Wären Journalisten Besitzer von Autowerkstätten, hätten es die Besitzer neuer Modelle schwer, kämen sie zur Erstinspektion. Sie würden weggeschickt. Weil ja alles neu ist und neu ist schlecht. Journalisten sind strukturkonservativ und in vielen Fällen innovationsfeindlich. Und wenn sie diese Haltung nicht ändern, werden sie bald eine andere Profession ausüben. Es gibt derzeit einen Satz, den ich von den Podien dieser Welt nicht mehr hören mag: „Zeitungen wird es immer geben.“
Das behaupten derzeit viele. Verleger, um ihre Mitarbeiter zu beruhigen. Internet-Verneiner, die sich kein Frühstück ohne „FAZ“-Blättern vorstellen können. Rentner.
Allein, wo ist das Indiz? In den vergangenen zehn Jahren sind die deutschen Zeitungsauflagen um 12,5 Prozent gesunken. Die Zeit der New Economy hat zwar ein Aufblähen der Umfänge gebracht, aber auch kein großartiges Verkaufsplus. Und der springende Punkt ist ja nicht, wann die Auflage bei Null landet – sondern wann sie die nächste Grenze erreicht, aber der die Verantwortlichen meinen, die Kostenbasis anpassen zu müssen.
Gern würde ich ein Argument finden, warum es Zeitungen immer geben soll. Ein einziges nur. Ein logisches müsste es schon sein, zugegeben. Doch die Zeitungsfreunde, oder jene, die vorgeben, es zu sein, finden nur zwei Hinweise für ihre These:
– Zeitungen hat es schon immer gegeben.
– Kein Medium hat bisher das andere ersetzt.
Greift das? Es klingt für mich, als pfiffen die so argumentierenden jenes alte Lied „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wieder ham…“ Denn Wilhelm II. soll ja gesagt haben: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.“ An das Pferd glauben, denn das hat es ja immer gegeben – das ist mir zu wenig für eine Branche, die Menschen zu ernähren hat.
Auch die Sache mit dem Ersatz zieht nicht recht. Denn schließlich passieren Dinge immer irgendwann zum ersten Mal. Und darauf zu vertrauen, dass es diesmal schon nicht so sein wird, ist das St.-Florians-Prinzip: „Verschon mein Unternehmen, zünd‘ andere an.“ Noch dazu haben angegriffene Branche immer mit Investitionen reagiert. Aus Kinos wurden erst Cineplexe, nun Horte des digitalen Bildes. Radiosender investierten in Technik und Marktforschung. Nur Zeitungen – und derzeit auch Fernsehsender – glauben, dass sie ohne massive Investitionen dem Umschwung des Kundengeschmacks begegnen könnten. Damit meine ich nicht, von Zeit zu Zeit mal eine neue Stelle einzurichten oder ein wenig an der Optik zu fummeln. Zeitungen müssen sich dramatisch ändern, optisch wie inhaltlich – und vor allem muss die Änderung in den Hirnen derjenigen stattfinden, die sie machen.
Vielleicht wäre es besser, den Teufel in den Kopf zu malen. Anzunehmen, dass es Zeitungen bald nicht mehr gibt und dass es verdammt nochmal an der Zeit ist, sich mehr Gedanken zu machen, als hier und dort zu korrigieren, hier und dort zu streichen. Vielleicht würden die Beteiligten dann erkennen, dass der Satz „Wir sind eine Zeitung“ Gift ist. „Wir sind ein Nachrichten-, Informations- und Unterhaltungsdienstleister“ – das würde es eher treffen.
Der geschätzte Buzzmachiner Jeff Jarvis hat dazu heute etwas sehr kluges geschrieben. Ich zitiere einfach mal das Ende, weil man es kaum besser sagen kann:
„Rather than trying to insulate ourselves from the marketplace with these subsidies, our challenge is instead to answer the question of whether the marketplace will support journalism and how it will do that. Does the public need and want journalism? I believe strongly that they do and they know it. So rather than trying to find money to support the old ways artificially, we need resources to invent the new ways, the ones we don’t know yet. We need to take advantage of all the opportunities we have to gather and share news in new ways while preserving the best and most valuable of the old (and sloughing off the waste of the old). We need to explore new products and new business models and new relationships and we need to show that they are good investments, not charity cases.“
Kommentare
Stephan List 2. Oktober 2007 um 12:38
In meinem früheren Leben habe ich als Ingenieur in der Papierproduktion gearbeitet. Die Reaktionen der Branche sind ganz ähnlich: \“Papier wird es immer geben.\“ Ich frage mich immer, woher diese Gewissheit kommen mag. Ist das ein Kopf-in-den-Sand-Stecken gemäß \“es kann nicht sein, was nicht sein darf\“? Wir Menschen sollten keine Aussagen machen, die Absolutheitsansprüche haben. Wir sind damit mehr als einmal auf die Nase gefallen.
Jochen Hoff 2. Oktober 2007 um 13:00
Natürlich wird es immer Zeitungen geben. Man braucht doch Papier zum kleinschneiden und aufs WC zu hängen, wenn in ihnen schon keine Heringe oder Eier mehr eingewickelt werden:
http://www.duckhome.de/tb/archives/101-Warum-die-Eier-nicht-mehr-in-Stern-oder-Spiegel-eingewickelt-werden-das-System-Mohn..html
http://www.duckhome.de/tb/archives/585-Nehmen-Sie-die-Zeitungen-wieder-mit.html
Lukas 2. Oktober 2007 um 13:00
Ich glaube schon, dass es auf absehbare Zeit noch Zeitungen geben wird – es gibt ja auch noch Bücher, Vinyl-Schallplatten und Analogfotografie. Ich werde jedenfalls beim Frühstück keinen Laptop neben meine milchspeiende Müslischale stellen und auch keine Ethernetkabel in meine nassen Schuhe stopfen.
Aber dann würde ich gerne in der Zeitung andere Dinge lesen als am Vorabend im Internet.
hape 2. Oktober 2007 um 13:11
Ich habe lange Zeit mit Erstaunen verfolgt, dass Zeitungen und Zeitschriften nicht offensiv gegen die Online-Anstrengungen der öff.-r. Sender vorgegangen sind mit dem Argument, dass nicht Fernsehen und Radio Kunden ans Netz verliert, sondern ganz klar die Printmedien. Das spiegelt sich allen Erhebungen zu dem Thema wider. Irgendwann fiel aber dann doch der Groschen: Die Presseverlage möchten nicht, dass ihre Werbekunden auf die Idee kommen, ihr Geld wäre besser in Online-Werbung angelegt, denn auf totem Papier. Und so wurden die Auflagenverluste der Branche unter den Teppich gekehrt. Erst in letzter Zeit hat\’s von den Verbänden Stellungnahmen gegeben, die auf die Wettbewerbslage zwischen Print und Internet eingegangen sind, um die öff.-r. Invasion im Netz zu bremsen.
SvenR 2. Oktober 2007 um 14:02
Also mir fallen schon ein paar Dinge auf Anhieb ein, die es nicht mehr gibt, weil sie durch \“was anderes\“ ersetzt wurden:
* Super-8-Kameras, Projektoren usw.
* Video 2000 und Betamax (bei VHS, Video8 ist es auch bald soweit)
* Singles
* Polaroids
* \“Heimcomputer\“
* Ölöfen
Ute 2. Oktober 2007 um 14:25
Ich wage mal eine ganz andere These, der ich ein Beispiel vorweg stellen möchte:
Es gab mal Zeiten (nämlich als die Fußballübertragungen von der Sportschau zu ran! wechselten), in denen meinten alle: Wenn im TV alle Fußballspiele sehr ausführlich übertragen werden (eben länger als die fünf Minuten in der Sportschau), bzw. live übertragen werden, dann wird bald keiner mehr ins Stadion gehen.
Genau das Gegenteil ist eingetroffen, mit der neuen Berichterstattung über Fußball durch ran!, entfachte eine neue Begeisterung für den Fußballsport und mehr Leute gingen in die Stadien, ja Fußball wurde richtig gesellschaftsfähig – okay, es wurde dann auch viel Drumherum gemacht, von den Vereinen (die Stadien wurden ausgebaut, Marketin, Merchandising, etc.)
Nun gut, der jetzt angestrebte Vergleich mit den Zeitungen mag etwas hinken, da die Atmosohäre in einem Stadion eine andere als beim Zeitungslesen ist, aber trotzdem: kann es nicht sein, dass das Internet generell wieder mehr Leute für Medien begeistert und die off- und Online-Nutzung auf Dauer nebeneinander besteht?! Dass eben gerade durch das ständige \“Online-Sein\“ der Drang zum \“ursprünglichen\“ Medienkonsum wieder stärker wird? Keiner mag doch 24 Stunden lang allein und isoliert vor dem PC hocken. Zeitung lesen ist eben immer noch etwas anderes als Internet \“konsumieren\“.
Ich denke nur, dass die Zeitungen sich was einfallen lassen müssen, um die Leser für sich zu begeistern und an der richtigen Stelle abzuholen, eben da, wo sie den PC ganz bewusst ausschalten.
Allerdings sollte die Zahlen in der Tat keiner negieren und deshalb im Netz nicht agieren, das ist in der Tat ziemlich blauäugig.
Ute 2. Oktober 2007 um 14:33
Nochmal was zu den Cineplexen: Die ändern sich ja gerade auch wieder stark, weil eben die ursprüngliche Zielgruppe, d.h. die Kids kaum noch ins Kino gehen, weil die z.B. lieber im Internet unterwegs sind oder sich gebrannte DVDs ansehen.
Die älteren, die jetzt wieder verstärkt ins Kino gehen (50+), sind allerdings von diesen unpersönlichen Kino-Maschinen so angenervt, wiel sie lieber das Event, das Drumherum wünschen, dass gerade die Cineplexe jetzt wieder auf \“Kuschelkino\“ Marke Programmkino umrüsten. Und zig Sekt-Trink-Käse-Ess-Events um die Filme stricken.
Gerade im Bereich des Kinos kann man die \“Wellenbewegungen\“ der Medien doch extrem gut beobachten. Kinosääle & Kinos: Erst wahre Tempel, dann Schuhkarton, dann Cineplexe und jetzt wieder eher Programmkino.
Andreas F. 2. Oktober 2007 um 15:02
Naja, zuerst einmal sollte man sich überlegen, was genau etwas so banales wie eine Zeitung ausmacht.
Denn ich z.B. mache ja keinen Unterschied zwischen \“Online-Zeitungen\“ (die man im Internet lesen kann) und \“Offline-Zeitungen\“ (die auf Papier gedruckt werden).
Technik wird immer dann ersetzt, wenn es eine bessere Nachfolgetechnik gibt, die mindestens den gleichen Nutzen hat, und dieses etwas noch besser oder preiswerter, macht.
Deswegen hat Digitalfernsehen das analoge Fernsehen praktisch verdrängt, und deswegen sind MC-Kassenttenrekorder und Videorekorder praktisch ausgestorben, und deswegen hat aber das Fernsehen weder das Radio noch das Kino abgelöst.
Behaupten kann man ja viel dafür oder dagegen, aber wer sich ernsthaft überlegt, ob es Zeitungen auf Papier in Zukunft noch geben wird, sollte sich erst einmal überlegen, welche Eigenschaften dieses Mediums ersetzbar, und welche eher (noch) nicht ersetzbar sind.
Ich behaupte: Solange wie es noch keinen vollwertigen (technischen) Ersatz für bedrucktes Papier geben wird, solange wird es Zeitungen (und Bücher) auf Papier noch geben.
The Stig 2. Oktober 2007 um 15:03
Ist das nicht genau die These des Herrn Knüwer: Die Zeitungen müssen sich ändern, damit sie relevant bleiben?
Leider ist auch in anderen Branchen (z. B. Musik, Telefonie) zu beobachten, dass die Inkumbenten vor neuen Technologien und Wettbewerbern einfach die Augen verschließen. Scheint ein Management-Phänomen zu sein.
Calla 2. Oktober 2007 um 15:05
@ Ute: …wahre Worte, ein guter Ansatz. So sehr ich mein Notebook liebe und einen Internetzugang in den meisten Situationen meines Lebens nicht mehr missen möchte, so sehr genieße ich es, mit einer Zeitung/einem Magazin sonntags auf dem Sofa zu lümmeln oder in der Badewanne zu liegen. Printmedien wird es hoffentlich immer geben, nur welchen Inhalts (was setzt sich langfristig durch?) und in welcher Auflage, das wird sich zeigen. Die klassische Tageszeitung wird es vermutlich schwer haben…
Thomas Knüwer 2. Oktober 2007 um 15:08
@Ute: Dein Beispiel spielt mir wunderbar in die Hände. Denn was haben denn die Fußball-Bundesliga-Clubs gemacht? Investiert, investiert, investiert. Vergleich mal die Arena auf Schalke mit dem Parkstadion und die nach einem Finanzinstitut benannte Arena in Hamburg mit dem schrammeligen Volksparkstadion…
Tux2000 2. Oktober 2007 um 15:11
Klar wird es Zeitungen auf ewig geben! Worin sollen die Briten denn sonst ihr \“Fish and Chips\“ einwickeln? 😉
Im Ernst: Eine Zeitung funktioniert auch bei Nebel, Nacht und Stromausfall und auch nach mehreren Stürzen aus 1,5m Höhe auf Beton einwandfrei und nimmt auch härteste Stöße nicht übel. Eine Gebrauchsanleitung ist in aller Regel nicht nötig. So lange Laptops, E-Books und PDAs das nicht schaffen, wird es Zeitungen geben.
Gut, die Nachrichten in einer Tageszeitung sind auch mal 24 Stunden alt. Radio und Fernsehen haben theoretische Reaktionszeiten von Minuten, praktisch gibt es Updates etwa im Stundentakt. Dafür steht dort längst nicht so viel Platz für Details und Hintergrundinformationen zur Verfügung wie in einer Zeitung.
Trotzdem lese ich keine Tageszeitung mehr. Ursache dafür ist allerdings nicht die Technik, sondern schlicht und ergreifend die nicht vorhandene journalistische Qualität der örtlichen Tageszeitungen. Die Regionalausgabe der Bild und ein örtliches Nachahmerblatt auf gleich niedrigem Niveau kommen absolut nicht in Frage, die dritte Tageszeitung gibt sich einen optisch seriöseren Anstrich, ist aber sprachlich und inhaltlich auch nicht besser als die beiden anderen.
hape 2. Oktober 2007 um 16:06
@Thomas Knüwer. \“Dein Beispiel spielt mir wunderbar in die Hände. Denn was haben denn die Fußball-Bundesliga-Clubs gemacht? Investiert, investiert, investiert.\“ Nicht ganz. Das war zum großen Teil auch Druck von oben. Wer europäisch dabei sein wollte, brauchte Sitzplatzstadien; die Anforderungen der WM taten ein Übriges. Und wo wir gerade über Stadien reden. Für einen wahren Fufballfan sind diese Pantoffel-Arenen nichts. Da geh ich doch lieber zum Schloss Strünkede und sehe zu wie der Spitzenreiter der Oberliga Westfalen am Sonntag \’ne Packung kriegt.
Ute 2. Oktober 2007 um 17:07
@ Tux2000: Ich lese wieder. Und zwar die ZEIT, weil dir mir eben nicht das wiederkäut, was ich ohnehin im Internet lese und in der Länge und Form Lesestoff bietet, den ich auch nicht im Internet lesen will.
Auf der anderen Seite gehören mein Mann und ich vermutlich aber auch zu einer noch im \“Vorinternetten-Zeitalter\“ sozialisierten \“Gesellschaftsform\“ und wir verbinden mit Zeitungslesen auch eine gewisse Nostalgie, bzw. als Postmaterialisten gehört das Zeitungslesen zum Espresso ja schon fast dazu – es ist also mehr eine Lebenseinstellung. Vielleicht ist es das wirklich. Die Intellektuellen schmücken sich im Cafe eben lieber mit einer Zeitung als mit einem Laptop und sei es noch eins von Apple.
Lese überdies im Spiegel (s. 90) ein längerer Artikel über die FAZ: \“Die verkaufte Auflage schrumpfte in den vergangenen neun Jahren um mehr als 40.000 Stück. In der gleichen Zeit gewann der Hauptkonkurrent, die Süddeutsche Zeitung, knapp 19.000 Exemplare dazu\“
Also die FAZ ist ja auch ein etwas arg ältliches Blättchen, selbst mir zu konservativ.
Thomas Knüwer 2. Oktober 2007 um 17:34
@Ute: Die \“Zeit\“ fällt nicht so richtig in den Bereich Zeitungen, sie ist eher ein Magazin. Denn sie hat weniger mit der Vergreisung der Nachrichten zu kämpfen.
Siegfried 2. Oktober 2007 um 19:04
Nun, in einem haben die Journalisten wohl Recht: Zeitungen wird es immer geben. Zumindest in dem Sinn, wie auch Kaiser Wilhelm glaubte, dass es Pferde immer geben wird. Auch heute noch wird z.B. bei Hochzeiten trotz Auto die Pferdekutsche hervorgeholt. Exotisch, nostalgisch und dem besonderen Anlass angemessen. So wird das wohl auch mit Zeitungen werden.
Adhominem 2. Oktober 2007 um 19:12
Nach den Informationen meiner Grossmutter bezog sich das Kaiser-Wilhelm-Lied auf Kaiser Wilhelm I und wurde zu Regentschaftszeiten Kasier Wilhelm II gedichtet. Hat jetzt keine weltbewegende Bewandnis, aber trotzdem.
unbelehrbar 2. Oktober 2007 um 19:45
Scott Adams, der Schöpfer der Kult-Cartoon-Figur \“Dilbert\“, hat gestern in seinem Blog seinen eigenen Senf zur (nicht vorhandenen) Zukunft der Zeitung abgegeben. Die Kommentare sind auch sehr lesenswert. Z.B. eines der wichtigsten Argumente für den Kauf einer Sonntagszeitung in USA: Coupons / Rabattmarken! Etwas, was man hierzulande nahezu überhaupt nicht kennt.
http://dilbertblog.typepad.com/the_dilbert_blog/2007/10/the-future-of-n.html
Jürgen Kalwa 2. Oktober 2007 um 20:16
Hier haben sich schon viele gute Denkmenschen verewigt. Da mag man gar nicht mehr hinterherklappern. Aber weil ich in New York sitze und von dort aus auf die Welt schaue, würde ich gerne zwei Dinge einwerfen. Die Stichwörter: National Public Radio und \“20 Minuten\“. NPR hat mit seinen Informationsmagazinen \“Morning Edition\“ und \“All Things Considered\“ ein Vielfaches der Zuhörerschaft von solchen angeblich so bedeutenden Informationsverbreitern wie CNN. Und zwar ohne Werbung. Warum? Das Finanzierunsmodell basiert auf Spenden. Die Zuhörer sitzen im Auto auf dem Weg zur Arbeit oder zurück nach Hause. Informations-Radio in den USA war mal auf dem Weg auf den Schrotthaufen im knisternden Mittelwellen-Format – alles News, bloß kein Hintergrund. Dann kamen ein paar Idealisten mit Stimme und Ohr (für Töne, Stimmungen, Artikulation) und brachten auf UKW und in Stereo die Wende.
\“20 Minuten\“ gibt es nicht in den USA, sondern in der Schweiz. Aber es basiert ebenfalls auf einem Entwicklungsschritt, der in die gleiche Richtung zielt: Die Zeitung kostet nichts. Und sie wird von Leuten auf dem Weg zur Arbeit in der Straßenbahn, an der Haltestelle usw. gelesen. Ihr Finanzierungsmodell basiert auf Anzeigen. Der Verlag, dem das Blatt heute gehört (weil er es für viel Geld gekauft hat), verdient prächtig.
\“20 Minuten\“ ist journalistisch gesehen qualitativ nicht halb so gut wie die NPR-Programme. Es ähnelt eher dem amerikanischen Mittelwellen-Radio-News-Format und wird deshalb nur die Leute erreichen, denen ein oberflächlicher Eindruck genügt. Das Beispiel zeigt jedoch auch, dass es eine Lücke gibt: für die Qualitätszeitung, die – genau wie das Qualitätsradio – immer dann dort ihre Leistungen feil bietet, wo sich der Hörer/Leser gerade befindet und Information aufnehmen möchte.
Weil es in Deutschland Pflichtbeitrags-Radio gibt, machen die dort ihre Tütensuppen nach gusto auf. Und das bedeutet: Wirkliche Änderungen werden sich so rasch nicht einstellen. Auf dem anderen Schauplatz kämpfen deutsche Zeitungsverleger derzeit mit den Investitionsnöten, die sich aus der Online-Entwicklung ergeben. Die werden ebenfalls noch eine Weile brauchen.
Unterm Strich: Weder Radio noch Zeitungen werden verschwinden. Sie werden sich ändern und ihre Macher werden sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass ihre Nutzer das letzte Wort haben. Und nicht sie selbst.
derherold 3. Oktober 2007 um 0:00
Vllt. hängt die \“Steifheit der Gedankengänge\“ vieler Journalisten auch damit zusammen, daß *sie* schließlich diejenigen waren, die sich als \“Haupt-Interpreten\“ sämtlicher gesellschaftl. Prozesse sahen. Vom Priester zum Meßdiener will man wohl nicht werden… 😉
Aber ich glaube, man kann ganz einfach erklären, warum es Zeitungen geben solte: weil es Firmen gibt, die darin werben wollen. Bei *Immobilien* hat *online* vor vllt. 2 Jahren die Zeitungsannonce überholt – und der Trend wird zunehmen.
Andreas Nink 3. Oktober 2007 um 14:20
Natürlich wird es \“Zeitungen\“ immer geben. Aber nur im urspünglichen Sinne: laut Duden, Herkunftswörterbuch erklärt sich der Ausdruck aus dem mittelniederländischen \“tidinge\“ und bedeutete ursprünglich \“Nachricht\“. Anzunehmen, dass Nachrichten stets in Papierform transportiert werden, ist absurd. Gab es nicht mal eine Zeit, in der Nachrichten auf Höhlenwände gemalt wurden? Meisseln wir noch Texte auf Stein? Wird noch irgendyo Papyrus verwendet? Beam me up, Scotty.
Christiane Schulzki-Haddouti 3. Oktober 2007 um 23:59
Manueller Trackback: http://blog.kooptech.de/index.php?/archives/104-Nutzer-in-Wertschoepfung-einbinden.html
Christian 4. Oktober 2007 um 10:03
Und das alles schreibst du just einen Tag nachdem ich (25, Blogger, Podcast-Hörer, Maxdome-Kunde, Mobiles Internet-Nutzer) ein ZEIT-Abo abgeschlossen habe und das Hamburger Abendblatt also Probe abonniert habe – und ersthaft überlege es weiter zu beziehen.
Bin ich wirklich nur die Ausnahme aus der oberen Bildungselite?
lupe 4. Oktober 2007 um 15:31
Ein gutes Beispiel dafür, dass Redaktionen die journalistische Qualität einer Zeitung nicht verbessern können und damit sich selbst auf lange Sicht ihr sprichwörtliches Grab schaufeln, bietet die Ostsee-Zeitung. Über 3200 Belege für meine Meinung habe ich zweieinhalb Jahre in meinem Blog gesammelt.
Ich bin deshalb genau Thomas Knüwers Meinung.