Den Namen Dietrich Dörner habe ich vor dem heutigen Tag noch nicht gehört. Das mag man mir ankreiden, doch der Mann ist Kognitionspsychologe und in diesem Fachgebiet bin ich nie unterwegs.
Heute ist bei Welt Online ein Interview zum Thema Videospiele zu lesen. Und es ist eines der klügsten, charmantesten und interessantesten Gespräche zu diesem Thema, das ich seit langem gelesen habe. Im Kampf der Kulturen zwischen der Ich-bin-gerne-Online-Fraktion und dem Kommando Josef Joffe ärgert mich vor allem eines: Das Internet wird von seinen Gegnern als abgekoppelte Sphäre dargestellt, die nichts zu tun hat mit dem Rest der Welt. Natürlich funktioniert im Web vieles anders, doch gibt es eben auch Parallelen zur anderen Epochen der menschlichen Geschichte und anderen Bereichen unserer Gesellschaft.
Wie so etwas geht, das demonstriert jener Dietrich Dörner heute im Interview mit Welt Online. Einige Auszüge:
„Wenn ein Fussballfan sich viel um seine Manschaft kümmert, sich T-Shirts und Schals kauft und so weiter, dann findet das kein Mensch beunruhigend. Das ist doch verräterisch. Das Problem ist nur, dass die Eltern das nicht kennen und nicht verstehen. Es gibt ja viele lyrische Spiele, „Myst“ oder so, aber soweit dringen die gar nicht vor, das zu merken…
WELT ONLINE: Sie finden Videospiele eher harmlos?
Dörner: Na ja, es gibt die berechtigte Sorge, dass Leute, die nur vor dem Computer hocken, dick werden und sich sportlich nicht mehr betätigen…
Das Spiel gehört zum Menschen, es ist Erkunden von neuen Realitäten. Sie kennen ja Huizinga. Denken Sie an Shakespeare: Wir spielen alle ständig. Wir spielen Rollen, machen anderen was vor. Eine reichhaltige und gestaltungsfähige Sache wie ein Videospiel ist eine Erweiterung des normalen Lebens…
Beim Spielen ist alles so fürchterlich konkret. Beim Lesen kann man viel mehr selbst gestalten. Das bleibt alles nebeneinander bestehen. Die wenigen, die nur spielen, und gar nicht lesen, die haben auch früher nicht gelesen…
Seit der Einführung der Spiele gibt es einen Rückgang der Jugendkriminalität in den USA. Das dürfte ja nicht so sein, bei den Massen, die Gewaltspiele spielen…
um Vorwurf, das sei kindisch, vergleiche man nur mal Schach mit einem Strategiespiele wie Medieval War. Beim Schach gibt es 16 Figuren, die immer den gleichen Wert haben. Beim Stategiespiel hat man mehrere hundert Figuren, viel mehr Zugmöglichkeiten, und die Figuren verändern sich, etwas ihre Kraft oder Moral. Das ist viel komplexer als Schach. Schach würde nie jemand dumm nennen.“
Dietrich Dörner sollte man ruhig häufiger befragen, oder?
(Gefunden bei Turi2)
Kommentare
Heide 20. August 2008 um 17:39
Schade nur das die Überschrift den Artikel mal wieder nur auf das Klischee des dicken Spielers eindampft.
Verbraucher 20. August 2008 um 18:16
Endlich ein Psychologe der zumindest versucht hat zu spielen und auf diese Weise das Spielen verstanden hat, statt sich gängiger Klischees zu bedienen. Tut gut so was zu lesen und denke dass man in naher Zukunft häufiger von ihm zu dem Thema, und Leuten wie ihm hören wird.
Martin 20. August 2008 um 18:22
Schade, dass er beim nächsten Rumumschlag von Frontal 21 und Konsorten, sicherlich nicht vor die Kamera darf um seine Meinung zu sagen…
Und eine Podiumsdiskussion mit Herrn Dörner und Herrn Pfeiffer als Teilnehmer würde ich zu gerne einmal sehen.
stefan niggemeier 20. August 2008 um 19:45
Zwar schon fast 20 Jahre alt, aber immer noch lesenswert: Dietrich Dörners Buch \“Die Logik des Mißlingens\“. Klug, lehrreich und unterhaltsam.
Wolfgang Hömig-Groß 20. August 2008 um 20:17
Stefan Niggemeier ist mir zuvorgekommen, aber ich kann seine Empfehlung nur nachdrücklich bekräftigen!
Tina Guenther 20. August 2008 um 23:09
Gibt ein schönes Buch von Dietrich Dörner \“Die Logik des Misslingens\“ (1989). Hat mich vor gefühlten 5 Jahren sehr beeindruckt. Hab es noch im Schrank …
Wolff Horbach 20. August 2008 um 23:22
Dietrich Dörner ist eben ein Mensch, der ganzheitlich denkt (überhaupt denkt?). Hat man heute selten.
Was den Buch-Tipp angeht, schließe ich mich Stefan, Wolfgang und Tina an. Habe ich neulich noch in neuer Aufmachung im Buchladen gesehen. \“Die Logik des Misslingens\“ ist eben ein Klassiker, der nie alt wird.
Florian 20. August 2008 um 23:40
Klasse, Beitræge, in denen Du Dinge vorstellst, die du gut findest, gefallen mir viel besser, als die Verrisse.
Nur wie Martin schon sagte: Ob sich Leute, die nun mal einfach meinen am Rechner sitzen sei schlim, gefæhrlich und bøse, von Schachanalogien beeindrucken lsaaen ist fraglich.
nina 20. August 2008 um 23:57
Klasse, das Interview. Aber hätte das nicht noch mal jemand korrekturlesen können..?
@nina 21. August 2008 um 16:06
…doch, aber nicht bei Welt-Online; die Praktikanten sind schließlich mit \“Kommentare und Link löschen\“ hinreichend ausgelastet 😉
@nina 21. August 2008 um 16:07
PS: \’Korrekturlesen\‘ wird großgeschrieben 😉
Holger 21. August 2008 um 16:26
Zu der von Dörner vertretenen These, die Jugendkriminalität sei seit Einführung von Spielen zurückgegangen, gibt es auch gegensätzliche Studien.
Als Buchtipp: Manfred Spitzer – Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens
Jeeves 24. August 2008 um 15:54
Heide: Das mit dem \“dick werden\“ war doch im Interview sanft ironisch gemeint.
anonym 25. August 2008 um 17:01
Einer kennt Peter Glaser nicht, der andere nicht Dietrich Dörner. Und da wird immer bestritten, daß das Internet verdummt!(Das war jetzt ein Witz.)