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Es ist Zeit, mit dem aktuellen Sommerloch-Mythos aufzuräumen. Früher bekamen die Jungredakteure des Unternehmens-Ressorts hier im Handelsblatt immer eine leicht zu betreuende Start-Branche zugeteilt: die Möbelindustrie. Diese ist geprägt von gebremster Dynamik. Vor allem aber sichert sie für die, die länger dabei sind, einen vorhersehbaren Déjà-vu-Effekt. Bei der jährlichen Branchenpressekonferenz wird über die stagnierende Umsatzentwicklung geklagt, weshalb die Preise angehoben werden sollen. Im folgenden Jahr das gleiche Spiel, was schlicht bedeutet: Die Sache mit der Preisanhebung hat nicht geklappt.

Dabei ist die Möbelindustrie nur extremer Ausdruck eines Vorgehens vieler Verbände, das ihnen meist von ihren Organisationskommunikatoren angetragen wird. Sie alle würden gerne ihre Preise erhöhen. Doch gerade im Konsumgüterbereich hat sich für die Hersteller die Zahl der Konkurrenten dramatisch erhöht: Schwellenländer können heute auch ganz prima Produkte produzieren. Und weil es mehr Rivalen gibt, werden die Verhandlungen mit den Händlern noch schwieriger. Bei denen wiederum hat die Konzentration kräftig zugeschlagen – und somit ist ihre Macht gestiegen.

Der Preis also wird gedrückt in den jährlich anstehenden Verhandlungen. Einen Höhepunkt hat das bei der Milch erreicht. Angeblich verkaufen die Handelskonzerne Milch ihrer Eigenmarken unter dem Preis, den sie selbst bezahlen. Beweisen konnte das bisher niemand.

Während dieser Preis aber, so viel ich weiß, laufend angepasst wird, ist das bei Marken-Produkten anders. Hier wird meist einmal im Jahr ein Preisgespräch geführt. Und deshalb kann ein Joghurthersteller nicht einfach sagen: „Lieber Händler, ab heute bitte fünf Cent mehr“ – dann fliegt sein Produkt ohne Wimpernzucken aus dem Kühlregal.

Gleichzeitig aber steigen die Kosten der Milchbauern. Das liegt zum Beispiel am steigenden Preis für Getreide und somit auch für Futtermittel. Warum? Weil Getreide in der Tat auch als Öko-Kraftstoff verwendet werden kann. Und weil es vielen Schwellenländern heute besser geht und ihre Bevölkerung sich Essen leisten kann – was uns ja irgendwie erstmal freuen sollte.

Die Milchprodukteproduzenten brauchen also höhere Preise. Die könnten sie aber erst in den Jahresgespräch durchdrücken. Und deshalb müssen die psychologisch vorbereitet werden. Mit einer sensationsheischenden Meldung, sauber platziert ins Sommerloch. Glück gehabt, dass die Große Koalition sich nicht in Selbstzerfleischung ergeht.

Begründet werden muss solch eine Preiserhöhung natürlich auch. Da geht immer die Globalisierungskarte. Die bösen Chinesen und überhaupt die Asiaten, seien verschreckt durch umweltschadenbelastete Milch und deshalb würden sie jetzt Milchpulver aus Europa kaufen.

Eine steile These. 90 Prozent und mehr aller Asiaten leidet unter Laktoseintoleranz. Und natürlich enthält auch Milchpulver Laktose. Und: In der asiatischen Küche wird Milch überhaupt nicht verwendet.

Aber egal, der Deutsche denkt nicht mit, geht es um Wirtschaft. Ich glaube, in keinem anderen Land würden sich bei Straßenumfragen so viele Dumme finden, denen sich ein „Ich verstehe nicht, warum Lebensmittel teurer werden, das ist doch eine Unverschämtheit“ entlocken lässt. Der Deutsche ist wirtschaftsungebildet, traurig, aber wahr.

So aber ist das „Alles wird teurer“ zum Sommerthema Nummer eins geworden. Heute legt die „Bild“ mit Brot nach:

Dumm nur, dass ihnen jemand im Innenteil die Geschichte kaputt schießt. Einzelhandelsverbandschef und Rewe-Vorstand Josef Sanktjohanser, charmant von der „Bild“ angeredet mit „Herr Einzelhandels-Chef“, kontert das Spin-Doctoring der Hersteller mit dem, was ihm seine Kommunikatoren vorgegeben haben:

„Wir haben seit Jahrzehnten die niedrigsten Lebensmittelpreise in Europa. Davon profitieren vor allem konsumschwache Kunden“

In einem Jahr wird niemand mehr von diesem Sturm im Milchglas sprechen. Ja, die Milch wird teurer, das ist normal, wenn eine Wirtschaft gut läuft. Und die Deutsche läuft gut. Zwei, drei Prozent werden es sein und das sind pro Milchpackung ein bis zwei Cent. Es werden keine Fackelzüge empörter Verbraucher stattfinden, die das rituelle Erhängen von Ladenbesitzern einleiten wollen und die Ladenbesitzer werden auch nicht so viel mehr verdienen, damit deutsche Supermärkte endlich so appetitlich und gut bestückt sind wie ihre englischen Gegenstücke.

Und im Sommer 2008 wird sicher ein Tierbaby geboren werden, das die Schlagzeilen füllt. Oder es lässt jemand eine Aligator in den Bagersee. Die Milch aber, wird’s nicht nochmal machen.


Kommentare


Matthias Schrade 3. August 2007 um 11:50

Applaus! 🙂

…mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

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Bauer vom Land 3. August 2007 um 14:23

… doch, denn das einzig schlimme an der Preiserhöhung ist, dass sie nicht – oder nur verschwindend gering – dem Erzeuger zu gute kommt.

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joker 3. August 2007 um 16:50

Daß die Milchbauern nur minimal profitieren werden ist abzusehen, zumal bald der Kampf der Discounter (wieder) dafür sorgt, daß mit der Butter gewunken wird …
Das haben auch die Politiker aller(!) Parteien längst erkannt – und sich gehörig öffentlich erregt. Demnächst können sie sich dann wieder die eigene Schulter klopfen …

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björn 3. August 2007 um 17:09

Aber egal, der Deutsche denkt nicht mit, geht es um Wirtschaft. Ich glaube, in keinem anderen Land würden sich bei Straßenumfragen so viele Dumme finden, denen sich ein \“Ich verstehe nicht, warum Lebensmittel teurer werden, das ist doch eine Unverschämtheit\“ entlocken lässt.

Was will man erwarten von einem Land, in dem man an mancher Berufsschule nahegelegt bekommt der branchenüblichen Gewerkschaft beizutreten und in dem man vom Politiklehrer zuweilen zu hören bekommt alle Unternehmer seien Ausbeuter. Ist zugegebenermaßen 7 Jahre her und ich komme aus dem tendentiell \“roten\“ Bremen, aber wundern tut mich das Desinteresse an der Thematik überhaupt nicht. Bedauerlich.

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björn 3. August 2007 um 17:09

sorry, wollte den zitierten text kursiv setzen. scheint bei diesem blogsystem nicht zu gehen.

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qnr 4. August 2007 um 11:24

Genau, an die Laktoseintoleranz habe ich auch jedes mal gedacht, wenn ich das Argument gehört habe, das China uns die Milch wegkaufen würde. Und die Sache mit dem sinkenden Vertrauen in einheimische Produkte, das ist ja mal ein ganz schmales Brett…

Das gerade Kleinbauern mehr Geld für ihre Milch bekommen sollten ist überhaupt keine Frage – aber kommt die Milch aus dem Supermarkt nicht inzwischen sowiso nur noch aus industriell produzierenden Großbetrieben?

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Detlef Guertler 4. August 2007 um 15:11

Nur ein paar Korrekturen:
1. Für Molkereiprodukte werden die Preise nicht einmal pro Jahr mit den Handelsketten neu verhandelt, sondern einmal pro Quartal.
2. Wenn die Butterpackung von 79 auf 119 Cent springt, kann das nicht einfach nur damit zu tun haben, dass die deutsche Wirtschaft gut läuft.
3.Die Weltmarktpreise für Butter und Milchpulver (für Frischmilch gibt\’s keinen Weltmarkt) sind im letzten Jahr tatsächlich exorbitant gestiegen. Was unter anderem an der steigenden Nachfrage aus China liegt.
4. Wenn man der FR glauben kann, scheint das mit der Laktose-Intoleranz der Chinesen kein großes Problem zu sein. Sonst hätte wohl Regierungschef Wen Jiabao kaum gesagt: \“Ich habe einen Traum: Dass jeder Chinese – zuerst die Kinder – einen halben Liter Milch am Tag trinken können.\“
Zwischenfazit: Es handelt sich bei den Preiserhöhungen für Nahrungsmittel (die gerade erst angefangen haben) nicht um ein Sommerlochthema, sondern um eines, mit dem sich in den Wirtschaftsredaktionen nicht die Praktikanten oder Volontäre beschäftigen sollten – und besser auch nicht die Medienredakteure.

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Thomas Knüwer 4. August 2007 um 16:47

Tja, so ganz richtig ist das ja alles auch nicht. Keine Ahnung, warum die \“FR\“ glaubt, Chinesen hätten keine Probleme mit Laktose-Intoleranz. Vielleicht weil, dies keine klassische Form der Allergie ist, bei der man es gezwungenermaßen mit Pusteln oder Atemnot zu tun hat. Vielleicht ist das auch Wen Jiabao auch nicht so recht bewusst.
Preissteigerungen haben, egal bei welchem Produkt, häufig etwas mit der Wirtschaftslage zu tun. Denn nur dann lassen sie sich durchsetzen.

Aber noch etwas sollte man bedenken. Warum trötet ein Verband raus, nun werde alles teuerer? Ist doch schließlich nicht gut für ihn, macht immer Schlagzeilen, und dann heißt es, seine Mitglieder seien Abzocker.

Der Grund ist einfach: Es geht einfach darum, Stimmung zu machen. In die Köpfe der Kunden (also der Händler) soll gehämmert werden, dass da was kommt, um sie weichzuklopfen. Manchmal kann das funktionieren.

Und schließlich: Die Verhandlungen über Milchproduktpreise sind nicht in allen Bereich vierteljährlich. Sagen zumindest die Leute im Handel, die ich kenne.

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qnr 4. August 2007 um 17:37

Der Tagesspiegel liefert übrigens Zahlen zu den chinesischen Milchimporten und behauptet, diese geringe Menge hätte keinerlei Einfluss auf den Weltmarktpreis.

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qnr 4. August 2007 um 17:38

HTML wird hier wohl herausgefiltert? Hier die URL: http://www.tagesspiegel.de/meinung/Kommentare-Lebensmittel;art141,2350635

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Detlef Guertler 4. August 2007 um 19:30

Leider handelt es sich beim Tagesspiegel-Text tatsächlich um eine Behauptung. Aus den dort gelieferten Zahlen (z.B. zehn Prozent Wachstum des Milchverbrauchs pro Jahr, Gesamtimport bereits zehn Prozent der Menge des Welt-Großexporteurs Deutschland) kann man genausogut die Behauptung fabrizieren, dass der Chinese uns die Butter vom Brot klaut.
Wieviel der Chinese (Eiweißhunger), wieviel der Australier (Dürre), wieviel der Europäer (Änderung der Milchsubventionspolitik, Abbau der preisstabilisierenden Lagerhaltung), wieviel der Deutsche zum Preisschub auf Welt- und nationalen Märkten beigetragen haben, mögen Experten beurteilen. Aber das, was sich da abspielt, ist jedenfalls kein Sommerloch.
@Knüwer: Milch und Butter werden bei Aldi quartalsweise preisverhandelt.

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dogfood 4. August 2007 um 21:17

Na ja, der chinesische \“Eiweißhunger\“ scheint sich ja erst irgendwann zwischen April und Juli entwickelt zu haben, wenn noch diesen Frühjahr die Milchpreise in China abgeschmiert sind und der chinesische Präsident versucht hat chinesische Milch nach Russland zu verhökern….

[1] http://www.economist.com/world/asia/displaystory.cfm?story_id=8929260

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Karlheinz Mosblech 4. August 2007 um 22:18

Der Preis, der in unserem Haushalt bevorzugten Biomilch (http://www.hamfelderhof.de), ist im Supermarkt unseres Vertrauens (http://www.akzenta-wuppertal.de) heute um 10 Cent gesunken, von EUR 1,29 auf 1,19.

Wie, bitte, darf ich das nun deuten?

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Jo 5. August 2007 um 9:10

…und dass auch diverse andere lebensmittel preislich zulegen, wenn der milchpreis steigt, liegt nicht zuletzt daran, dass überall milch drin ist. wer wie ich jemanden mit laktose-empfindlichkeit in der familie hat, weiß das nur zu gut: es gibt nur wenige produkte ohne milchanteile.

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Thomas Knüwer 5. August 2007 um 17:01

@Detlef Gürtler: Und schon sind wir wieder beieinander, glaube ich. Ich schrieb oben ja von Markenprodukten. Verkauft Aldi im Molkereibereich echte Marken? (Kann ich als Nicht-Aldianer nicht sagen).

@Karl Heinz Mosblech: Das ist interessant. Denn noch kürzlich wurde ja von Seiten der Verbände geklagt, Öko-Produkte würden immer teuerer, seien teilweise sogar nicht zu haben, weil die Verbraucher vermehrt danach fragen.

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Jörg Friedrich 6. August 2007 um 11:35

Wenn 90% der Chinesen eine Laktose-Intoleranz haben, bleiben immer noch 160 Mio. Menschen, also zweimal Deutschland übrig, die die europäische Milch lecker finden könnten.

Außerdem interessiert mich mal, wo dieser tolle Begriff \“Schwellenländer\“ her kommt und was er mir sagen soll. Schwellenländer können gute Möbel produzieren und die Bevölkerung kann sich was zu essen leisten, so viel weiß ich jetzt schon mal. Darüber werd ich mal schreiben.

Insgesamt mischt der Artikel hier viele Sachen bunt zusammen die irgendwie auch zusammen gehören, verrät aber nicht wie. Passt gut ins Sommerloch und wird denen, die da auf der Straße interviewt werden, wahrscheinlich heftiges zustimmendes Kopfnicken entlocken.

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Harald 6. August 2007 um 12:43

Mit der in der Wikipedia veröffentlichten Tabelle zur Laktose-Intoleranz als Argumentationsgrundlage wäre ich sehr vorsichtig, die Daten sind hier nur durch wenige Quellen gesichert und die untersuchten Gruppen teilweise sehr klein. Z.B. haben angeblich 75% der Afro-Amerikaner diese Intoleranz, die Studiengruppe bestand aber nur aus gerade mal 20 Probanden, und viele heute in Afrika lebende Gruppen scheinen kaum Probleme mit Laktose zu haben.
Wie eigentlich alle Allergien gibt es zudem auch bei der Laktose-Intoleranz ein sehr weites Feld an Reaktionen von schweren Atemnöten über Durchfälle bis zu minimalen Beschwerden. Und es gibt viele Hinweise dass man seine Verdauung an (Milch-)Proteine gewöhnen kann. Vielleicht deswegen der Plan der Chinesen ihren Kindern in Zukunft mehr Milch zu geben, um die späteren Vorteile einer solchen besseren Ernährung ernten zu können.

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Hendric 6. August 2007 um 19:46

Aus dem Tagesspiegel:
„Gesäuerte Milchprodukte, wie Joghurt, Buttermilch und viele Käsesorten enthalten kaum Laktose, weil Mikroorganismen den Milchzucker schon aufgespalten haben“, sagt Ingolf Krause vom Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung der TU München. „Diese Stoffe können problemlos verdaut werden“, erklärt der Lebensmittelchemiker. Außerdem sind die Asiaten führend bei der „Hydrolysierung“ von Milchprodukten. „Bei diesem Verfahren wird die Laktose aufgespalten, bevor sie in Lebensmitteln verarbeitet wird,“ sagt Krause.

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Matze 7. August 2007 um 1:02

@Harald: meinst du, nach dem motto: wenn die schon als kinder milch trinken, dann kriegen die keine laktoseintoleranz? (Geht das? Mediziner oder Lebensmittelwissenschaftler o.ä hier?)

und: ich finde nicht, dass die milchbauern mehr geld kriegen sollten. 28c pro liter sind natürlich zu wenig – bzw. wären. wenn man aber die subventionen, die die meisten bauern dazukriegen (ich weiß, nicht direkt für die milchproduktion, aber für flächen etc.), lässt es sich in den meisten fällen (ich komme vom dorf und kenne viele bauern 😉 ) doch ganz gut leben. sonst würd es ja auch keiner mehr machen. wie wäre es also mit einer (weitestgehenden) abschaffung der landwirtschaftlichen subventionen und quotenregelungen (stichwort künstliche verknappung und so) etc. und hin zu einem freien markt, wie er in anderen branchen (auch in anderen ländern, also außerhalb von EU-land? weiß ich nicht.) üblich ist. also hin zu einer Landwirtschaft, die dass produziert, was gebraucht wird (und deswegen abgenommen wird) – und nicht dass, wofür es die meiste förderung u.ä. gibt. oder lieg ich da komplett falsch?

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Marc 7. August 2007 um 15:32

Es ist bei der Lactoseintoleranz eher umgekehrt. Als Säugling hat man sie nicht, als Erwachsener dann schon. Ist auch praktischer wegen der Muttermilch.

Und ich kenne jetzt schon zwei Frauen, die inzwischen wissen, dass sie nicht mehr jede Milchg in den Kaffee schütten können.

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Armin 7. August 2007 um 19:16

Und die BBC ist auch voll drauf reingefallen mit einem langen Artikel der recht gut recherchiert aussieht?

http://news.bbc.co.uk/1/hi/magazine/6934709.stm

Faellt mir doch irgendwie schwer das zu glauben.

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