An diesem so wettertechnisch merkwürdigen Osterfest träumte mir, zwischen Lammcarree und Hamburger Pfannfisch mit exotischen Gewürzen, ich sei Gast bei einem Vorstellungsgespräch. An einem Schreibtisch in einem großen Büro saß „FAZ“-Mitherausgeber Frank Schirrmacher. Seine Sekretärin klopft an, händigt ihm eine in Leder gebundene Bewerbungsmappe aus und kündigt einen Gast an, der sich um einen Posten bewerbe. Sein Name: Johann Wolfgang von Goethe. Schirrmacher sieht den Eintretenden leicht abschätzig an. Dann steht er auf, schüttelt die Hand des Gastes und bittet ihn, auf dem schwarzen Ledersofa des Büros Platz zu nehmen. Schirrmacher blättert die Bewerbungsmappe Goethes durch.
Schirrmacher: „Herr Goethe, ich muss offen sein. Ich habe Sie nur als Bewerber zugelassen, weil Sie ja schon einige Werke von bemerkenswerter Qualität veröffentlicht haben.“
Goethe: „Dankbarkeit ist ein Band, oft aber eine Fessel.“
Schirrmacher: „Sie sind gut im Geschäft. Warum wollen Sie sich denn überhaupt den Stress einer Redaktion antun?
Goethe: „Es ist höchst nötig, dass ich mir in meinem jetzigen unruhigen Zustande etwas zu tun gebe.“
Schirrmacher: „Aber in Ihrem Alter…“
Goethe: „Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein.“
Schirrmacher: „Nun schreiben Sie hier, Sie wollen sich vor allem um Internet-Themen kümmern. Also, mit Verlaub, da haben Sie doch gar keine Erfahrung…“
Goethe: „Allwissend bin ich nicht, doch viel ist mir bewusst.“
Schirrmacher schaut zweifelnd.
Goethe: „Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben.“
Schirrmacher: „Ihren Ehrgeiz in allen Ehren. Aber wer kommt denn überhaupt mit, in diesem Internet. Nachrichten, zum Beispiel: Auf den ersten Blick kann man sie nicht voneinander unterscheiden, sie tauchen auf und sind wieder verschwunden.“
Goethe: „Alles ist Kampf, Ringen. Nur der verdient die Liebe und das Leben, der täglich sie erobern muss.“
Schirrmacher: „Aber warum denn? Die Kollegen von der ,Süddeutschen‘ haben es doch schön beschrieben. In diesem Internet tummeln sich doch die neuen Idiotae.“
Goethe: „Unglaublich aber ist’s, was für ein Treiben die wissenschaftlichen Dinge herumpeitscht und mit welcher Schnelligkeit die jungen Leute das, was sich erwerben lässt, ergreifen.“
Schirrmacher (wirkt langsam ärgerlich): „Fest steht, dass der ikonographische Extremismus, dem die Jungen und Jüngsten im Internet ausgesetzt sind, wie eine Körperverletzung wirkt.“
Goethe: „Wer die Menschen behandelt wie sie sind, macht sie schlechter. Wer sie aber behandelt wie sie sein könnten, macht sie besser.“
Schirrmacher: „Ich kann Ihre Begeisterung, werter Goethe, nicht nachvollziehen.“
Goethe: „Zur Resignation gehört Charakter.“
Schirrmacher: „Schön, dass Sie mir Recht geben.“
Goethe: „Ironie ist das Körnchen Salz, das das Aufgetischte überhaupt erst genießbar macht.“
Eine Woche später findet sich ein großer, brauner Umschlag im Briefkasten mit der Aufschrift „J. W. v. Goethe“.
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Und da wachte ich auf, und mit Eise bedeckt waren Strom und Bäche, durch des Winters lähmenden Blick. Ich aber nahm die „Zeit“ von meinen Bauch, aufgeschlagen war sie im Literatur-Teil, beim lesenswerten Artikel „Gott und die Welt“ über 200 Jahre „Faust“, verfasst von Elisabeth von Tadden und leider nicht online zu finden. Dann nahm ich mir noch ein Schoko-Osterei.
Kommentare
björn 25. März 2008 um 12:06
burn-out? 🙂
Fragezeichner 25. März 2008 um 13:10
Chapeau! Allerdings hat Goethe in seinem Leben so viel geschrieben, dass man wohl auf jede mögliche Frage die gewünschte Antwort in einem seiner Werke finden kann.
Arthur Dent 25. März 2008 um 14:42
Ein halber Quadratmeter Print ist eben immer noch besser als ein Notebook. Man kann damit nicht nur Fische einwickeln und wärmende Feuerchen entfachen – man kann darunter sogar einschlummern! Wälzt man sich nächtens unruhig hin und her, was vorkommen kann, wenn man von Herrn Schirrmacher träumt, dann ist eine zerknüllte Zeitung ein Verlust, der leichter zu verschmerzen ist als der eines Notebooks, das beim nächtlichen Sturz von der Bettdecke zum teuren Reparaturfall geworden ist.
Jean Stubenzweig 25. März 2008 um 15:48
Das haben Sie wirklich fein (nach-)gedichtet!
Der Weimarer kommt mir manchmal schon arg genug daher. Aber wenn ich ihn unbedingt lesen will oder muß, greife ich ohnehin (lieber) zum Buch. Daß beides gut zusammengeht, Gedrucktes und Elektronisches, das weiß Schirrmacher selbstverständlich. Und ebenso ist er darüber informiert, daß ein Großteil der neuen Idiotae andere Wurzeln hat als das Internet. Damit ist nicht nur das Unterschichtenfernsehen gemeint …
Weshalb er die Kanäle nicht einfach abschaltet oder ignoriert, die er nicht mag – es ist mir ein Rätsel. Er weiß doch genauso, daß es hervorragende Seiten gibt. Ein wenig erklärt es ihm sogar der Spiegel – ob er den online aus grundsätzlichen Erwägungen nicht liest. Was treibt diesen Mann – und seine Art Genossen (köstlich, diese Möglichkeiten, die das neue deutsche Rechtschreibungschaos bietet!). Sind die wirklich alle so verunsichert?
Jean Stubenzweig 25. März 2008 um 15:59
Nachtrag: In Don Alphonsos Rebelllen ohne Markt hat in den Kommentaren zu «Göthe halts Maul» «auch-einer» auf die köstliche Groteske von Friedell und Polgar hingewiesen, in der Goethe zur Deutsch-Matura erscheinen muß. Wer\’s noch nicht kennt: unbedingt lesen!
Mariana Mayer 25. März 2008 um 22:43
Das haben Sie aber schön geschrieben.
Das ist es wonach die Seele dürstet, nach dieser germanischen Weisheit in dieser rohen Welt.
und ein weiteres Werk: Die Schneekönigin, zu Ostern, dänisches Märchen.
Herzlichen Dank
Mariana Mayer