die politische Dauerkrise in Thailand als Beispiel. Ein Thema mit solch einer unglaublichen Komplexität muss von einen ehrfahrenen Menschen behandelt werden, damit es in den westlichen Medien halbwegs akkurat ankommt. Der nächste ARD-Korrespondent für Südost-Asien sitzt zwar in Singapur, aber noch nah genug am Geschehn und vor allem erfahren genug, um die Situation einzuschätzen!
Diese Arbeit kann von einem \“Heimatredakteur\“ gemacht werden, aber auch nur wenn er die Fachkenntnis besitzt. In Zeiten Allroundern und Alleskönnen-Müsser seh ich da allerdings solch ein Thema nicht gut aufgehoben.
Case 4. September 2008 um 15:17
Die ziemlich klasse gemachte Pro 7-Sendung \“Switch Reloaded\“ bringt genau dieses Problem auf den Punkt. Bei der Verarsche der RTL-Naschrichten ist Reporterin Antonia Rados immer tausende Kilometer vom eigentlichen Geschehen entfernt.
newsman 4. September 2008 um 18:10
Als ich am Desk eines sehr schnellen Mediums arbeitete, bürgerte es sich ein, dass wir von dort aus – anständig zitierend – Medien am Ort auswerteten, schon aus praktischen Gründen: Der Artikel war längst draußen, als unser Mann/die Frau am Ort (der zudem noch einen Bauchladen langsamerer Medien betreute) dank der Zeitverschiebung die Arbeit schließlich aufnehmen konnte. Ansage an den Mitarbeiter am Ort: Bitte mache für uns nur Geschichten oder Analysen, für die Du zwingend die Anschauung brauchst und bei denen Du Deinen Standortvorteil und Deine Verbindungen ausspielen kannst. Konsequenz war, dass nichts mehr kam – die anderen Redaktionen wollten nämlich von ihm/ihr in der Regel nur reproduziert haben, was sie aus Agenturmeldungen schon wussten, und waren an \“echten Originalen\“ gar nicht interessiert. Für journalistische Arbeit über die reine Faktensammlung und Zusammenschreibe hinaus war keine Zeit mehr. Verkehrte Welt!
Thomas Wanhoff 4. September 2008 um 18:55
Ich halte das für grosen Bullshit. Ich selbst lebe in Vietnam, und was hier los ist, davon erfahre ich aus den lokalen Zeitungen. Und aus dem lokalen TV. Zum Beispiel Hintergründe über den Immobilienboom. Gleiches gilt für Kambodscha; Was da in deutschen Medien über das Rote-Khmer-Tribunal geschrieben wurde, waren umformulierte Pressemitteilungen, gerade weil man KEINEN Mann (oder Frau) vor Ort hatte.
Die Frage ist, ob das selbst recherchierte jemanden interessiert. Oder ob Deutschland nur auf Spanien schaut, wenn ein Fligzeug abgestürzt ist. Das ist aber nicht Schuld des Korrespondenten, sondern der Heimatredaktion. Ich habe einen Google Alert auf Vietnam und HCMC, und was das in deutschen Stuben geschrieben wird, ist peinlich. Nein, lieber Thomas Knüwer, hier liegst du leider völlig falsch.
spätburgunder 5. September 2008 um 5:06
@Thomas W: Ich denke, Thomas (Knüwer) meint das anders – nämlich genauso, wie Du Dir das vorstellst. Das nämlich ist auch die einzige dauerhafte Chance für einen Korrespondenten: Berichte mit echten \“Inländerwissen\“, woher das auch immer kommt. Das kann durchaus aus der kleiner Lokalzeitung kommen, oder aus dem Gespräch mit einem Kontakt im Tennis-/Golf-/Poloclub. Aber es sollte tatsächlich mehr sein, als etwas, was man kurzfristig auch aus tausend Kilometern Entfernung \“aufsagen\“ kann.
Also: Thomas (Knüwer) hat recht. Korrespondenten werden mit flachen, nichtinformierten Beiträgen \“um des vor Ort sein\“-willens immer überflüssiger. Gegenbeispiel: Ralf Sotschek, Korrespondent GB/Irland, oder auch die Bettina Gaus (USA zu den Vorwahlen), beide in der taz. Da sind a) Recherche, b) Exklusivität und c) wirkliches Inländerwissen und echte Inländereindrücke zu spüren und verarbeitet.
7an 5. September 2008 um 13:08
… und für große reportagen ist sowieso kein geld da.
Christoph Wesemann 5. September 2008 um 13:17
Die Entwicklung, die Knüwer beschreibt, ist doch eine Reaktion auf die Zeitungskrise. Die Zeitung versucht alles, um nicht nur Agenturmeldungen abzudrucken. Sie sucht ein eigenständiges Profil, damit der Verleger nicht in Versuchung gerät, den Mantel mit den drei anderen Zeitungen zusammenzulegen, die ihm auch noch gehören. Wenn nämlich überall nur Agenturmeldungen steht, kann er dies tun und weiter sparen.
Diese Angst führt dann vor allem bei kleineren Zeitungen dazu, dass jeder Hobbyjournalist zu \“unserem Korrespondenten\“ ernannt wird. Das ist nicht schön – aber eben erklärbar.
armin1us 5. September 2008 um 21:46
Bei vielen Auslandskorrespondentenberichten aus den USA stelle ich fest, dass der Korrespondent nicht das berichtet, was im Ausland stattfindet, sondern das, was in Deutschland gerade \“politisch korrekt\“ über die USA verbreitet werden soll.
Deshalb kommt es auch immer wieder vor, dass deutsche Touristen in den USA erstaunt sind darüber, was sie dort vorfinden – weil es oftmals nicht mit dem übereinstimmt, was sie jahrelang in ihren Heimatmedien sahen, lasen und hörten.
Es wird gar nicht mehr lange dauern, dann wird es auch in den USA genügend deutschsprachige Medien geben, die die Deutschen im Internet direkt anklicken können, wenn sie zutreffend informiert werden wollen. Und wenn sich in Deutschland jemand für amerikanische Pop-Musik interessiert – wo steht es geschrieben, dass er dazu einen deutschen Sender einschalten muss?
Mia Schmid 7. September 2008 um 19:28
Ich teile nicht die generelle Kritik an Auslandskorrespondenten, denke aber, dass Sie tatsächlich oft nicht so eingesetzt werden, wie es am ehesten Ihren Möglichkeiten entspräche.
Siehe auch:http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/medien/?em_cnt=1343539
Noch eine Anmerkung zu der Frage:
\“Vielleicht soll der Leser, Zuhörer oder Zuschauer getäuscht werden? Soll denken, weil ein Korrespondent räumlich näher am Geschehen sitzt, steige die Qualität der Berichterstattung?\“
Vielleicht? Ganz bestimmt.
Das gilt auch für Inlandsberichterstattung und erklärt, warum sich auch Reporter im Hörfunk oft absagen mit \“Otto Normalreporter, 08/15-Dorf\“, obwohl 08/15-Dorf nur der Ort der Geschichte, aber längst nicht der Arbeitsplatz des Reporters ist. Aber es klingt eben danach und täuscht eine Vor-Ort-Präsenz vor, die Vertrauenswürdigkeit suggeriert. In Wahrheit ist es oft schlichte Irreführung.
Und zum Thema Glaubwürdigkeit rund um die Berichterstattung des Spanair-Absturzes siehe:
http://www.fair-radio.net/start.php?content=passiert&aid=101
Xpress 9. September 2008 um 17:09
In meiner aktiven Tageszeitungs-Zeit lief das so: Der (Auslands-)Korrespondent bot ein Thema an – und der Nachrichtenchef fragte sofort zurück: \“Lief da schon was über Agentur?\“
Wenn der Korrespondent dann nein sagte, weil er ein eigenes/exklusives Thema hatte, dann war das Stück für die aktuelle Ausgabe schon gestorben. Die Korrespondenten-Story wanderte auf den Stapel im Eingangskörbchen.
Wenn Tage darauf AP oder dpa die Story dann auch hatte, dann eierte man im besten Fall mit seiner angeschimmelten Korrespondenten-Geschichte hinterher. Im schlechteren Fall musste sich der arme Korrespondent auch noch einen Einlauf verpassen lassen, warum er seine Geschichte so schlecht verkauft hatte…