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Wir Journalisten neigen dazu, sympathische Menschen, oder Menschen, deren Anliegen und Tun wir für wichtig halten, besonders würdigen zu wollen. So etwas nennt man auch Betroffenheitsjournalismus. Manchmal kann das sogar gut sein. Unschön aber ist Betroffenheitsjournalismus, wenn er sich um die eigenen Kollegen dreht. Menschen erreichen heute oftmals ein bemerkenswertes Alter. Der 60. Geburtstag, zum Beispiel, wäre in den 20er oder 30er Jahren sicher noch ein großes Ereignis gewesen, damals verließen uns die Menschen früher.

Heute ist der Mensch mit 60 ein „Silver Ager“ oder in den „besten Jahre“ oder „überhaupt nicht alt“. Oftmals sehen wir es ihm oder ihr nicht einmal an, den Errungenschaften der kosmetischen Industrie sei Dank.

Es gab Zeiten, da schrieben Zeitungen anlässlich runder Geburtstage wie dem 60. lange Elogen auf verdiente Personen. Auch heute kommt das noch vor, unter dem 70. aber wird nur selten zur Tastatur gegriffen. Die Menschen werden halt älter.

Umso überraschter war ich gestern bei der Lektüre der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Feuilletonchef Claudius Seidl durfte auf der Medienseite Johannes Willms elogieren, den Pariser Feuilleton-Korrespondenten der „Süddeutschen Zeitung“. Kryptisch berichtet er (online ist der Artikel nicht) über eine Beerdigung, die Willms zu seiner Zeit als Feuilleton-Chef organisierte, es war der letzte Gang der Literaturkritikerin Elisabeth E. Ihren vollen Namen verschweigt Seidl, vielleicht weil es Unglück bringen könnte, wir kennen das ja, Harry Potter, Voldemort, sie wissen schon. Wilms Leistung lag darin, den Weihbischof von München zu überreden, eine Totenmesse in der Asamkirch zu zelebrieren. Außerdem durfte Willms in die erste Reihe, um den anderen Gläubigen vorzumachen, wann sie zu stehen, knien, sitzen hätten. Neben ihm saß sein Stellvertreter mit Namen Claudius Seidl.

„Kann schon sein, dass sich aus dieser Geschichte nicht alle Regeln für einen guten Feuilletonchef ableiten lassen – die meisten aber schon.“ So endet der Artikel des Feuilletonchefs über den Ex-Feuilletonchef und der Leser fragt sich, ob Seidl sich damit um die Leitung eines Beerdigungsinstitutes bewerben möchte.

So zahlt der Leser der „FAS“ also für den Geburtstagsartikel eines Journalisten, der 60 wird. Würden alle Zeitungen jeden verdienten Journalisten anlässlich dieses Ehrentages bejubeln, so bräuchten sie dafür jede Woche einige Seiten.

Vielleicht sollten Redaktionen einen mutigen Entschluss fassen. Einmal im Jahr packen sie alle Geburtstagsglückwünsche an Kollegen, Schilderungen von Firmenfeiern, Reportagen über die Taufe der Tochter des Literaturchefs und Freudebekundungen über Journalistenpreise in eine Sonderausgabe. Da ist dann auch viel mehr Platz für Fotos und üppige Beschreibungen. Diese Ausgabe gibt es dann gratis. Und der Leser muss sich nicht die Mühe machen, jedes Stückchen anzulesen in der Hoffnung, es bringe ihm Gewinn. Er kann diese Ausgabe gleich mit elegantem Schwung entsorgen.


Kommentare


Chefredakteur 26. Mai 2008 um 13:10

Sehr geehrter Herr Knüwer,

auch wenn die Menschen heute im Durchschnitt rund 80 Jahre alt werden, ist der 60. Geburtstag doch ein Tag, den viele begehen, weil 60 Jahre einen nicht unbedeutenden Abschnitt im Leben eines Menschen darstellen. So kommt es, dass auch in Zeitungen ab und an der 60. Geburtstag eines bekannten Menschen begangen wird, indem etwas über ihn geschrieben wird. Johannes Willms (er schreibt sich übrigens mit mit \“l\“, wie aus dem Beitrag Ihres Kollegen Seidl deutlich wird) hat als Kulturjournalist seine Meriten und hat einige nicht völlig unineteressante Bücher geschrieben. Das alles rechtfertigt es sicherlich, mit einigen Zeilen seines Geburtstags zu gedenken. Ganz klar wird mir nicht, was Sie daran auszusetzen haben, außer, dass die Art und Weise, wie Herr Seidl das tut, diskussionswürdig ist. Sie aber kritisieren die Tatsache, dass dieser Artikel überhaupt erschienen ist. Was stört Sie daran? Und warum haben Sie den Beitrag nicht einfach ungelesen gelassen? Oder gehören Sie zu denjenigen Zeitungslesern, die wirklich jede Zeile einer Zeitungsausgabe lesen? Wenn der 60. von herrn Willms Sie nicht interessiert (und es hat den Anschein, dass dem so ist), warum beginnen Sie, einen Artikel darüber zu lesen mit der Hoffnung auf Gewinn? Lassen Sie ihn doch einfach links liegen.

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Arnonym 26. Mai 2008 um 13:25

Ich habe vor dem Wochenende die Kündigungsbestätigung der FAS erhalten.

Vielleicht gelte ich jetzt nicht mehr als kluger Kopf.

Aber dafür muss ich mich nicht mehr jedes Wochenende über den schizophrenen Umgang mit Bloggern und neuen Medien ärgern. Und ich vertue keine Zeit mehr mit Artikeln, die oberflächlich Information austrahlen aber eigentlich nur der Selbstbeweihräucherung der Autoren dienen…

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Pedant 26. Mai 2008 um 14:26

Es heißt \“den Pariser Feuilleton-KorrespondentEN\“! So viel zu \“Wir Journalisten\“…

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Thomas Knüwer 26. Mai 2008 um 15:07

Danke für den Hinweis.

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Bernd 26. Mai 2008 um 23:19

@Wurst: Ihre intime Potter-Kenntnis outet Sie ebenfalls als Angehörigen der Generation Potter. Da kann man wohl froh sein, dass Sie dieses Blog nicht auch noch mit Feenstaub verpesten, Sie Blogungeziefer.

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Jean Stubenzweig 27. Mai 2008 um 3:06

Betroffenheitsjournalismus? Wer ist hier betroffen? Wer trifft wen? Auf jeden Fall haben Sie, werter Herr Knüwer, mal wieder Ihr Ziel verfehlt. Allerdings ließe sich auch fragen, ob Sie nicht überhaupt ein wenig ziellos mit der Stange im Nebel des Blätterwalds herumstochern, immer auf der Suche nach etwas, auf das sich draufkloppen ließe mit dieser von den neuen Medien gestählten Brechstange der reduzierten Sprache.

Man konnte und kann sich noch so ärgern über die Texte von Johannes Willms oder Claudius Seidl, aber gerne gelesen hat unsereins sie immer. War man mit deren Meinung nicht einverstanden, konnte man sich immer noch an der erkennbar eigenen Art erfreuen. Art von Kunstfertigkeit abstammend, meinetwegen der krausschen Kunst, jemandem auf einer Glatze eine Locke zu drehen. Willms etwas mehr im Historischen gründelnd, Seidl schon immer etwas schnoddriger, gleichwohl ohne pennälerhafte wortkarge Schwafelhaftigkeit. In jeden Fall haben beide immer zu unsereiner Amusement beigetragen.

Nehmen Sie\’s doch mal sportlich – und sportlich haben Sie\’s ja gerne – und gehen woanders spielen. Zum Beipiel auf den Zuschauerrängen des American Football. Da können Sie draufhauerisch mit gestikulieren, da gehört es dazu. Das körperlose Spiel liegt Ihnen nunmal nicht. Schon gar nicht das Führen einer scharfen Feder.

Möglicherweise liegen Sie richtig: Harry Potter mit seinem vogelwilden Zauberbesen wird sich am Ende durchsetzen gegen Cyrano de Bergerac, der dem stutzerhaften Höfling bedeutet hat: «… und beim letzten Verse stech ich.» Den erstgenannten wird man irgendwann gerade noch so in Erinnerung haben wie den kindlich-phantasiebegabten Karl May, letzterer wird jedoch noch in Jahrhunderten gelesen werden. Wenn dann überhaupt noch gelesen wird und nicht getwittert: Nie mehr als 140 Wörter.

Die «namenlose» Elisabeth E. hat mal solche unverständlichen Sätze geschrieben: «Bereits im Jahr 1924 erhob sich eine poetische Stimme in der Wüste der Großstadt, die eure Klage in einer kühnen, euch unbekannten Sprache vorwegnahm. Der Dichter hieß Louis Aragon, und er war damals Surrealist. Er diente der Kunst, die über die Realität hinausspringt, die verwirrenden Metaphern eine luftige Heimat schafft. Und dabei rasend intellktuell ist.» Kein Wunder, daß Sie sie nicht kennen, die 2000 von Willms und Seidl beerdigte.

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Thomas Knüwer 27. Mai 2008 um 7:47

Lieber Herr Stubenzweig,

so Sie nicht ein weiteres Alter Ego von Herrn Wurst sind (davon gibt es mehrere): Ich habe überhaupt keine Probleme mit Kritik. Die gibt es hier reichlich. Herr Wurst aber kritisiert nicht meine Meinung, sondern mich. Es geht ihm immer nur darum, eine Diskussion zu führen, die nichts mit dem darüber stehenden Artikel zu tun hat. Dabei hat er sich nicht einmal im Ton vergriffen, sondern mehrfach. Und er hat nicht den Mut, dies mit seinem Namen zu tun. Ich habe, verstehen Sie mich da nicht falsch, nichts gegen anonyme Kommentierer. Wer nur das Ziel hat, mich persönlich zu attackieren, der soll wenigstens den Mumm haben, dazu zu stehen.

Herr Wurst ist ein Troll. Und Trolle löscht man. Schlicht und ergreifend.

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Jean Stubenzweig 27. Mai 2008 um 13:25

Was bitte, lieber Herr Knüwer, habe ich mit Herrn Wurst zu tun?! Wer ist er? Ich kenne ihn nicht. Ich bin schon alleine ein bißchen groß, sozusagen ein Altes Ego. Und als dieses habe ich mich hier bereits mehrfach geäußert. Immer ohne Wurst-Bezug, dafür jeweils mit dem Verweis auf die Schmoll-et-copains-Seite (nun auf meine eigene). Aber möglicherweise sind Sie ja der Meinung: Das bißchen, das ich lese, kann ich mir auch selber schreiben.

Wo beziehe ich mich auf einen Herr Wurst? Mein Kommentar, meine Kritik bezieht sich alleine auf Ihre Kritik an Seidl bzw. Ihr «Kennen Sie Willms?». Soviel Mühe sollten Sie dann doch geben, das aus meinem Text herauszulesen.

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