In diesen Spät-Juli/Früh-August tagen herrscht, seien wir ehrlich, in mancher Redaktion ein Anflug von Anarchie. Die Leitungsetage ist so dünn besetzt wie die Themenlage, auch Chefredakteure und Herausgeber wollen einmal Urlaub haben und den nehmen sie meist in der Zeit, in der sie das Sommerloch vermuten.
Ob dies bei der „Frankfurter Allgemeinen“ auch zutrifft, oder ob ihre anwesenden Lenker einfach von einem sonnenbedingten Anflug der Leichtigkeit erfasst wurden, mag ich nicht zu sagen. Sicher aber ist: Der heutige Leitartikel ist die unbedingte Empfehlung wert. Was Florentine Fritzen so den ganzen Tag macht, weiß ich nicht. Sie soll Politik-Redakteurin bei der „FAZ“ sein. Heute auf jeden Fall hat sie den Leitartikel geschrieben. Über das Kinderkriegen. Nun ist es schon ungewöhnlich genug, dass die „FAZ“ ihren prominenten Leiterplatz solch einem Thema widmet. Noch ungewöhnlicher aber ist der Stil: zum auf die Schenkel schlagen, zum wegnudeln, zum losprusten.
„In der Schwangerschaft wird dann bei vielen Tassen Himbeerblättertee (macht die Wehen erträglicher) mit Freundinnen darüber diskutiert, welche Eigenschaft der Periduralanästhesie schwerer ins Gewicht falle: dass sie den Geburtsschmerz lindere oder dass sie das Geburtserlebnis mindere. Auch unsere Mütter ahnten, dass eine Geburt weh tut. Sie hofften, dass sie nicht allzu weh tun würde.
Für unsere Eltern war das Kinderkriegen ein Erlebnis. Inzwischen ist es ein Event…
Dieses Kind soll später einmal alle Möglichkeiten haben. Deshalb würden wir, wenn wir in Jena arbeiten, möglichst nicht dort entbinden, damit das Baby in späteren Vorstellungsgesprächen nicht nach seiner Ossi-Herkunft gefragt wird. Weimar wäre noch okay wegen der Klassik, aber sicherheitshalber würden wir wahrscheinlich rechtzeitig zu unseren Eltern nach Hamburg oder in den Taunus fahren und dort ins Geburtshaus gehen. Unmittelbar nach der Geburt legen wir dann Stammzellen auf die Nabelschnurblutbank und Geld auf ein Ausbildungskonto…“
Liebe Leitungsetage der „FAZ“, bitte geben Sie uns häufiger solche Leitartikel. Und wenn Florentine Fritzen immer so schreibt, dann lassen sie die Dame bitte von der Leine: Die Kollegin kann was!
Kommentare
Matthias 29. Juli 2008 um 15:26
GENAU SO reden aber werdende Eltern … die es sich leisten können. Bei Harz IV und ab dem fünften Kind nehmen es die Erzeuger wahrscheinlich nicht mehr so genau. Aber erkennen Sie einmal auf Ultraschallfotos aus dem Innenleben einer Studiernrätin Wale. Da hoffen Sie auch die nächsten paar Jahre auf eine Einladung zum Abendessen. Es hilft kein Hinweis, keine Entschuldigung wie … \“dann zeigt es doch nicht nahtlos zu den Urlaubsbildern\“. Irgendwie hat mir diese Warnung im Leitartikel gefehlt.
Robert 29. Juli 2008 um 16:03
Florian Illies für Arme!
Lukas 29. Juli 2008 um 17:02
Hurrah, ich bin in Duisburg geboren (und zwar aus einem einzigen Grund: die dortige Geburtsklinik hatte einen besseren Ruf als die Dinslakener Krankenhäuser).
Ansonsten: Danke für die Empfehlung!
Ingolf Tacke 29. Juli 2008 um 17:26
Das stimmt, Matthias, viele Frauen reden tatsächlich so (einen Blödsinn). Aber zum Schießen komisch ist das als Leitartikel schon, ja! 🙂
Elena 29. Juli 2008 um 17:50
Jaja, voll lustig. Und total oberflächlich, aufgewärmte Plattitüden und so. Man erkennt Kinderlose vor allem daran, dass sie sich Kommentare übers Kinderkriegen anmaßen. Aber es bleibt die Hoffnung, dass auch Kinderlose sich irgendwann fortpflanzen – spätestens nach dem ersten Jahr mit Nachwuchs wird auch die gute Florentine merken, dass Himbeertees, Geburtsvorbereitung und Ausbildungskonten die geringste Sorge sind…
tom 29. Juli 2008 um 17:54
Wenn man mal an der Leitung eines solchen Projekts beteiligt war, hauen einen die Erkenntnisse des Artikels nicht mehr wirklich von der Wickelauflage – auch wenn die Bündelung der Begleitumstände anderer Umstände zugegebenermaßen schön lesbar ist.
@itacke: Da muss ich widersprechen: Auch Männer reden so (einen Blödsinn). Allerdings geht es dann eher darum, ob nun drei bei einem Kinderwagen für schnelles Joggen/Rollerblade besser geeignet sind – oder besser vier Räder.
derherold 29. Juli 2008 um 19:30
Hurrah, ich bin in Essen geboren … und schaue auf alle herab, die in Duisburg geboren wurden…
SvenR 29. Juli 2008 um 20:48
Offenbach. Ich. Echt. Und meine Kinder. Alle.
Habe ich das heute nicht schon mal in anderem Zusammenhang geschrieben?
Egal, es kommt mir vor, als ob ich der einzige wäre, der hier Artikel verfasst oder kommentiert, der selbst eigene Kinder hat. Wir bekommen in den nächsten Tagen – vielleicht auch Stunden – unser drittes Kind. Wieder in Offenbach. Und natürlich hat meine Frau Folsäuretabletten eingenommen, Himbeerblütentee getrunken und sich mittels Akupunktur auf die Geburt vorbereitet. Warum soll sie das auch nicht tun, wenn sie glaubt, dss ihr das hilft? Warum soll sie auch nicht darüber sprechen? Was ist daran sooo lächerlich?
Wobei mir der Artikel von Florentine Fritzen ganz gut gefällt, weil er sehr schön mit den mannigfaltigen Möglichkeiten der modernen Welt koketiert und natürlich auch aufzeigt, das der oder die eine oder andere es auch übertreibt. Das darf er oder sie aber auch, weil sie nämlich ein, zwei, viele Kinder bekommen.
Mir sind die Eltern lieber, die ein bisschen zuviel Bohei machen, als diejenigen, die den Fernseher als Brutkasten missbrauchen. Von den Kindesmisshandlungen und Tötungen – auch \“nur\“ durch Unterlassung und Überforderung – will ich gar nicht schreiben. Und bevor mir hier einer die Welt erklären will, ich weiß bereits, dass es heute genau so viele Kindesmisshandlungen gibt wie früher, nur dass die Medien häufiger, intensiver und länger darüber berichten.
Andi 29. Juli 2008 um 22:53
Juhu ich bin Hallenser , bitte was ist schlecht an den neuen Bundeslänern denn wir können alles auch Hochdeutsch ;P
Hesse 30. Juli 2008 um 9:43
Frankfurt/M. und schaue auf alle herab, die in Offenbach das Licht der hessischen Welt erblickt haben
Tom 30. Juli 2008 um 11:47
Wobei das Sächsische ja die Mutter des Hochdeutschen ist (Luther->Bibel->Meissener Dialekt).
Heiko Kunert 30. Juli 2008 um 12:51
Ich ernte bis heut ein Schmunzeln, wenn ich angebe, dass ich in Wanne-Eickel geboren bin. Eigentlich gehörte das damals schon zu Herne. Diesen Eingemeindungsquatsch machten meine Eltern aber nicht mit. Das hab ich nun davon…
Jens 30. Juli 2008 um 22:07
@Heiko Kunert:
Das passt ja fast perfekt zu Castrop-Rauxel wie bei mir. Dabei lebten meine Eltern damals in Dortmund, was meiner Meinung nach sehr respektabel gewesen wäre.
jensscholz 2. August 2008 um 13:30
Tja. Schweinfurt. Hat mich aber nie jemand angesprochen drauf…
Zum Artikel: Ein bissel zu viel Lästern für meinen Geschmack, aber es stimmt schon: Wenn die Dingsundreißigjährigen Doppelverdiener mit halb abbezahlter Eigentumswohnung Kinder bekommen dann möchte man die verwöhnten überhüteten Kinder wirklich bemitleiden. Muss man aber nicht, denn deren Pubertät fällt um einiges kriegerischer aus als in Familien, in denen schon aus finanziellen Gründen Grenzen gesetzt sind – für die Eltern.