Die jüngsten Äußerungen des Deutschen Ski-Verbands DSV dokumentieren einmal mehr, dass Deutschland sich langsam abgewöhnt, sich Gedanken über die Demokratie zu machen. Stellen wir uns folgende Situation vor: Da schreibt eine Zeitung, es gebe Korruption in einem Großkonzern, dafür habe sie Quellen. Untersuchungen laufen an, sind aber noch nicht abgeschlossen. Derweil strengt jener Konzern ein Gerichtsverfahren wegen Verleumdung an. Das lenkt den Journalisten ab, der ist aus dem Rennen. Und dann stellt sich nach langer Zeit heraus: Die Vorwürfe stimmen – der Konzern ist dann zwar blamiert, hat aber einen recherchierenden Journalisten maßgeblich bei der Arbeit behindert.
So geht es derzeit im deutschen Sport zu. Da haben die Kollegen vom Fernsehen Informationen über Doping bei deutschen Biathleten und Skilangläufern. Ihre Quellen können sie nicht Preis geben ohne diese zu gefährden. Unrealistisch aber ist die Geschichte nicht: Doping gibt es leider in vielen Sportarten, vor allem, wenn sie mit Ausdauer zu tun haben.
Der Deutsche Ski-Verband könnte nun also hingehen und bei der Aufklärung helfen. Schließlich hat er beim Radsport erlebt, welches PR-Desaster lügende Athleten auslösen können. Doch er tut das Gegenteil: Er kündigt an, die Journalisten zu verklagen. „Die Sportführung hat nach ausführlicher Prüfung entschieden, rechtliche Schritte einzuleiten. Gegen die verantwortlichen Redakteure, nicht gegegen die ARD“, sagte Pressesprecher Stefan Schwarzbach, der entweder für seinen Job nicht geeignet ist oder die schäumenden Funktionäre nicht bremsen kann. Handelt es sich um fest angestellte Kollegen, wird die Klage ohnehin von der ARD bearbeitet.
Aber solche Details interessieren hier nicht. Der Verband hat keine Informationen über Doping, dann gibt es auch kein Doping. Die Unfehlbarkeitsanwandelungen von Sportfunktionären lassen den Papst aussehen wie einen verschüchterten Teenager.
Natürlich kann es sein, dass sich die Vorwürfe nicht erhärten. Dann ist die Zeit des Wehklagens und Entschuldiguneinforderns gekommen. Vorher aber sind rechtliche Schritte nur der Beweis, dass der DSV in Sachen Demokratieverständnis nachholbedürftig ist.
Kommentare
Giesbert Damaschke 17. Januar 2008 um 11:33
\“Ihre Quellen können sie nicht Preis geben …\“
Hm.
Christian 17. Januar 2008 um 12:28
Das mag ja einerseits richtig sein. Andererseits gilt aber auch, was Sie bei der DJV-Diskussion gesagt haben: Journalisten geben keine Fehler zu.
Sollte sich also herausstellen, dass die Vorwürfe falsch sind, wird darüber niemand berichten. Das wissen Sie so gut wie ich. Jüngstes Beispiel: Das angebliche Nazi-Attentat in Mittweida, das sich – so zumindest der Focus – als Lügengeschichte des angeblichen Opfers herausgestellt hat. Das habe ich nirgendwo sonst gelesen. Die Vorwürfe hingegen standen überall.
Der alten Regel \“a bisserl was bleibt immer hängen\“ getreu, muss man als guter PR-Mann dafür sorgen, dass – vielleicht ja tatsächlich – falsche Behauptungen nicht mehr getätigt werden.
Wenn der DSV sich dermaßen aus dem Fenster lehnt, es aber nachher tatsächlich Dopingfälle gibt, dann ist der Sport so tot wie das Radfahren nach der Tour de France 2007. Wenn es aber tatsächlich alles haltlose Behauptungen sind, ist es das Recht – sogar die Pflicht – des DSV, die Redakteure zur Verantwortung zu ziehen. Schließlich schaden bereits die Vorwürfe der Sportart und allen, die davon leben, sehr.
niels | zeineku.de 17. Januar 2008 um 13:35
Christian: \“- so zumindest der Focus -\“
Also wurde doch berichtet über die korrigierenswerte Berichterstattung.
Uwe 17. Januar 2008 um 13:43
Das Vorgehen des DSV beweist nur wieder einmal, dass Sportverbände mit der Doping-Bekämpfung überfordert sind. Das Freundlichste, was man den Ski-Funktionären noch unterstellen kann, ist Solidarität mit den Athleten. Diese ließe sich aber auch differenzierter äußern – und vor allem ohne den Klageweg zu beschreiten. Generell gilt: Wer immer noch so naiv ist und glaubt, dass deutsche Athleten als einzige nicht dopen, dem ist nicht zu helfen.
Kommentator 17. Januar 2008 um 13:50
Der Vergleich von Verband und Industrie ist mehr als naheliegend: Schließlich sind Funktionäre umso wichtiger und einflussreicher (und gestopfter), je bekannter \“ihre\“ Athleten sind.
Ein Industriekonzern, der mit einem Produkt viel Geld verdient, würde Kritiker dieses Produktes mit den gleichen Mitteln mundtot machen wollen.
Wer Moral erwartet oder gar verlangt von solchen Organisationen, hat keine Ahnung von der korrumpierenden Wirkung der Macht.
DonDahlmann 17. Januar 2008 um 14:46
Laut einer dpa Meldung hat sich der ARD Moderator Michael Antwerpes für die Berichterstattung entschuldigt. Ich zitier mal
\“Die ARD hat sich in bisher nicht gekannter Weise von der eigenen Sport-Berichterstattung distanziert und für die Veröffentlichung von Doping-Vorwürfen gegen deutsche Wintersportler entschuldigt. Es sei nicht vertretbar, wenn solche Pauschalverdächtigungen erhoben würden, ohne dafür belegbare und nachprüfbare Fakten zu haben. Das sagte Moderator Michael Antwerpes zu Beginn der Übertragung vom Biathlon-Weltcup im Südtiroler Antholz. Damit kritisierte er den eigenen Sender.\“
dogfood 17. Januar 2008 um 15:13
Hmm. Wie funktioniert das jetzt? Wenn die ARD-Dopingredaktion zu Wochenbeginn sagt: die namentlich bekannte vier Radsportler (u.a. Boogerd) waren Kunden im Labor und außerdem eine Zahl von Wintersportlern, kann dann Antwerpes einige Tage später herkommen und sagen: \“die ARD distanziert sich vom zweiten Satzteil\“?
DonDahlmann 17. Januar 2008 um 17:04
So ist das halt mit der Nähe zu den Sportlern. Siehe die anfänglich zörgerliche Haltung der ARD Sportreporter zum Thema Doping bei der TdF. Es ist halt so: Früher wurden Journalisten eingeladen, und der Abstand zum Sportler und den Funktionären war groß, heute werden die Journalisten \“zugelassen\“ und man muss nett sein, wenn man was will. Der gesamte Sportjournalismus ist extrem fragwürdig geworden.
Arnulf 17. Januar 2008 um 17:16
@dogfood: Kann er schon, wenn er dafür die Legitimation \“der ARD\“ hat. Glaubwürdiger wäre das Ganze, wenn sich Seppelt klar dazu äußern würde, anstatt Stück für Stück zurückzurudern und sich hinter Formulierungen zu verstecken.
Es sieht derzeit so aus, als ob die ARD-Dopingredaktion dem Kampf gegen Doping (und damit auch sich selbst) einen Bärendienst erwiesen hat, indem sie Verdächtigungen ohne konkrete Beweise herausposaunt hat.
Und irgendwie kann ich sogar verstehen, dass der DSV, dem die Sponsoren derzeit nicht gerade hinterherlaufen, das als gefundenes Fressen nimmt, um sich als sauber darzustellen.
dogfood 17. Januar 2008 um 17:37
@Arnulf: Es ist nun dreieinhalb Stunden her, dass Antwerpes gesprochen hat und es gibt nur ein klitzekleines Indiz dass Antwerpes für \“die ARD\“ gesprochen hat: eine nachträglich redigierte Meldung auf sport.ard.de in der seit 16h30 ein dezent distanzierendes Zitat von Struve drin ist.
Normalerweise geht die ARD in solchen Fällen einen anderen Weg: Intendanten vor die Mikros und Kameras, Presseerklärung, Artikel auf Websites, Beiträge in den Radiosendern. Doch dreieinhalb Stunden nach dem Antwerpes Auftritt herrscht Stille an der ARD-Nachrichtenfront.
Mit den Beweisen ist es so eine Sache: wenn die Geschichte nur auf Informanten basiert, hast du gerichtsverwertbare Beweise erst, wenn der Informat willens ist, sich zu outen.
BTW: die Verdächtigungen gegen u.a. deutsche Sportler sind bereits letzten Freitag in der SZ zu lesen gewesen und österreichische Medien berichten von Leichtathelten und osteuropäischen Fußballern in in der T-Mobile-Liga spielen. Von einem Alleingang der ARD kann nicht die Rede sein.
Onyro 17. Januar 2008 um 17:43
Das Unfehlbarkeitsempfinden der Dopingexperten nervt mich inzwischen mindestens genauso wie das häufige Leugnen durch Athleten denen Vergehen nachgewiesen (und das ist hier wichtig!) wurde sowie deren Funktionäre. Zu einer guten Demokratie gehört nämlich auch, dass Schuld nur durch die Justiz (strafrechtlich) bzw. durch entsprechend eingesetzte Gremien (zivilrechtliche Sportgerichte) festgestellt werden kann und nicht durch die Medien, und bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.
Natürlich kann es auch mal wieder deutsche Ausdauerathleten im Wintersport treffen, so wie bei Olympia 2004 einige russische und österreichische Athleten (was zu den jetzigen Ermittlungen in Wien geführt hat) und ein paar Jahre davor der große Skandal um fast die gesamte finnische Mannschaft. Nur sollte man dann handfeste Beweise haben, und nicht nur Indizien und Pauschalverurteilungen wie zuletzt immer wieder echte Dopingexperten (Ärzte, Medizintechniker) und solche die es sein wollen (Journalisten die ein wenig zum Thema recherchiert haben) mit Behauptungen und \“das haben wir ja schon immer gewusst\“ Statements wenn wieder jemand erwischt wurde. Insbesondere Herr Seppelt ist da neben dem allgegenwärtigen \“Anti-Dopingpabst\“ Franke sehr unangenehm aufgefallen.
Die ARD-Direktion rudert jetzt jedenfalls erstmal wieder zurück, siehe ARD Sport Homepage:
Verdacht bislang nicht bestätigt (16.01.08)
\“Es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Veranlassung anzunehmen, dass der DSV Blutdoping von Sportlern unterstützt, geschweige denn, Athleten selbst nach Wien geschickt hat\“, erklärte ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt. Doch er stellt klar: \“Es geht wohl eher um zurückliegende Fälle.\“
Keine Beweise gegen deutsche Athleten(17.01.08)
Unterdessen äußerte sich der ARD-Sportkoordinator und Programmdirektor Günter Struve zur Berichterstattung: \“Wir stehen der Meldung vom vergangenen Dienstag reserviert gegenüber, weil Pauschalverdächtigungen nicht unserem Qualitätsstandard entsprechen. Das Thema Doping nehmen wir weiter sehr ernst und werden es verfolgen. Und gerade weil wir es nicht verniedlichen wollen, erheben wir keine pauschalen Beschuldigungen.\“
Thomas Knüwer 17. Januar 2008 um 17:51
In der Tat ist das Verhalten der ARD merkwürdig. Es gab keine Informationen? Aber ein Berichterstattung? Es scheint, da rudern einige zurück und lassen anscheinend den WDR im Regen stehen, aus dessen Haus das kam.
Es stellt sich die Frage nach der Qualitätskontrolle. Dopingvorwürfe gegen Sportler einer derart beliebten Disziplin sind nicht von Pappe. Bei solch einer Geschichte würden zumindest bei uns im Hause mehrere Instanzen eingeschaltet. So müsste die Informationslage dem Vorgesetzten offen gelegt werden, auch die Rechtsabteilung würde eingeschaltet.
Es wäre spannend zu erfahren, ob das bei den öffentlich-rechtlich subventionierten Privatsendern nicht der Fall ist. Dann wäre es ein Skandal. Oder aber die ARD will sich nicht einen Quotenbringer nehmen lassen – dann wäre es ebenso ein Skandal.
Die Geschichte scheint noch lang nicht am Ende…
dogfood 17. Januar 2008 um 18:04
@Onyro: Der Absatz den du zitierst, ist in der betreffenden Meldung (in der es um ein BKA-Statement geht, sic!) erst später hineinredigiert worden. Auffällig ist, das Günter Struve heute im Laufe des Nachmittags wohl eine \“Tour d\’horizon\“ gegeben hat, denn seit zirka 16h häufen sich Meldungen bzgl. Struve Statements zu Tagesthemen-Sendezeiten und dem ARD-Film-Termin am Mittwoch.
Das Struve-Statement zum Thema Doping-Berichterstattung wird von den Medienbranchendiensten bislang nicht gebracht und von der ARD selber nur innerhalb eines mehrere Stunden alten Web-Artikels eingepflegt. Das hört sich für mich nicht nach einer kollossalen, von Intendanten abgeknickten ARD-Entschuldigung an.
Was das \“Zurückrudern\“ von Seppelt am Dienstag angeht: da die ARD-Dopingredaktion nie von einem verbandsmäßig organisierten Doping gesprochen hat, gab es da nichts zum Zurückrudern. Das es sich um \“zurückliegende Fälle\“ handelt, steht auch nicht im Widerspruch zu den ursprünglichen Meldungen.
BTW: ich habe inzwischen den O-Ton der Antwerpes-Aussagen zugeschickt bekommen. Das hört sich in der Tat nach einer relativ offiziellen Entschuldigung an, wenn auch nicht expressis verbis gesagt wird, wer sich da entschuldigt (ARD-Sport? ARD and und für sich? Nur das ARD-Team in Antholz?)
nowonder 17. Januar 2008 um 20:49
@ Thomas Knüwer: Na sehen Sie, das ist doch wieder das alte Problem. In Blogs wird munter drauf losgeschlagen, ohne selber richtig zu recherchieren. Da hat die ARD wohl Mist gebaut. Sie stochern aber lieber auf dem Sportverband rum, um sich ein wenig zu profilieren, anstatt der Sache richtig nachzugehen. Hauptsache schnell, schnell was schreiben, nichts kontrollieren und die Sache ist fertig. Darum werden Blogs die nächsten fünf Jahre – abgesehen von den ich-fahre-nach-australien-und-zeig-fotos-vom-strand-versionen – nicht überleben werden.
Ben Utzer 17. Januar 2008 um 23:32
@nowonder
Das werden wir ja noch sehen! Ich denke das Blogs sich weiter entwickeln werden und die Qualität dieser ebenfalls steigt, was beim herkömmlich Journalismus nicht anzunehmen ist. Nichts für ungut, aber Printmedien wie sie zur Zeit aufgestellt sind werden dem Anspruch der Leser immer seltener gerecht.
Thomas Knüwer 18. Januar 2008 um 9:38
@nowonder: Wann ist denn nicht mehr vorschnell? Ich orientiere mich am Nachrichtenstand – und der kann sich ändern. Anderenfalls dürfte man sich erst in Monaten zu dem Fall äußern, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Und das wäre nun wirklich Unsinn.
Walter 19. Januar 2008 um 0:09
Nun, so ganz unrecht hat nowonder wohl nicht. Zu echtem Demokratieverständnis gehören auch keine Vorverurteilungen. Das kreiden \“seriöse\“ Journalisten ja nun gerne und mitunter völlig zu recht dem Boulevard an. Etwas vereinfacht, zugegebenermaßen: Wären die Sportler jugendliche Raubkopierer und Journalisten würden laut \“Skandal\“ rufen, Ermittlungen in Gang setzen, ohne bislang ihre Quellen genannt zu haben (freilich ihr gutes Recht) – spätestens im lawblog würde man Sie vermutlich in der Luft zerreißen, oder? 😉 Das heißt ja nicht, dass man sich erst nach Abschluss der Ermittlungen äußern dürfte. Aber wenn der DSV meint, er müsse rechtliche Schritte einleiten… darüber hinaus dürfte sich nicht nur mancher DJV-Funktionär am Kopf kratzen und fragen, wieso es ein Skandal sein soll, wenn einer Veröffentlichung nicht mehrere \“Kontrollinstanzen\“ vorgeschaltet sind, während Sie diese an anderer Stelle (berechtigterweise) für Unsinn halten.
Thomas Knüwer 19. Januar 2008 um 9:28
@Walter: Moment – ein Kommentar in einem Weblog ist nicht zu vergleichen mit einem Beitrag aus einer Redaktion. Hier gehts es um das Ergebnis einer Recherche und wenn die Quellen nicht offen gelegt werden können, gehört es zum Handwerk, sich mit verschiedenen Instanzen zu besprechen.
Deshalb auch ist hier für mich der Begriff \“Vorverurteilung\“ nicht zutreffend. Denn es geht ja nich um das Fällen eines Urteils, sondern um die Veröffentlichung von Informationen. Die ARD behauptet im Grunde, ihre Redakteure hätten keine Informationen gehabt. Nun traue ich den öffentlich-rechtlich subventionierten Privatsendern ja vieles zu. Dass aber eine Redaktion ganz ohne Informationen einen solchen Bericht raushaut – das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Die Sache stinkt auch weiterhin gewaltig.
Sanddorn 21. Januar 2008 um 1:05
Es geht hier nicht um Demokratie, sondern um Marken. Die Marke DSV könnte durch Offenheit punkten, aber erstmal würde der Marktwert sinken und he! Wenn das mit der Offenheit wirklich so gut wäre, warum machen es dann die anderen nicht? Überhaupt, wir haben das schon immer so gemacht! Der deutsche (Winter-)Sport ist so porentief rein wie Boris Beckers Tennissocken! Das weiss doch jeder!*
*(und wenn nicht, dann sind \“wir\“ jedes Jahr völlig überrascht und aufs schwerste Empört – um es gleich danach sofort wieder zu vergessen – siehe Rad\“sport\“)