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Ein letzter Blick noch. Auf Frakturschrift und Bleiwüsste, auf schnödes Schwarz-auf-Weiß. Morgen ist es vorbei mit alten Tante „FAZ“, dann wird aus ihr die mittelalte Tante „FAZ“. So, das ist sie, die letzte:

Ab morgen wird auch die „FAZ“ ein buntes Foto auf der Titelseite haben, wird sich verabschieden von der altdeutschen Schrift über den Kommentaren. Willkommen in den 90ern, liebe Kollegen. Und die restlichen 10 Jahre holt Ihr auch noch auf, irgendwann.

Wie groß die Angst ist in Frankfurt, zeigt die heutige Seite 1. In einem Kasten will sich das Blatt die Begeisterung herbeischreiben. Quälend lang wird berichtet von der Zustimmung in den branchenüblichen Fokusgruppen:
„Mehr als drei Viertel der befragten Leser ziehen das neue Erscheinungsbild dem bisherigen vor. Die Neugestaltung wird in allen Alters- und Lesergruppen begrüßt, von Abonnenten wie von gelegentlichen Lesern. Besonders stark ist der Zuspruch bei Frauen und jüngeren Lesern. Doch auch sieben von zehn Lesern, die älter sind als 50 Jahre, heißen die Layout-Reform gut…“

Über 30 Zeilen widmet das Blatt dem Wiederkäuen von Marktforschungsdaten, die in einer Grafik erheblich verständlicher gewesen wären. Und: Wenn alle begeistert sind, könnte man sich doch zurücklehnen. Der Relaunch wird ankommen, alles wird gut.

Auch die „FAZ“ weiß: Nichts wird gut. Und das hat nichts mit ihr zu tun. Es ist einfach so, ändert eine Zeitung ihr Erscheinungsbild. Nur die ganz Konservativen schreiben dann Leserbriefe – und regen sich auf. Drohen mit Abo-Kündigung oder senden die gleich mit. Die erste Zeit nach einem Relaunch ist für eine Redaktion meist nur zu ertragen, wenn ihre Chefredaktion sie über die tatsächlich eingehenden Reaktionen belügt. Meist werden dann im Vorfeld schon mal Prominente akquiriert, deren Lobeshymnen bereits in der ersten Ausgabe nach der Renovierung in der Leserbriefspalte zu finden sind.

Durch die negativen Reaktionen fühlen sich dann wieder die Änderungsunwilligen in der Redaktion bestärkt. Die bringen gern in der Woche vor dem Relaunch ein paar Insider-Grummeleien unter. Es würde mich nicht wundern, wenn so auch die heutige Leitartikel-Überschrift „Abgestürzt“ entstanden wäre.

So ist das eben, und davon sollte sich kein Redakteur entmutigen lassen. Die „FAZ“ tut einen Schritt in die richtige Richtung. Ob das reicht, um zu laufen, werden wir sehen. Vielleicht gibt es dann ab morgen auch keine grauen Schlagzeilen mehr, wie die heute auf der Seite 1:
„Roh Moo-hyun besucht Kim Jong-il“
Eine weiße Fläche reizt mehr zum Lesen, vielleicht hätte man auch drüber schreiben können: „Hier steht ein Artikel über Nord- und Südkorea.“


Kommentare


Don Alphonso 4. Oktober 2007 um 10:42

Ich mag es nicht, wenn Prinzipien gegen Beliebigkeit ausgetauscht werden. Noch nicht mal bei einer Zeitung wie der FAZ. Konservative ohne Prinzipien sind Heuchler.

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Robert 4. Oktober 2007 um 11:05

Was hättest Du lieber:
Koreas Chef trifft Bomben-Kim?
Das treffen der beiden ist halt das Ereignis. Vielleicht zieht das keine Blicke auf sich, ist aber nüchtern, sachlich und auf das Wesentliche konzentriert.
Ehrlich gesagt: Ich fand die Bleiwüste immer gut: Inhalt vor Verpackung. Und die altdeutsche Schrift hatte auch irgendwie Retro-Charme. Bin aber echt mal gespannt wie das neue Layout aussieht.

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niels | zeineku.de 4. Oktober 2007 um 12:01

Ach Don, das ist doch keine Beliebigkeit, wenn sich eine Zeitung halbwegs an den Wünschen ihrer Leser orientiert. Die soll sich schließlich verkaufen.

In den Leserbrief-Spalten ging die Debatte nach meiner Erinnerung schon los, bevor die Einzelheiten des neuen Layouts überhaupt bekannt waren. Ich finds reichlich albern. Das eine Foto auf der Titelseite wird mich nicht vom Lesen abhalten. Beim Fraktur-Zopf freut mich, dass er endlich abgeschnitten wird und ob die Überschriften nun zentriert oder linksbündig gesetzt werden und ob die Spalten mit einer dünnen Linie voneinander abgegrenzt werden, ist mir herzlich egal.

Dahinter steckt wohl das, was fast alle Zeitungen umtreibt – sie schwächeln bei jungen Lesern. Drastischer formuliert: Ihnen droht in Zukunft die Kundschaft wegzusterben.

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V.Mihal 4. Oktober 2007 um 12:19

Die Form ist doch völlig sekundär, auf den Inhalt kommt es an.
Was das äussere und Material betrifft, Hauptsache die Zeitung lässt sich genauso gut gegen die ursprüngliche Faltrichtung umfalten wie zuvor. Im Flieger sehr vorteilhaft, FAZ war hier immer schon besser als die anderen störrischen Blätter.

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Robert 4. Oktober 2007 um 12:29

Naja, irgendwie ist es doch schöner, wenn die FAZ ein wenig aufgepeppt wird.
Zwar reduziert auf das Wesentliche, jedoch gibt es doch heutzutage schon ansprechendere Schriften oder Layout-Gestaltungsmöglichkeiten.
Robert, auch die altdeutsche Schrift kann man ein wenig mehr aufpeppen, oder? Wie hier bei http://www.landhausscherrer.de/, einem Restaurant in Hamburg.

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gjacobs 5. Oktober 2007 um 5:18

35 Jahre Abonnent bzw. Leser – der Verlust journalistischer Qualitaet in den letzten
Jahren wiegt schwerer als optische Veraenderungen.
Zwischen FAZ und Welt lagen mal \“Welten\“ ,
heute ist es umgekehrt – kluge Koepfe sind mobil.

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Hans Amstein 5. Oktober 2007 um 8:58

Ich schreibe keinen Leserbrief an die FAZ. Ich schicke einen Zweizweiler: nach mehr als zwei Jahrzehnten Abonnement die Kündigung – als Ergebnis eines mal schleichenden, mal (wie jetzt) galoppierenden Qualitätsverlustes.

PS. Übrigens bin ich keiner der für die FAZ neuerdings augenscheinlich minder interessanten konservativen \“Über-50-Jährigen\“, lieber Herr Schirrmacher!

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A. Weishaupt 7. Oktober 2007 um 16:09

\“Altdeutsche Schrift\“? Sieht für mich nach ganz normaler, gar nicht so alter Fraktur aus.

Interessant übrigens mal wieder der Hinweis auf die Bevorzugung durch Frauen.
Hat man schon mal irgendwo gelesen, dass etwas \“besonderen Zuspruch bei unseren männlichen Lesern\“ findet? Die journalistische Bauchbepinselung von Frauen als Gruppe ist inzwischen aber auch überall angekommen…

Aber ok. Frauen finden es gut, dann muss es ja tatsächlich auch gut sein und ich kann aufhören, mir Gedanken zu machen. So einfach ist das heute.

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Robert Herzsprung 28. Februar 2008 um 18:35

ich denke, dass Robert wirklich Recht hat – es macht absolut keinen Sinn im Vergangenen behaftet zu bleiben. Und bitteschön – es ist im schlimmsten Fall nur ein Bild

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