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„Web 2.0 Expo“ – der Besuch einer solchen Veranstaltung hat was cooles, denken Sie vielleicht? Dann sind Sie in diesen Tagen nicht auf eben jener Expo in Berlin. Denn die Realität ist alles andere als cool. Derzeit sitze ich auf dem grauen Teppichboden der Halle 7 des Berliner Messegeländes. Vorne auf dem Podium sitzt Tim O’Reilly, jener Konferenzveranstalter und Verleger, der den Begriff Web 2.0 erfunden hat. Und es ist voll, geschätzt 700 Leute vermute ich hier, die Stühle sind alle vergeben. Zum ersten Mal findet die Web 2.0 Expo, die im Kopf der Internet-Jünger der heilige Gral des neuen Netzes ist, in Europa statt.

Diese Minuten sind der erste Moment heute, an dem so etwas wie echte Web-Konferenz-Coolness aufkommt. Gern würde ich Herrn O’Reilly oder seine Vasallen fragen, was sie geritten hat, ihre erste Europa-Konferenz im Südteil des Berliner Messegeländes abzuhalten.

Eigentlich wollte ich schreiben, dass ich mir so die Atmosphäre bei einer Kabel- und Röhrenfachmesse in Usbekisan vorstelle. Dann aber sagte mir der Zeit.de-Kollege Falk Lüke, er kenne Usbekistan gut, es sei ein schönes und aufgeräumtes Land und es sei viel hübscher dort als hier auf dem Berliner Messegelände. Hier also ist West-Berlin at its worst.

Solch eine Konferenz lebt auch von der Begegnung. Und für die ist kein Platz vorgesehen. Alles ist grau und kalt und ungastlich. Selbst die Presse- und Speakerlounge ist grau und kalt und ungastlich. Man hat den Eindruck, gleich morgen kämen Bagger und machten das Areal der Avus gleich, die hier vorbeiführt.

Ähnlich uninspiriert sind die Vorträge. Die Besetzung der Podien ändert sich gerne mal, Redner tauchen nicht auf, andere erscheinen zur großen Überraschung. Man kommt nicht mit, weil es keine Namensschilder auf den Podien gibt. Die Moderationen sind übelst, vor allem wenn der ehemalige Amazon-Technikchef Andreas Weigend zur 20-minütigen Selbstbeweihräucherung schreitet.

Das Programm zur Expo ist unübersichtlich und die Organisation ohnehin grausam schlecht. Im Presseraum wirbelt dafür eine huhnhysterische Tanja-Anja und stellt Journalisten aus dem gleichen Land wahllos einander vor.

Gerade gab es ein Business-Lunch mit Nokia. Dem wahrlich nicht unbekannten Konzern haben die Organisatoren einen kargen Raum zugeteilt, den viele der angekündigten nicht fanden. Es erreichte mich eine Erklärungs-SMS, deren Inhalt demonstriert, wie übersichtlich die Räumlichkeiten hier sind:

„Sie finden Raum 54 auf Ebene 1. Gehen Sie durch Halle 2 gerade durch. Dann nehmen Sie die Treppe links nach unten und nehmen den ersten Eingang links. Die Türen sind offen.“

Bis zu 1.300 Euro kosten die Eintrittskarten. Die meisten aber sind ohnehin gratis hier. Jeder, der gezahlt hat, dürfte sich ärgern. Ebenso die, die Austellungsfläche angemietet haben.

Gerade erst hat der Kapitalgeber Kleiner Perkins verkündet, er würde keine Web-2.0-Firmen mehr finanzieren.
Eigentlich heißt das nur, die Herren sind auf der Suche nach dem nächsten Schlagwort. Vielleicht aber waren sie nur auf der Web 2.0 Expo in San Francisco – und dort herrschte eine ähnliche Abbruchstimmung wie hier.

Gerade versagt die Präsentationstechnik auf der Hauptbühne. Das passt…


Kommentare


Jörg Friedrich 6. November 2007 um 15:34

Das ist ein wunderbares Stimmungsbild, klasse, wer solche Blogs lesen darf, kann Reisekosten sparen.

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Rainersacht 6. November 2007 um 16:19

Tja, das Web2.0 ist kalt und grau und ungastlich. Jetzt haben wir\’s schriftlich. Wen wundert\’s?

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Jörg Weisner 6. November 2007 um 16:42

Wie schön, dass ich die lockere und freundschaftliche Atmosphäre auf dem Barcamp genießen durfte.
Und noch schöner, dass ich wir gar nicht erst zur Web Expo angemeldet habe.

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jo 6. November 2007 um 16:52

Aber, aber! Es ist doch gar nicht ungastlich. Immerhin werden einem neue Kollegen vorgestellt ,) Mehr social geht doch gar nicht.

Informations- und Servicegesellschaft wachsen zusammen. Das ist nicht nur eine Perspektive für das Web, sondern vor allem für den Wirtschaftsstandort Deutschland!

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Tim 6. November 2007 um 18:14

Abbruchstimmung konnte ich auf der Web 2.0 Expo in San Francisco (April 2007) nicht feststellen, ganz im Gegenteil.

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Jörg Friedrich 6. November 2007 um 20:55

Tja, @Tim, das war im April, ein halbes Jahr her, das ist im Web 2.0 eine Ewigkeit…

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Erik 6. November 2007 um 21:16

Oh wie schön 😉
Biste morgen noch da? Für ein Caffee in Mitte?

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oliver gassner 7. November 2007 um 10:09

Na, ein paar der Präsis gestrern waren ganz nett (schwäbisch für: sehr iuntrerssant, z.B. Tariq krims Keynote und Pixelsebis Virtual worlds-Vortrag) und es gab sogar kaffeeähnliche Flüssigkeit. Aber der Ort ist echt der Killer. Moderation nicht existent. Jetzt mal die expo selbst ansehen ob man was lernen kann. CU for Tütenlunch 😉

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björn 7. November 2007 um 12:50

allein die architektur des ICC treibt einen ja schon in depressionen, hab mir kurz die location beim aufbau unseres standes angeschaut und spürte unmittelbar einen fluchtreflex 😉

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Thomas Knüwer 7. November 2007 um 13:09

Es ist nicht das ICC – es ist schlimmer.

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Erik 7. November 2007 um 13:54

Ich wollte das ja nict glauben. Du übertreibst ja immer so 😉
Aber ich musste dort angekommen sofort an Deinen Beitrag und an GnRs November Rain denken:
http://www.ringfahndung.de/archives/web-20-expo-november-rain

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Caspar 7. November 2007 um 17:38

Andreas Weigend: eine wunderbare Studie über wie man die Vergangenheit effektiv monetarisiert

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Kai 8. November 2007 um 16:39

Web 2.0 Expo: Monetarisierungs-Blasen? Pustekuchen!
http://www.handelskraft.de/2007/11/08/web-20-monetarisierungs-blasen/

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Marco 9. November 2007 um 22:16

Also ich weiß nicht … Vielleicht ticke ich da ein wenig anders als Herr Knüwer, aber mir ist das Umfeld bei einem solchen Event nicht sooo wichtig. Natürlich hätten die Räumlichkeiten gemütlicher und die Verpflegung reichhaltiger sein können, aber bin ich deswegen nach Berlin? Nein, ich wollte die Vorträge hören und mich einfach nur mit einigen neuen Leuten austauschen. Das hat zu 98,5% prima geklappt.

Wenigstens die Party hat Herrn Knüwer aber gefallen 🙂

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