Die Zeitungsbranche spielt derzeit VSDGV: „Verlagsmanager suchen das große Vorbild“. Denn allein voran gehen, das ist nicht ihre Art. Zu viel Risiko und so. Also tun immer alle das gleiche. Weltweit. „Strategien deutscher Verlage entsprechen dem Vorgehen ihrer internationalen Kollegen“ steht in einer Branchenstudie von OC&C, die mir gestern in die Post fiel. Das liegt daran, dass die Verlagsmanager ihre eigenen Branchentreffs haben, bei denen Außenseiter, Kreative, Neuideenhaber nicht auf den Podien auftauchen. Stattdessen aber Unternehmensberater, die allen Verlagen im gleichen Moment das gleiche predigen.
Aber, liebe Verlangslenker: Wenn Sie schon alles so machen wie andere – wie wär’s, wenn Sie sich mal ein Beispiel an der „New York Times“ nähmen? Gucken Sie einfach mal jetzt drauf, bevor im kommenden Jahr die Berater vom Podium die Aktivitäten aus dem Großen Apfel als Weg der Zukunft predigen. Regelmäßig ist der geschätzte Medienberater, Professor und Blogger Jeff Jarvis Interviewpartner beim „Guardian“-Podcast „Media Talk“. Fast immer, wennn es um das Verhältnis klassischer Medienhäuser zum Internet geht, fragt ihn Moderator Matt Wells: „Jeff, when will they finally get it?“ Und Jarvis antwortet: „I don’t know. They probably never will.“
Vielleicht aber besteht doch Hoffnung. Zumindest deutet das, was ich im Mediabistro (gefunden im Read Write Web ) lese, auf eine bemerkenswerte Einsicht im Haus der „New York Times“ hin.
Die „NYT“ will ihre Inhalte mehr oder weniger frei formbar machen. Über eine Programmierschnittstelle könnte jeder Kundige sich die Inhalte der Redaktion so zurechtbiegen, wie er sie haben möchte. Sie könnten in Communities fließen, in neue Layouts, in neue Anwendungen:
„Once the API is complete, the Times‘ internal developers will use it to build platforms to organize all the structured data such as events listings, restaurants reviews, recipes, etc. They will offer a key to programmers, developers and others who are interested in mashing-up various data sets on the site. „The plan is definitely to open [the code] up,“ Frons said. „How far we don’t know.““
Die ersten Elemente dieser Idee sollen im kommenden Halbjahr zu sehen sein.
Schon zuvor demonstrierte die „Times“, dass sie bereit ist, neue Wege zu gehen: Leserkommentare durften auf die Startseite, startete einen eigenen RSS-Reader, integrierte eine Technik, die wichtige Web-Nachrichten sortiert, investierte beim Software-Unternehmen WordPress. Gut, die Facebook-Anwendung war eher müde und uninspiriert.
Besonders wichtig ist für mich auch, dass die „NYT“ Investor bei Daylife ist, einem Angebot, dass ich auch weiterhin für einen der interessantesten Versuche halte, Nachrichtenströme zu ordnen und miteinander in Verbindung zu bringen.
Die „New York Times“ scheint begriffen zu haben, dass nicht mehr die Produzenten von Inhalten sind, die bestimmen, auf welchem Weg ihre Arbeit an den Kunden gelangt. Die Entscheidung trifft allein der Abnehmer. Und jede neue Möglichkeit, seine Inhalte zu verbreiten bedeutet deshalb automatisch mehr Kunden. Und mehr Kunden bedeuten mehr Werbeeinnahmen.
Maybe the „Times“ ist getting it.
Kommentare
Benedikt 27. Mai 2008 um 10:59
Nicht zu vergessen, dass die NYT mit Blogrunner schon eine interessante Schnittstelle zwischen klassischem Nachrichtenjournalismus und der Blogosphäre eingerichtet haben und in letzter Zeit immer wieder dadurch aufgefallen ist, das Prinzip des Link-Journalismus verstanden zu haben. Ja, die NYT scheint einiges verstanden zu haben und ich freue mich schon darauf, das Zähneklappern der deutschen Zeitungsverleger zu hören, wenn die NY Times sich irgendwann dazu entschließt, online only zu erscheinen.
Matthias Daum 27. Mai 2008 um 11:33
Spannend zu wissen wäre, welchen Background die Verantwortlichen bei der NY Times haben, welche die WordPress-API-Facebook-Entscheide treffen. Vielleicht liegt es auch an der Personalpolitik der deutschsprachigen Verlagshäuser, dass sie der \“grey lady\“ hinterherhinken – oder gibt es in D, CH oder A einen Verlag, der einen CTO beschäftigt?
Thomas Knüwer 27. Mai 2008 um 12:01
Das ist in der Tat eine gute Frage, Herr Daun. Gibt es CTOs in Verlagen? Weiß jemand was?
Benedikt 27. Mai 2008 um 12:14
Bei den meisten wird das noch \“technischer Leiter\“ heißen, aber es gibt schon auch einige CTOs, z.B. bei Chip oder einige Springerveröffentlichungen. G+J hatte auch einen CTO, weiß aber nicht ob das jetzt noch so heißt.
Martin Hitz 27. Mai 2008 um 21:27
CTO hin, CTO her. Wichtig scheint mir zu sein, dass ITler *gemeinsam* mit Journalisten, Redakteuren und Verlagsmenschen an neuen Ideen und Projekten arbeiten. So ist z.B. eines der wesentlichen Ziele des von der britischen Telegraph Media Group vor kurzem ins Leben gerufenen Telegraph Labs «to break down the traditional corporate divide between technology and editorial departments».
Und Carolyn McCall, CEO der Guardian Media Group, meinte bereits vor bald zwei Jahren: «Software developers are now just as important as your journalists, an insinuation that would have been mocked only three years ago.»
(s. http://www.medienspiegel.ch/archives/002032.html)
Gerd 28. Mai 2008 um 8:31
Ich habe auch das Gefühl, dass die NYT einer der Vorreiter ist was sie Öffnung der Inhalte via API angeht (neben der BBC und Reuters).
Erstens weil sie \“Being on all Platforms vs. Being a Platform\“ verstanden haben, und wissen dass sie ersteres nicht alleine leisten können. Zweitens können sich öffnen weil ihre Marke stark genug ist.
Was die Technik betrifft so hängen die Zeitungen / Medien in Deutschland wie überall auch da einige Jahre gegenüber den USA zurück (das hat auch seine guten Seiten z.B. Auflagenschwund). Bei guten Verlagen ist dort langsam \“Standard-IT\“ im Einsatz, d.h. .NET, JEE etc.
Was äußerst selten wahrgenommen wird, dass getrieben von Google, Yahoo, Amazon und Microsoft sich eine Parallelwelt für \“WebScale-IT\“ entwickelt hat.
Wenn man in entsprechenden IT/EDV-Runden Worte wie CloudComputing, S3, EC2, Hadoop, Map/Reduce in den Mund nimmt wird man zu >90% angesehen als käme man von einem anderen Stern. In den Online-Units sieht es bei den großen Häusern besser aus, aber leider nicht in der Fläche.
Genau diese Technologien beherrscht aber die NYT. Das hat es ihnen erlaubt ihr ganzes Archiv innerhalb von 36 Stunden zu konvertieren (natürlich nachdem die Software entwickelt war) und ich schätze dass sie durch die Umstellung des Hostings auf S3 die Betriebskosten mindestens um den Faktor 10, eher deutlich mehr gesenkt haben.
Erst dadurch werden neue Geschäftsmodelle wie die Freigabe des Archicvs möglich.
Uwe 28. Mai 2008 um 13:02
@Benedikt: Kleiner, feiner Unterschied: CHIP Communications, der Print-Zweig, hat keinen CTO, den gibt es nur beim Online-Angebot von CHIP Xonio Online. Aber immerhin: Die Print-Kollegen holen sich von ihm jede Menge Knowhow ab.