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Über Kollegen in Feuilleton-Redaktionen lästere ich gerne einmal. Warum, das beweist ein Artikel aus der „FAZ“, auf den ich gerade stieß. Wenn wir in der Journalistenschule eine besonders schwer verständliche Wirtschafts-Kauderwelsch-Vokabel verwendeten, reagierte unser Lehr-Herr Ferdinand Simoneit oft zornig. Reflexartig versuchten wir dieses Wort zu erklären, was er nüchtern kommentierte mit: „Und wieviele Leser haben Sie angerufen, um ihnen das zu erklären?“

Die Balance zwischen der Wortwahl für den informierten Experten und den restlichen 90 Prozent der Leser ist oft schwer. Soll das Handelsblatt „Cash Flow“ erklären? Ebitda? Gestern gab es eine Diskussion, ob wir das Modell der Social Networks in einem Halbsatz erläutern müssten. Die Entscheidung ist oft eine schwere.

Leicht machen es sich da die Kollegen der großen Feuilletons. Hier gilt: Wer uns nicht versteht, ist halt zu dumm. Ob diese Art der Ignoranz nicht vielleicht doch dazu beiträgt, auf Dauer die Leserzahl zu senken?

Eine rhetorische Frage. Natürlich ist es so. Teilweise sind die Werke jener Autoren so überdreht, dass sie nur noch als ungewollte Eigensatire daher kommen. Auf solch ein Beispiel stieß ich gerade bei Frau Schnutinger. Es handelt sich um einen Bericht über einen Vortrag von Jürgen Habermas in Münster:


Link: sevenload.com


Kommentare


Berufskommunikator 4. März 2008 um 12:58

Berichte über Vorträge von Jürgen Habermas sind oft unverständlich unverständlich, da die Herren Autoren die Vortäge selbst nicht verstehen (ich übrigens eingeschlossen – ich muss aber auch nicht darüber schreiben. Ein ähnliches Phänomen dürfte sich bei Berichten über Vorträge Luhmanns, Parsons\‘ oder Adornos beobachten lassen.

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Berufskommunikator 4. März 2008 um 12:59

…davon abgesehen, dass diese Herren keine Vorträge mehr halten…

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Ricci Riegelhuth 4. März 2008 um 14:32

Je wichtiger sich ein Mensch fühlt umso undeutlicher wird sein Ausdruck. Besonders in seiner Sprache und bei
großer Einfalt im Publikum kam und kommt das gut an.
Es muss halt nur für die Masse geschmeidig intelligent klingen und dem Zeitgeist entsprechen.

Ich reibe mich gerade an Karl Kraus und schüttele über Adorno den Kopf.

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schnutinger 4. März 2008 um 14:33

Berufskommunikator, das stimmt.

Aber dann gibt es nur zwei Lösungen: Entweder man schreibt nicht mehr darüber oder jemand sagt den Herren mal, dass wirklich keine Sau versteht, was sie eigentlich sagen wollen. Bei Habermas kommt zum ohnehin komplizierten Sachverhalt und einer sehr verschwurbelten Sprache ja noch ein ziemliches Genuschel hinzu …

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schnutinger 4. März 2008 um 14:35

Ups, das \“Sau\“ nehme ich zurück und ersetze es durch \“Mensch\“ 🙂

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westernworld 4. März 2008 um 15:05

ich finde die wortwahl dem thema völlig angemessen. mut zu wortschatz.

habermas verzapft inhaltlich oft großen unsinn aber was sprachliche verschleierung anlangt ist er kein so heißer kandidat wie luhmann oder heidegger.

der kleinste gemeinsame nenner ist nicht wünschenswerte grundlage von journalismus.

hat man halbwegs ahnung von einem thema sind presseerzeugnise oder fernsehberichterstattung meist ungeniesbar. das liegt nicht immer primär an der mangelnden jargonfestigkeit aber oft geht mit ihr auch eine mangelnde auseinandersetung mit dem thema einher.
besonders ausgeprägt finde ich das in der berichterstattung über technik.

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SvenR 4. März 2008 um 15:21

Wer mal Helmut Schmidt gehört hat, weiß, dass man auch ganz schlaue Sachen sagen, ohne unverständlich zu werden.

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Jörg Friedrich 4. März 2008 um 15:55

Ich habe den FAZ-Bericht über den Habermas-Vortrag gelesen und muss zugeben,ich habe ihn verstanden. Das Feuilleton der FAZ ist recht umfangreich, manliest da, was einem zusagt und was einen interessiert und ich denke, an die Lektüre eines Berichtes über einen Habermas-Vortrag macht sich nur jemand, der sich auch für Habermas selbst interessiert, im Zweifel also auch den zu verstehen glaubt. Warum sollte ein Feuilletonist der FAZ eine von Habermas begonnene Diskussion nicht auf dem Niveau weiterführen, auf dem sie begann?

Ein Feuilleton sollte sich sicherlich nicht dem Diktat unterwerfen, dass jeder einzelne Artikel das Maximum an Leserzahl erreichen muss.

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Wolfgang Hömig-Groß 4. März 2008 um 16:10

Mir geht es wie Jörg Friedrich: auch ich verstehe den Autor, ohne allerdings diese Art der Kommunikation gutzuheißen. Dass in diesem Kontext schwer verständliche Wörter benutzt werden, kann ich nachvollziehen, obwohl schon das kommunikativ knifflig ist. Völlig überflüssig und definitiv gegen den Leser gerichtet ist aber der Bandwurmsatzbau. Hier gilt m.E. klar, dass der Leser die Denkarbeit zu leisten hat, die zu leisten der Autor zu faul war.
Hinzu kommt: abgesehen von der formalen Seite finde ich das Ganze inhaltlich platt. Und ganz verwirrt hat mich die Luhmannschelte – den schätze ich eher so ein wie SvenR Helmut Schmidt.

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schnutinger 4. März 2008 um 16:11

Jörg, ja, wenn man dreimal nachliest, versteht man das in Teilen schon irgendwie, hab\‘ ja schließlich auch studiert. 🙂

Aber ist das Sinn und Zweck einer Zeitung? Ich sehe das anders. Eine Zeitung soll mir die Welt erklären und sie nicht noch komplizierter machen, als sie ohnehin schon ist.

Gerade bei dem extrem spannenden und wichtigen Thema von Habermas finde ich das doppelt schade und es macht mich auch deshalb ein bisschen wütend – ich weiß, ich bin heute flapsig, mir ist danach.

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schnutinger 4. März 2008 um 16:14

Sagen wir mal so, wenn man als Zeitung junge – durchaus gebildete – Menschen ansprechen möchte, sollte man einfach eine andere Form der Sprache finden. Ich finde es ziemlich versnobt so zu schreiben, kein Wunder, dass sich die Leute im Internet ihre Informationen zusammensuchen, das ist nämlich wirklich ziemlich arroganter und bilungsprotziger Randgruppenjournalismus.

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Jörg Friedrich 4. März 2008 um 16:23

Aber das waren doch nunmal Zitate, wenn auch in indirekter Rede. Der Vorwurf müsste doch an Habermas gehen: \“Ein Philosoph soll (mir) die Welt erklären und sie nicht noch komplizierter machen, als sie ohnehin schon ist.\“ und nicht an den Berichterstatter. Habermas spricht und schreibt nunmal so, ich halte auch nichts davon, und ich versteh auch nicht, warum 1.300 Münsteraner glauben sich das antun zu müssen.

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schnutinger 4. März 2008 um 16:41

Mir egal, alle Leute sollen sich halt verständlich ausdrücken, wenn sie ihre Botschaften rüberbringen wollen – Beppe Grillo macht\’s vor 😉

Nein, im Ernst, ich muss – damit will ich auch enden – zugeben, die Tatsache, dass ein Mensch wie Habermas in Münster solche Massen bewegt und auch bei der Lit. Cologne die Säle prall gefüllt sind, macht mich im Grunde richtig glücklich!

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dr. duff 4. März 2008 um 16:45

Mal ganz am Rande: Müsste die Überschrift nicht \“Die Opazität des Feuilleton\“ lauten?

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ethone 4. März 2008 um 17:27

Ich durfte vor etwa einem halben Jahr in meinem Studium die deliberative Demokratie des Jürgen Habermas anhand eines seiner Texte beschreiben. Hölle.
Über Habermas zu schreiben ist die Kunst, mit denselben Worten denselben Inhalt zu kommunizieren, ohne direkt zu kopieren.

Habermas hat garantiert einen Thesaurus auswendig gelernt und benutzt nur Wörter, die darin nicht vorkommen.
Als Journalist würde ich meinem Chefredakteur nur den Vogel zeigen, wenn er mich bittet Habermas inhaltlich zu beschreiben. Oder den Artikel wenigstens humorig angehaucht.

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Ugugu 4. März 2008 um 18:29

Weil E.Kästners Epigramm-Sammlung gerade auf meinem Tisch liegt:

Wer was zu sagen hat,
hat keine Eile.
Er lässt sich Zeit und sagt\’s
in einer Zeile.

Das dürfte sich mancher Feuilleton-Man auch mal ins Stammbuch schreiben.

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JollyJ 4. März 2008 um 19:22

Ach ja, da ist er wieder: Der Minderwertigkeitskomplex der Geisteswissenschaften im Allgemeinen und derjenige der Feuilleton-Redakteure im Speziellen. Die Einen wollen mit möglichst verklausulierten Sätzen voller -ismen Wissenschaftlichkeit vorgaukeln und die Anderen ihren Kollegen aus dem Wirtschafts-und Politikressort beweisen, dass auch sie vermeintlich wichtige Dinge zu melden haben.

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Jordanus 4. März 2008 um 20:24

Die wissenschaftliche Sprache soll exklusiv sein. Sonst könnte ja jeder, der klar denken kann, Professor werden. Und das wollen wir doch nicht, oder?

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der haltungsturner 5. März 2008 um 5:26

Naja, ich denke, dass das Feuillieton mindestens auch eine andere Funkton hat: Bildungssnobs wie mir zu vermitteln, dass sie nicht allein sind. Ich genieße solche Artikel, ganz ehrlich. Und so wenig, wie mich 80% der Wirtschaftsberichterstattung interessieren und ich ihr folge(n kann?), so wenig interessieren andere 80% des Feuillieton.

Aber irgendwann frage ich mich, wer der größere Snob ist – der, der obwohl selbst ein Spazialist, andere Spezialisten des Spezialistentums bezichtigt, oder der, der mit Freude an der verschwurbelten Sprache andere Spezialisten Spezialisten sein lässt in ihren Reservat, das keine liest (hier: Wirtschafts- oder gar Finanzteil) 🙂

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Aubertin 5. März 2008 um 5:49

dr. duff hat es doch in einer Zeile geschrieben:

«Müßte die Überschrift nicht ‹Die Opazität des Feuilleton(s)› lauten?»

Darüber, daß jemand mit der von ihm kritisierten Sprache im Hader liegt, ließe sich trefflich lästern.

Aber darüber verlieren die meisten keine Zeile. Das trübt die eine oder andere mehrzeilige Äußerung. Doch möglicherweise treibt das die Leserzahl in die Höhe?

(Yves) Aubertin

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schnutinger 5. März 2008 um 8:43

@ Jordanus: Aber genau da liegt meines Erachtens auch das Problem.

Ich habe zwar noch keine amerikanische Universität besucht, bin aber in Museen immer ganz begeistert, wenn z.B. ein amerikanischer Wissenschaftler ein Bild interpretiert (letztens noch irgendwann in Paris erlebt). Der tut das oft mit so einer Inbrunst, Leidenschaft, sprachlichlichen Klarheit und Lebendigkeit, dass es einfach nur faszinierend ist, ihm zuzuhören und man saugt Bildung sozusagen begierig ein, weil sie verständlich und packend erzählt wird. Das habe ich jetzt schon öfter und gerade bei Amerikanern erlebt.

Und wer erinnert sich nicht an Sir Simon Rattles begeistertes: \“Wow that\’s fucking good!\“, wie es ihm spontan in der Generalprobe von \“Le Sacre du Printemps\“ zu sehen in in \“Rhythm is it\“ entfuhr. Da ist wenigstens noch Feuer drin, Glitzern in den Augen, Leidenschaft für eine Sache.

Das wäre doch mal was, Jürgen Habermas besucht eine Aufführung der Philosophie AG der Felix-Wankel-Oberschule in Berlin Marzahn und ruft begeistert: \“Wow, that\’s fucking good!\“

Na gut, warum sollte er dies auf Englisch tun? 🙂

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Jörg Friedrich 5. März 2008 um 8:53

@Schnutinger: Was du da ansprichst, hat sicherlich mit dem Unterschied zwischen angelsächsischer und kontinentaler Philosophietradition zu tun. Die Deutschen und die Franzosen denken immer an Hegel, die Engländer und Amerikaner an Wittgenstein.

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schnutinger 5. März 2008 um 10:09

Hach! Herr Friedrich! Um das Thema stilvoll abzuschließen: Wenn Sie mir an dieser Stelle noch erklärten, worin der Unterschied zwischen den Philosophietraditionen in Bezug auf meine Vorrede genau besteht, und mir dazu noch die Habermasschen Denkansätze zum Thema Weltreligionen verständlich darlegten – siehe FAZ-Artikel – so wäre ich ein restlos glücklicher und zufriedener Mensch – zumindest bis zum Mittag 😉

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SvenR 5. März 2008 um 10:11

Nicht, dass ich mir einbilden würde, Habermas tatsächlich zu verstehen, aber einfach lustig Bandwurmsätze zusammenzuklöppeln und anstatt zu zitieren, herumzuschwurbeln (\“aber das waren doch nunmal Zitate, wenn auch in indirekter Rede\“ Jörg Friedrich, 2008), damit macht es sich der Autor definitiv zu leicht. Und er macht es dem gemeinen interessierten Laien unmöglich, nur zu ahnen, wie phantastisch Habermas live und direkt sein könnte.

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Jörg Friedrich 5. März 2008 um 10:23

@Schnutinger: Wenn ich den Eindruck hätte, dass es dich wirklich interessieren würde, würde ich es tun. jemanden für 2 Stunden restlos glücklich zu machen – das wäre eine lohnende Aufgabe.

@SvenR: Hast du den Artikel, den Schnutinger hier zitiert, gelesen, oder kennst du nur den einen Satz? Ich maile ihn dir gern.

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schnutinger 5. März 2008 um 14:14

Jörg, mich interessiert es tatsächlich.

Weil ich das wie als ganz elementaren Baustein für die Vermittlung von Bildung und Wissen halte und ich jene lebendige Wissensvermittlung in meinem Studium vielfach vermisst und deshalb leider zu vielem nicht den richtigen Zugang gefunden habe, den ich mir persönlich eigentlich gewünscht hätte: Eben jene geschilderte und lebendig quirlige aus sich selbst heraus kritisch und hinterfragende Art beispielsweise Bilder zu interpretieren, oder sich mit anderen Dingen auseinanderzusetzen, bzw. sich da erstmal kritisch \“ranzutrauen\“ und nicht gleich zu denken: Oh, ich habe den \“Bildungshintergrund\“ ja gar nicht, also habe ich dazu nichts zu sagen. In Kunstgeschichte war das ganz schlimm, wirklich, da hatte man regelrecht Angst was zu sagen, obwohl man im Nachhinein vieles gewusst hätte.

Das gleiche gilt für Habermas, das Thema finde ich extrem spannend, sonst wäre ich ja auch nicht hingegangen und hätte eine geschlagene Stunde schwitzend in der wartenden Menge gestanden.

Es mangelt eben oftmals bereits in der Vermittlung und ich bezweifle, das High-Tech-Hörsäle da weiterhelfen. Dazu hatte ich letztens eine Zugfahrt von Köln bis Münster einen recht bekannten Professor neben mir sitzen, der sich über diese neuen Entwicklungen sehr beklagte, jetzt würden die Studenten im Hörsaal total abschalten.

Nun denn, sei es drum. Ich ändere es vermutlich eh\‘ nicht, schade, interessiert hätte es mich trotzdem.

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westernworld 5. März 2008 um 17:48

\“SvenR kommentiert:
Wer mal Helmut Schmidt gehört hat, weiß, dass man auch ganz schlaue Sachen sagen, ohne unverständlich zu werden.
SvenR | 04.03.2008 – 15:21\“

nur weil helmut schmidt mit seinem habitus das kleinbürgerliche desiderat des mannes von \“format\“und welt perfekt bediente waren seine äußerungen noch nicht von außergewöhnlichem tiefsinn geprägt.

bester beweiß das viel beschworene \“visionen\“ zitat. nicht alles was eingängig klingt ist auch durchdacht oder hält einer eingehenderen hinterfragung stand.

und der schneidige herr oberleutnant war in vielem nur ein autoritärer besserwisser ohne plan und idee, nicht umsonst galt reaktives krisenmanagement als seine stärke.

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SvenR 6. März 2008 um 13:54

@ Jörg Fridrich:

Ich habe angefangen, ihn zu lesen, und war relativ schnell abgeschreckt. Schicke Ihn mir einfach noch mal, dann lese ich ihn ganz und validiere oder falsifiziere das von mir geschriebene gerne.

@ westernworld:

Wenn Sie meinen.

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Jörg Friedrich 6. März 2008 um 14:21

@SvenR: Während du meine Mail-Adresse über meine Seite herausfinden kannst, ist mir das umgekehrt – glaub ich – nicht so einfach möglich?

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