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Es war nur ein Detail bei der Verleihung der Grimme Online Awards gestern Abend. Und doch kündet der Auftritt von NRW-Europa- und Medienminister Andreas Krautscheid davon, was Politikern im kommenden Wahljahr blühen wird. Der gestrige Abend hatte etwas von tiefer Resignation. Zumindest kam in mir das Gefühl auf. Wieder einmal hatte das Grimme Institut sich kommunikativ auf den Bauch gelegt, wieder einmal hatte ein Moderator, diesmal eine -in, die undankbare Aufgabe, dies in Witzchen zu verwandeln. Katrin Bauerfeinds Pointen begrüßte der Saal mit tosendem Schweigen.

„Das Internet war wieder einmal schneller als die Realität“, kryptete sie. Der WDR hat’s auch nicht verstanden, was sie meinte, und hat gleich mal falsch mitprotokolliert. Ebenso wie das Detail, dass von Seiten der Nachrichtenagenturen kein Fehlverhalten vorlag.

Jeder im Saal also wusste, wer gewinnt. Erst recht die Gewinner, die wussten das schon, so war zu hören, seit drei bis vier Wochen. Die Verlierer wurden nicht informiert.

Und noch jemand war ahnungslos: der gastrednende NRW-Minister Krautscheid. Er sei gespannt, wer gewinne, sagt er und zum ersten Mal an diesem Abend erklang aus verschiedenen Ecken herzliches Lachen.

Krautscheid ist das eigentlich nur bedingt vorzuwerfen. Er dürfte viel beschäftigt sein – und nicht jeder muss Blogs lesen. Ein Auftritt wie bei Grimme Online ist für ihn Alltag: ein Preis wird vergeben, also mit ein paar Worten Spannung heucheln, ein paar Allgemeinplätze ins Mikro sprechen und dann Abfahrt.

Doch solche Routineauftritte werden zu Tretminenarsenalen im kommenden Wahlkampfjahr. Die Volksvertreter müssen ständig auf dem Laufenden bleiben und dürfen sich keinen Fehltritt erlauben – denn der wird sofort im Web landen.

Die kleine Peinlichkeit des Andreas Krautscheid ist somit nur ein Vorbeben dessen, was 2009 vielen seiner Zunft passieren wird.

Nachtrag: Der Kollege Julius Endert merkt zurecht an, dass Krautscheid nicht erst fünf Minuten vor Beginn der Veranstaltung ankam. Ich sah ihn entspannt vor der Halle stehen. Dort hätte ihm einer der Veranstalter die Lage klar machen müssen.


Kommentare


Erik 12. Juni 2008 um 14:31

So isses. Ich bin schon sehr gespannt, denn nach meiner Erfahrung ist die eingespielte Wahlkampfmaschine, die Aussagen in Land-, Kreis-, Bundesebenen abstimmen, zwischen Fraktionen, Listen und Kandidaten koordinieren muss, damit heillos überfordert.

Es wird höchste Zeit, dass das Web und die interessierten Menschen darin, die Politiker derart unter Druck setzen. Gelingen kann das aber nur, wenn Medien dies auch checken, begreifen und aufnehmen können. Bin gespannt.

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Erik 12. Juni 2008 um 14:35

… ach ja, das geht natürlich nur, wenn Journalisten (no offense 😉 begreifen, dass die Blogosphäre, vor allem die politische, in Deutschland über Niggemeier und Spreeblick-Johnny hinaus reicht.

vgl. http://tinyurl.com/69ab3d

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XiongShui 12. Juni 2008 um 15:07

… und das ist gut so!

Denn dann werden Worthülsen als das entlarvt, was sie sind: der unverschämte Versuch, Anteil zu heucheln, wo bloß das eigene Fortkommen interessiert.

Gewinnen werden jene, die einen Dialog mit den vor ihnen sitzenden Menschen aufnehmen und die deren Anliegen tatsächlich aufgreifen.

… und das ist auch gut so.

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Erik 12. Juni 2008 um 15:46

Übrigens fällt mir gerade ein, gab es einen solchen Fall in HH bei der letzten Wahl, wo ein Kandidat an der parteiinternen Liste vorbei sich hat wählen lassen. Vom Wähler und durch anstrengendes Klinkenputzen. Das geht auch online, will ich ihm zurufen.

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Lukas 12. Juni 2008 um 16:46

Ich wünschte, ich könnte Deinen Optimismus teilen. In Wahrheit dürfte es aber auch 2009 wieder (bzw. immer noch) herzlich egal sein, was Politiker wo sagen und was Blogger darüber schreiben. Erstens erreichen Blogs in Deutschland eben immer noch nicht die breite Masse der Bevölkerung und zweitens interessiert die sich auch gar nicht für sowas. Wenn \“Bild\“ schreibt, das Volk möge sich bitte empören, wird das Volk tun, wie ihm geheißen – aber alles andere ist egal.

Der US-Wahlkampf ist schon zwei Schritte weiter: da sind die kleinen Verfehlungen inzwischen schon wieder egal, weil man sie von jedem Kandidaten zuhauf bei YouTube und in Blogs findet. Das bisschen Gekreische, über das Howard Dean 2004 gestolpert ist, würde heute einfach untergehen.

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Torsten 14. Juni 2008 um 10:11

Sofern es die BILD nicht bringt, hat es nicht mal Folgen, wenn Du Deine Büroleiterin auf dem Schreibtisch beglückst und vergisst das Fenster zu schließen.

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Jaru 14. Juni 2008 um 10:53

> Sofern es die BILD nicht bringt, hat es nicht mal
> Folgen, wenn Du Deine Büroleiterin auf dem
> Schreibtisch beglückst und vergisst das Fenster zu
> schließen.

Wobei ich mich immer frage, warum das überhaupt Folgen haben soll (vorausgesetzt es geschieht freiwillig, Jugendschutz und Schutz von Abhängigen wird beachtet, usw.). Wollen wir nicht alle?

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