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Hiermit gestehe ich meine größte Fehleinschätzung dieses Jahres ein.

Ich war zu vorschnell. Im März schrieb ich für das gedruckte Blatt einen Artikel über Twitter. Es war eine eher spöttische Betrachtung des Kurznachrichtendienstes, der zu dieser Zeit gerade einen Boom erlebte und gerade das neue heiße Ding im Web war.

Etwas über ein halbes Jahr später geht es mir wie Adam Engst bei Tidbits: Ich habe die Seiten gewechselt, ich nutze Twitter, ich mag Twitter.

Auf der Picnic-Konferenz in Amsterdam sagte Jyri Engström, Mit-Gründer von Twitter-Konkurrent Jaiku: „Viele fragen immer, was so besonders ist an diesem Internet-Zeugs. Das Besondere aber ist seine Alltäglichkeit. Viele der neuen Dienste helfen bei ganz alltäglichen Dingen – und das ist ihr Geheimnis.“

Twitter ist nichts als alltägliche Kommunikation. Es ist der kurze Zuruf im Vorbeigehen im Büroflur, das Treffen mit dem Nachbarn, wenn man gerade die Haustür aufschließt, die kleine Plänkelei mit dem Starbucks-Barrista. Es ist Kommunikation auf niedrigem Niveau – und doch eine Kommunikation die essentiell ist für unser Zusammenleben.

Denn auch bei diesen kleinen Begegnungen werden implizite Informationen übertragen, die unser Zusammenleben einfacher machen. Das kurze Gesichtszucken des Nachbarn, wenn man ihn fragt, wie das Wochenende war – anscheinend nicht gut, es ist nicht der geeignete Moment, um auf die laute Party kommende Woche hinzuweisen. „Bin zum Meeting mit dem Kunden“, ruft der Kollege – also ist er eine Stunde nicht erreichbar. „Hab ich Kopfschmerzen“, klagt ein anderer – also behelligt man ihn besser nicht mit schwierigen Themen.

Auch Twitter ist implizite Kommunikation. Kenne ich einen Menschen einigermaßen, kann ich aus seinem Twitter-Feed seine Gefühlslage herauslesen. Und ich bin über ihre Leben gröbstens informiert. „Durch das Lesen ihrer Twitter-Feeds kommuniziere ich mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern wesentlich effizienter“, erzählte mir kürzlich eine Startup-Gründerin.

Doch Twitter kann auch eine schnelle Informationsquelle sein. Bei Web-relevanten Fragen lohnt es sich, kurz eine Frage in den Raum zu werfen. Oft genug bekomme ich innerhalb von fünf Minuten eine Antwort.

Und auch Interviews lassen sich so bereichern, wie ich beim Experiment Interview 2.0 feststellte: Kurz vor dem Gespräch mal fragen, ob wer Fragen hat – und dann die Antworten als Video aufzeichnen. Das freut nicht nur die Fragensteller – auch die Interviewpartner fanden dieses Winz-Format äußerst unterhaltsam (weshalb es das jetzt auch häufiger geben wird).

Und somit senke ich demütig mein Haupt und gestehe: Twitter so verächtlich anzugehen, war eine gewaltige Fehleinschätzung.


Kommentare


mspro 11. Oktober 2007 um 17:46

Tröste Dich. Mir ging das ganz genau so. Ich schätze, das liegt an der Struktur von Alltagskommunikation im allgemeinen. Das Konzept, beinahe egal wie man es erklärt, klingt dermaßen überflüssig und dumm, dass man erstmal irritiert die Schultern zuckt. Aber nach einer Woche Twittern kann man nicht mehr ohne.

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Ute 11. Oktober 2007 um 18:38

Ich schon.

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spätburgunder 11. Oktober 2007 um 18:42

Na ja, das Jahr ist ja noch nicht zuende… da bleibt noch Raum für Einschätzungen aller Art.

Aber vielleicht hast Du ja auch recht – habe etwas ähnliches bei der (eigentlich zweckgebundenen) Einführung von Sametime bei uns im Haus erlebt. Zunächst: Was soll der Mist? Dann: Fröhliches Chatten, Verabreden, Nachfragen. Viele nutzen es, nur wenige verweigern sich.

Mal schauen.

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Julian Schrader 11. Oktober 2007 um 20:33

Ging mir auch so.

Zuerst war der Gedanke „‘What are you doing?’ — Was ist das für ein Schwachsinn?!?“, jetzt ist Twitter zentraler Inhalt der täglichen Kommunikation.

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Rainersacht 11. Oktober 2007 um 22:01

Bin ich wohl zu alt für – ich hab\’s probiert und fand\’s absolut bescheuert… Aber, twittert ihr ruhig, ihr jungen Leute. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt ;–)

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Woo 11. Oktober 2007 um 23:56

Ich erachte das auch fuer eine relativ nutzlose Angelegenheit. Aber ich benutze mittlerweile ja auch andere IM-Programme etc so gut wie nicht mehr. Wenn ich jemandem sagen will wie es mir geht oder was ich gleich tun werde, dann sage ich es ihm, und twittere es nicht an X Leute hinaus. Einerseits plaedieren die Leute fuer Sicherung der Privatsphaere, andererseits muss jeder Furz im Internet bekanntgegeben werden. Aber vermutlich bin ich wie mein Vorkommentator auch einfach zu alt. 😉

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eT 12. Oktober 2007 um 8:11

Finde schon interessant, dass sich hier in den Kommentaren die \“Twitter-Verweigerer\“ als zu alt bezeichnen. Als ob man ab einem gewissen Alter nicht mehr für neue Formen der Kommunikation zu begeistern sei…
Das glaube ich aber nicht. Twittern ist sicherlich keine Sache des Alters.
Habe jetzt auch meinen Chef dazu gebracht, dass er anfängt zu twittern 🙂
Mal schauen, ob das anhält.

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The Stig 12. Oktober 2007 um 8:46

Ich hätte auch nicht gedacht, dass Herr Knüwer noch einmal zu den \“jungen Leuten\“ gerechnet wird ;ö)

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Ute 12. Oktober 2007 um 9:26

Ich frage mich so langsam, wer auf Dauer die Zeit für diese ganzen Web 2.0 Anwendungen haben soll? MySpcae, Flickr, Blog, Twitter, XING und dann noch bisschen YouTube, Amazon-Liste pflegen, Mailen, SMSen. Profil anlegen, Profil pflegen, Kontakte pflegen … ein Leben im Netz? Das alles kostet letztlich (machen wir uns nichts vor) irre viel Zeit.

Kinder haben diese Zeit vielleicht oder Studenten, aber jeder halbwegs normale, berufstätige Erwachsene mit Familie und PipaPo hat vermutlich andere Sorgen, als über Pampers zu twittern – es sei denn, man verlagert sein Leben komplett in die Medien.

Nun gut, jedem das seine. Wessen Leben es nachhaltig bereichert, der möge gerne twittern, ich nutze die Zeit lieber anders. Bzw. ich werde durch diesen ganzen technischen Firlefanz so langsam zum ultra-konservativen Medienkonsumenten: Zeitungspapiergeraschel, Tee, ein intelligentes Buch, Ruhe, Muße, Zeit für mich – aaaaah!

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SvenR 12. Oktober 2007 um 10:07

Ich fühle mich auf einmal auch alt und müde, so müde…

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Ute 12. Oktober 2007 um 10:23

SvenR: Das hat gar nichts mit Alter sondern mit Lebensqualität zu tun. Und die bewertet jeder für sich natürlich vollkommen anders – und das ist auch gut so! 🙂

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Rainersacht 12. Oktober 2007 um 12:18

@eT et al.: Wenn ein Mensch von Mitte Fuffzich sich selbst für zu alt erklärt, dann ist das IRONIE. Wo wir doch jetzt, da man unser Konsumpotenzial erkennt, das größer ist als das der jungen Kreativen (Ätsch!!!), als Best Ager umschmeichelt werden…

Twitter ist keine \“neue Form der Kommunikation\“, sondern sinnloser Bullshit. Da brauch ich nicht mal Argumente für.

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Pierre Kerchner 14. Oktober 2007 um 10:49

Bei mir ist es gerade anders herum.

Anfänglich große Begeisterung und offensichtliches Potential

* Twitter hängt ganz klar von den Leuten ab, die man abonniert hat und das ist bei jedem anders

* Ich kann also nur von \“meinem\“ Twitter berichten

* Die meisten Leute sind inaktiv , ca 95%

* Die restlichen 5% sind recht aktiv

* Leider mit ziemlich viel für mich irrelevaten Dingen und in mir unbekanntem Kontext

* ja, ich gehe weiter – meist wird völlig Belangloses getwittert

* Es fehlt Twitter-Kultur

wie

– Twittere ca. einmal pro Tag/Woche, wenn öfter dann mit gutem Grund

– Denke an Deine Zielgruppe

– sei relevant

– Sei nicht nur ego, sondern interessiere Dich für die andere Seite

-> Twitter wird hoffentlich eine Evolution hinbekommen.

By the way: wovon leben die Macher eigentlich mittlerweile?

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oliver gassner 14. Oktober 2007 um 20:51

a) Natürlich sind 95% inaktiv. Glücklicherweise.
b) Twitter ist NICHT IM 😉
c) Wenn mand ei ricjtigen leute drin hat ist twitter auch ein effitienterer Infokanal als RSS. (das hatte ich fast links liegne lassen 😉 )
d) Gut, in nem Jahr reden wir dann über Second Life, OK? 😉

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KMTO 17. Dezember 2007 um 18:00

Mir ging es exakt ebenso. Twitter ist einfach, einfach schön und einfach sinnvoll. Was ich heute gerade offiziell gemacht habe: http://klauseck.typepad.com/prblogger/2007/12/eine-kleine-g-1.html
und hier das Bekenntnis: http://blog.kmto.de/index.php?itemid=70

Und ansonsten ist es wohl wie bei Computerspielen: die meisten Abgeneigten hatten noch nie eins in der Hand…

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