Niemals würde ich mich dabei filmen lassen, wie ich Weitsprung mache. Kann ich nämlich nicht. Konnte ich nie, Weitsprung kollidiert mit meiner individuellen Motorik. Und deshalb weiß ich, dass ein Video, das mich beim Weitsprung zeigen würde, mich auf immer der Lächerlichkeit Preis gäbe.
Die Logik des Satzes „Ich lasse mich nicht bei Dingen filmen, die ich nicht kann“ ist kein intellektueller Meilenstein. Darauf kämen die meisten Mitbürger. Nur: Warum lassen sich Politiker dann allen Ernstes zum Thema Internet befragen? Das ARD-„Morgenmagazin“ suhlt sich ja in süßen Rubriken die alles tun, nur nicht den Zuschauer informieren. Es ist Hausfrauen-Bügelprogramm am frühen Morgen.
Heute aber ärgere ich mich, dass ich nicht eingeschaltet habe. Denn Christian Boelling hat mitprotokolliert, was die Kinderreporter des „Morgenmagazins“ Politikern zum Thema Internet entlockt haben – es ist wieder einmal das pure Entsetzen.
Auszug:„Und die Krönung ist Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele. Ob er einen Computer habe? „Ja, leider.“ Und war er schonmal im Internet? „Ja, ein oder zwei mal.“ Und welche Startseite hat er sich ausgesucht? Er wisse gar nicht, was das sei. Dann soll er doch mal ein paar Browser nennen. „Ich weiß, dass es ein Programm gibt, womit man mit einzelnen Fundwörter irgendetwas finden kann.“ Hat er denn eine eigene Homepage? „Genau. Ich habe eine eigene Homepage. Ich kann sie aber überhaupt nicht bedienen.“ Zitat Kinder: „Wenn er das nicht weiß, können wir die anderen Fragen ja auch direkt schmeißen“.“
In anderen Ländern, das habe ich ja schon mal geschrieben, würden solche Volksvertreter medial geteert, gefedert und aus dem Parlament getrieben. In Deutschland gilt so was als liebenswert.
Nachtrag: Und zack – ist das Stück schon online. Danke für den Hinweis!
Nachtrag vom 11.7.: Zypries versucht gegenüber Abgeordnetenwatch zu retten, was zu retten ist:
„… bei der Frage der ARD-Kinderreporter nach dem „Browser“ habe ich zugegebenermaßen zunächst etwas auf dem Schlauch gestanden. Allerdings wurde in dem Beitrag auch nur ein Ausschnitt meiner Antwort gezeigt.
Seien Sie versichert, dass ich weiß, was ein Browser ist und welche Funktion er hat.
Selbstverständlich gehört es zu meiner Arbeit als Bundesjustizminsiterin, dass ich mich eingehend über aktuelle Entwicklungen – insbesondere im IKT-Bereich – informiere. Bei der Vorbereitung und Prüfung der Gesetze, die von uns im Bundesjustizministerium (BMJ) initiiert und begleitet werden sind, werde ich darüber hinaus bei allen Projekten von entsprechenden Fachleuten – aus dem BMJ und auch von außen – beraten.“
Kommentare
Jörg Friedrich 28. Juni 2007 um 9:48
Warum lassen sich Politiker allen Ernstes zu allem möglichen befragen? Warum können sie nicht einfach hin und wieder mal die Klappe halten?
Jens Grochtdreis 28. Juni 2007 um 10:11
Oder wie Dieter Nuhr schon so treffend bemerkte: \“Wenn Du keine Ahnung hast, einfach mal die Fresse halten!\“
Chris K. 28. Juni 2007 um 10:20
Mit derartigen Äußerungen kann Ströbele bei einem Teil seiner Stammwählerschaft, die über Jahrzehnte hinweg liebevoll die eigenen Vorurteile pflegt, sogar noch punkten. Der in Unehren ergraute linksalternative Kreuzberger sieht in \“Elektronengehirnen\“ immer noch gern die Arbeitsplatzvernichter und geht lieber in die \“Rote Harfe\“ in der Oranienstraße als ins Internet. Unter Gleichgesinnten hat man\’s einfacher.
Alex 28. Juni 2007 um 10:28
Eins vorab: Sich bei Dingen filmen zu lassen, die man nicht kann, ist dank MyVideo quasi essentieller Bestandteil des gepanschten Web-2.0-Begriffs.
Wenn aber noch nicht einmal an Hochschulen Wert auf das Internet gelegt wird, dann finde ich die Beobachtung des Online-Euphemismus treffend bestätigt. An der Universität Düsseldorf ist kürzlich ein E-Learnig-Projekt am Widerstand konservativer Professoren gescheitert. Dozenten antworten nicht auf Emails, weil sie nicht recht wissen, wie das geht. Seminare zum Web – gerade die aktuelle Entwicklung wäre ein brandheißes Thema für die Germanistik – sucht man vergeblich.
Hier werden massiv Gründerchancen vergeben, da fördernde Stellen die Situation gar nicht realistisch einschätzen können – Minister Glos kann ja auch keinen Computer bedienen.
Alexander 28. Juni 2007 um 10:28
Tja, die Damen und Herren stimmen fremdbestimmt über Herrn Schäubles Bespitzelungspläne ab. Ich finde das grad gar nicht so lustig.
Was für ein Armutszeugnis, aber man kann ja schliesslich nicht über jede Kleinigkeit auf dieser Welt Bescheid wissen….
Oscar 28. Juni 2007 um 10:39
Soweit übrigens zum Thema \“öffentlich-rechtliche Grundversorgung\“ im Internet: Im Videoarachiv des Morgenmagazins ist der aktuellste Beitrag der Kinderreporter vom September 2005.
Liegt aber vermutlich daran, dass die Millionensummen aus den PC-Gebühren erst seit diesem Jahr fließen.
Lapidarium42 28. Juni 2007 um 10:51
die Verblüffung der Kinderreporter bei der offensichtlichen Ahnungslosigkeit dieser Eliteauswahl… toll 🙂
Oh mann…. 28. Juni 2007 um 11:14
Das ist ja nichts neues. Erschreckend ist aber das die Politiker auch noch zugegen das sie keine Ahnung haben. Noch schlimmer finde ich dagegen das dieser Beitrag als witzige Anekdote im Morgenmagazin auf lustig gemacht versendet wird. Solche Leute bestimmen über irgendwelche Gesetze und Überwachungspläne. Interessiert die ja auch nen Dreck, wenn die das Internet sowieso nicht nutzen.
Das ganze muss richtig in die Medien und dann mal ein kleines Sautreiben veranstalten wie das bei jeder kleine VW Lustreise gemacht wird. Da regen sich alle auf aber bei so einer Unwissenheit ist das einfach nur niedlicht.
Detlef Borchers 28. Juni 2007 um 11:52
Seltsam. Ich habe bisher zwei oder dreimal etwas bei Ströbele per E-Mail nachgefragt. Jedesmal trudelte die Antwort innerhalb weniger Stunden herein.
Jens 28. Juni 2007 um 13:08
@Detlef Borchers:
Für einige Leute gibt es ja noch den Unterschiede \“Internet\“ und \“eMail\“ (auch wenn Sie i.S. Internet dann wohl eher WWW meinen). Aber kann es nicht auch sein, dass bei den eMails eher irgendwelche MdB-Mitarbeiter geantwortet haben. Bei meinen Mailkontakten mit diversen Politikern hatte ich glaube ich nur bei jüngeren MdBs mal persönlich \’ne Mail, die anderen waren immer (zwar über die vorname.nachname (at) bundestag.de) irgendwelche Mitarbeiter involviert, die – wenn ich mich recht entsinne – teilweise auch direkt im Namen der jeweiligen Person geschrieben haben.
Mitternachtsblau 28. Juni 2007 um 13:24
Dass der über 70jährige Senior Ströbele, dessen Schwerpunktthemen auch außerhalb der Medienpolitik liegen, auf seine Mitarbeiter vertraut, finde ich noch hinnehmbar. Aber dass Frau Zypries, die als Justizministerin und ehemalige Staatssekretärin im Innenministerium für zahlreiche medienrelevante Entscheidungen verantwortlich war (digitales Urheberrecht, E-Participation, etc.) nicht weiß was ein Browser ist, das haut einen doch vom Stuhl.
Jens 28. Juni 2007 um 13:26
@Mitternachtsblau:
Der Zypries traue ich schon zu, dass sie im Internet surfen kann. Aber ob sie wirklich weiß, was ein Browser ist? Muß man den Namen dieser Programmgattung kennen?
Ich kenne Leute die behaupten steif und fest, dass ihr Internet Explorer richtig toll sei…
… nachdem ich dort den MS IE deinstalliert und Firefox eingerichtet hatte.
Mitternachtsblau 28. Juni 2007 um 13:38
@Jens:
digitales Urheberrecht – OpenSource – Browserkrieg … zugegeben die Assoziationskette ist nicht jedermanns Sache.
Aber der Film deutet klar auf ein Problem hin: Heutige Spitzenpolitiker leben und arbeiten extrem abgeschirmt. Müssen sie auch, wenn das Medieninteresse irgendwie noch beherrschen wollen. Als Medienkonsumenten sollte das uns eine Lehre sein und den Fokus manchmal auch auf die unbekannteren, aber anscheinend besser informierten Fachpolitiker lenken.
Detlef Borchers 28. Juni 2007 um 14:02
@Jens: Ich muss mich etwas korrigieren, da ich inzwischen nachgeschaut habe. Ich habe bei Ströbele drei Anfragen über das *Webseiten-Formular* \“Kontakt zu mir\“ gestellt und jedesmal noch am selben Tag eine Antwort bekommen, immer mit \“Gruß Ströbele\“ unterzeichnet. Auch im erweiterten Header ist nicht erkennbar, ob da ein Mitarbeiter geschrieben hat.
Jens 28. Juni 2007 um 14:18
Das beste ist der letzte Satz. \“Ich hab mal nen Kurs gemacht, wo ich das gelernt habe\“. Eben. Das Grundproblem ist nicht, daß sie keine Ahnung haben, sondern daß sie sich nicht über Dinge informieren, für die es sogar Kurse für Kinder gibt.
Besitzstandswahrer 28. Juni 2007 um 14:33
Also ich als Softwareentwickler muss da sagen, der Herr Ströbele muss sich nicht in allen auskennen. Ich bin froh das es ihn gibt und das er sich in den Bereichen betätigt, in denen er sich auskennt. Und ich erwarte auch nicht das Sie Herr Knüwer sich z.B. mit Polizeirecht auskennen…
Onyro 28. Juni 2007 um 15:11
Was ist nochmal ein Browser? Keine Ahnung, irgendwas am Computer. Muss ich nicht kennen. Hauptsache ich habe eine eigene Homepage. Das kenne ich, das ist wie ein großes Wahlplakat mit Werbetext im Internet. Was man sonst noch damit machen kann und wie man die findet weiß ich aber auch nicht.
Na ja, ich hoffe nur dass keine der befragten Damen und Herren über Internetthemen mitentscheidet. Wenn ich drüber nachdenke, Frau Zypries leider schon bei so nebensächlichen Dingen wie Datenschutz. Da kann man uns allen nur viel Glück wünschen.
P.S.: Warum bekommen Leute immer so einen mitleidig-dämlichen Tonfall in der Stimme wenn sie mit Kindern reden, die in diesem Fall besser informiert sind als sie selbst?! Besonders auffällig bei Hr. Westerwelle und Hr. Struck.
Maritta 28. Juni 2007 um 17:31
Internetkompetenz ist nicht nur eine Frage des Alters. Ich habe früher mal für Herta Däubler-Gmelin gearbeitet, die geht nirgends ohne ihren Laptop hin und ist am besten über eine sorgsam gehütete Spezial-Email und SMS erreichbar. Unvorstellbar, dass sie sich so blamiert hätte wie ihre Nachfolgerin.
sdf 28. Juni 2007 um 23:45
nicht ganz richtig: in anderen ländern sind solche leute zuständig für die regulierung des internet… mal auf youtube nach \“series of tubes\“ gesucht?
Julius H. 29. Juni 2007 um 2:26
Anmerkung zum Kommentar von Detlef Borchers: Herr Ströbele antwortet auch auf seine E-mail-Adresse (@bundestag.de) schnell und wie es scheint persönlich. Erst \’1-2 Mal im Internet gewesen\‘ kann also nicht sein.
marcel weiss 29. Juni 2007 um 15:12
grmpf, manueller Trackback:
komplette Internetunkenntnis ist der Analphabetismus des 21. Jahrhunderts
alex 1. Juli 2007 um 13:39
Wenn man sich dann noch vor Augen hält, dass diese Personen gleichzeitig an Gesetzgebungsverfahren für diverse Bereiche des Internets beteiligt sind, kommt einem das kalte Grausen.
Simon 1. Juli 2007 um 17:15
Herr Knüver, dann teeren und federn doch Sie wenigstens diese Politiker medial. Nicht nur hier, sondern auch im Holzmedium.
Mainbube 4. Juli 2007 um 17:34
Och, das wundert doch wenig. Deutsche Politiker reden ja auch über die gesetzliche Krankenversicherung und haben davon keine Ahnung.
Kollege Ströbele hat zum Glück Mitarbeiter die das alles für ihn machen. Politiker, es ist und bleibt ein Traumjob für alle Nichtskönner und Versager.
Erving Goffman 29. Mai 2009 um 13:26
Manche von denen scheinen es ja richtig lustig zu finden, dass sie keine Ahnung haben. Dieses teilweise süffisante Verhalten stärkt mich in meiner Meinung, dass Politiker jenseits jeglicher gesellschaftlicher Realität leben. Und wenn sie was über die Realität erfahren wollen, fragen Sie halt Ihren PR-Berater oder geben ihre \“Fundwörter\“ (Ströbele) in dieses komische Internet ein.