Derzeit machen gleich zwei große Namen der Musikszene Wirbel, deren Träger sich in einem Alter befinden, in dem der gemeine Bürger sich vom aktiven Berufsleben zurückzieht: Udo Lindenberg und die Rolling Stones. Warum gibt es die immer noch? Und warum haben sie immer noch Erfolg? Vorweg ein Filmtipp: Gehen Sie in „Shine a Light“, den Rolling-Stones-Konzertfilm von Martin Scorsese. Selbst wenn Sie kein Stones-Fan sind: Gehen Sie rein.
Denn dieser Film ist mehr als das Abfilmen eines grandiosen Konzerts (Höhepunkt vielleicht „Champagne & Reefer“ mit Buddy Guy). Er ist ein Manifest des Alterns mit Spaß. Zu keiner Sekunde kommt die Idee auf, hier spielten ein paar Herren mit extremer Lebenserfahrung irgendeine Rolle. Nein, wer die marslandschaftigen Gesichter von Richards, Jagger, Wood und Watts bei der Arbeit sieht, in dieser Nähe und dieser Filmqualität, der hat keinen Zweifel: Die haben auch nach all den Jahrzehnten einfach einen saumäßigen Spaß, bei dem was sie tun.
Nun noch ein Musiktipp: Kaufen Sie das neue Udo-Lindenberg-Album „Stark wie zwei“. Es ist groß und es ist verdammt clever gemacht. Ein paar junge Hasen dürfen mitspielen und den Sound auffrischen, dazu gibt es ein paar typische Schmusesongs, ein wenig abgeklärte Sauf-Geschichte, einen Schuss Skurrilität – ein tolles Werk mit teils grandiosen Texten.
Lindenberg und die Stones einen drei Dinge: Sie haben Erfolg, sie sind von gehobenem Alter und sie haben eine Historie der Einnahme bewussteinsverändernder Substanzen, bei der allein ihr Am-Leben-Sein verwundert.
Weshalb sie immer noch da sind? Vielleicht ist es das, was in anderen Branchen als „Ausbildung“ gewertet würde. Sie haben Ahnung von Geschäft, sind mehr als Künstler. Das sieht, wer Jagger in „Shine a Light“ bei der Songauswahl über die Schulter schaut. Im Privatjet sitzt er, auf seinen Knien liegen Blätter mit nicht enden wollenden Songlisten. Und er sucht raus und streicht und sucht neu, um die Songs zu finden, die bei einem Film funktionieren, der ein Konzert in einem kleinen Theater ablichtet.
Das erinnerte mich an ein Gespräch mit Ulla Meinecke, von dem ich Auszüge für unseren Podcast bel étage verwendet habe. Damals erzählte sie mir auch von ihrer Zeit im Umfeld ihres Entdeckers Lindenberg, für den sie als Sekretärin arbeitete. Und dass der scheinbare ständig geistig Abwesende in Wirklichkeit ein Kenner der Branche ist.
In ihrem Buch „Im Augenblick“ schildert sie das so:
„Udo war ein angenehmer Chef, weil er deutliche Orientierungen gab. Er ließ mich genau wissen, was er wollte und erwartete. Ungeheuer fleißig konnte er verschiedene Projekte gleichzeitig verfolgen… Er kam ohne Manager aus und behielt alles fest in eigener Hand.
Wirklich phänomenal fand ich, dass der Mann bereits vor dem Aufstehen geschäftsfähig war. Ich betrat morgens sein Schlafzimmer, das stockfinster wie eine Grabkammer war, zog die Vorhänge auf und reichte dem Erwachenden ein Minimalfrühstück, die Post und das Telefon. Er jaulte ein bisschen und begann auf der Stelle zu ,mänätschen‘, wie er das nannte. Wäre er selbst nicht Popstar gewesen, er hätte einen großartigen Manager abgegeben. Er war akribisch, auch geschäftlich kreativ und vergaß nichts… Er hätte beduselt aus dem Taxi fallen können, der Satz ,Quittung, bitte‘ wäre ihm noch im Liegen über die Lippen gekommen. Zudem konnte er quasi mit einem äußeren Auge auf sich selbst als Popstar schauen und hatte immer ein Gespür dafür, wie die nächsten Schritte auszusehen hätten und welches Timing er dafür wählen sollte.“
Vielleicht ist das ein Wink auf die Zukunft der Musikindustrie. Denn auch heute erleben wir wieder Bands, die ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen. Die sich über Myspace vermarkten und eine genaue Vorstellung davon haben, wie es weitergehen soll. Und wir haben andererseits die Marionetten der Plattenfirmen, gezüchtete Hochglanzprodukte nach dem Geschmack des Managements. Welche dieser beiden Äste der Musikbranche in ein paar Jahrzehnten noch Blüten hat, ist absehbar.
Kommentare
Case 15. April 2008 um 12:06
Ich habe schon als 16jähriger zu Lindenberg Songs Luftgitarre gespielt. Und bei dem neuen Album kann ich meine Hände auch jetzt 26 Jahre später nicht still halten. Vielleicht ist auch dass das Geheimnis: Lindenberg und auch die Stones berühren durch Ehrlichkeit, Erfahrung und Können tief im Inneren ihrer Hörer eine Saite, die sonst nur noch selten angeschlagen wird….
Siegfried 15. April 2008 um 13:10
Mal abgesehen von diesen wirklich herausragenden talenten: Vor Kurzen erschien mal eine Band auf der Bühne der Geschichte mit Namen \“The Simmerers\“ (wenn ich mich da richtig erinnere). Eine Band aus Rentnern, die aus dem Altersheim ausgebüxt waren, weil ihnen das zu langweilig war, und die einfach Spaß am Misizieren hatten. Irgendwas, egal was, gut zu machen, ist kein Prädikat eines bestimmten Alters, sondern eher einer Überzeugung.
Natürlich gibt es immer mal ganz besonders herausragende Talente wie Udo Lindenberg oder die Stones 🙂
buntzel 15. April 2008 um 13:11
Lindenberg ist bäh, der Stones-Konzertfilm grandios, aber eben nur ein KonzertFILM, man sollte solche Konzerte lieber Live erleben, man kommt aber nur an Karten für die großen Stadiongigs ohne diese wunderbare Atmosphäre, die in den Clubs herrscht.
Was viel wichtiger ist und hier vergessen wurde: Der Bob Dylan-Film, in dem Bob Dylan gar nicht vorkommt: \“I\’m Not There\“. Großartig. Groß. Artig. Echt. Udo Lindenberg dagegen: Bäh.
Case 15. April 2008 um 13:30
buntzel du hast keine ahnung, also echt nicht…
Fragezeichner 15. April 2008 um 14:41
In der Tat sind die Musiker, die über Jahrzehnte erfolgreich waren, in der Regel auch gute Geschäftsleute gewesen – wie Pink Floyd, David Bowie, Paul McCartney, …
schnutowiak 15. April 2008 um 16:40
Also Lindenberg finde ich persönlich total überschätzt. Aber bei ihm ist es mittlerweile auch wohl mehr der Kultfaktor um seine Person als seine Musik oder Texte oder Bilder … (meine Meinung)
Seltsam, vor zehn Jahren hätte sich doch keiner als Lindenberg-Fan geoutet, jetzt isser wieder hip. It comes and goes and comes and goes …
schnutowiak 15. April 2008 um 16:41
Stones Film muss ziemlich schlecht sein (für einen Scorsese-Film). Die neuen Sachen von den Stones finde ich ziemlich flach, aber die alten Schätzchen – ganz grandios!!!
schnutowiak 15. April 2008 um 16:44
Noch ein Gedanken (dann ist auch Schluss): Diese Bands haben sich langsam von \“unten nach oben\“ gearbeitet, d.h. so ihren eigenen (revolutionären) Stil entwickelt. Vielleicht ist das ein Unterschied zu den heutigen Bands. Sowohl Lindenberg als auch die Stones sind/waren in ihrer Musik und Performance genuin und nicht austauschbar – ob man sie nun mag oder nicht, sie sind/waren originell.
SvenR 15. April 2008 um 18:11
Wenn ich über die vorgenannten lese, dann denke ich zuerst, das nicht alle durch ihre Drogensucht umgebracht werden. Man muss scheinbar nur genug Geld für guten Stoff und hin und wieder einen Sanatoriumsaufenthalt haben, dann kommt man trotzdem ins Rentenalter.
Das soll nicht zynisch klingen, ist auch keinesfalls als Verharmlosung von Drogensucht gemeint, es ist nur meine erste Assoziation.
Zum Thema: Lindenberg hat Hochs und Tiefs, seine Karriere spiegelt sein Werk wieder. Ich mag seine Bilder (sehr sogar) und die letzte Platte scheint gut gelungen zu sein. Das was ich gehört habe klingt gut.
Die Stones werden in meinen Ohren immer schwächer.
Ist aber alles Geschmackssache.
Matthias 16. April 2008 um 9:06
Beide haben Hochs und Tiefs, bei beiden ist aber ihre Genialität klar erkennbar. Meine Frau sagt immer, Lindenberg-Texte sind platt – aber ich liebe sie! (mein 8-jähriger Sohn auch).
Und was die Stones angeht: immer noch *die* Rockband schlechthin, niemand hat einen solchen Rhythmus wie Keith Richard und Charlie Watts. Den Film habe ich noch nicht gesehen, aber Konzerte von jeder Tour seit 1982 – und das letzte Album finde ich eines der besten aus dem letzten Stones-Jahrzehnt!
Rainersacht 16. April 2008 um 10:51
So, jetzt sehr ihr Jugendkultis mal, zu was wir Alten in der Lage sind! Wir bestimmen das reale Leben und überlassen euch das Twittern. Ist doch\’n fairer Deal, oder?
Die Osaka Bordelle kommen und gehn, die Lindenberge bleiben ewig. Alles eine Frage des Durchhaltevermögens.