Skip to main content

„Morgen, Kinder!“

„Guten Morgen, Frau Lehrerin!“

„Gut? Für mich ist es kein guter Morgen. Einige von Euch scheinen ja überhaupt nicht lernen zu wollen. Ich bin wirklich, wirklich, wirklich enttäuscht von Euch.“ Die Klasse schweigt.

„Wisst Ihr, was ich meine?“

Schweigen.

„Du, zum Beispiel, Ulrike. Tolle Exklusivmeldung. Mal abgesehen von dem Foto? Hat das ein Kollege bei der Weihnachtsfeier der ,Wirtschaftswoche um drei Uhr am Morgen geschossen? Egal. Fakt ist: Wir wissen doch alle, woher Du die erste Information hattest, nicht wahr? Wenigstens hast Du nachtelefoniert. Nehme ich jetzt mal an. Oder hast Du nur den Flurfunk der Verlagsgruppe Handelsblatt abgehört? Das wäre noch besser, als was Du abgeliefert hast, Gerald. Soll ich mal zitieren?
,Wie zu hören ist, steht die Unterzeichnung eines Vertrages zwar noch aus, doch gilt die Personalie als so gut wie sicher.‘
Wie zu hören ist? Wo hörst Du denn bitte was? Im Lunchlokal der Deutschen Bank, oder was? Ich hab Euch so oft gesagt: Formulierungen wie ,dem Vernehmen nach‘ oder ,ist zu hören‘ sind nicht akzeptabel. Gerald, als Hausaufgabe schreibst Du 1000 mal „Ich soll nicht ,wie zu hören ist‘ schreiben. UND HÖR AUF ZU HEULEN! DAS HAST DU DIR SELBST EINGEBROCKT!“

Die Lehrerin fasst sich schwer atmend an die Brust und entnimmt einem Pillendöschen eine Tablette.

„Ach, und die Kollegen aus München. Ihr habt es gar nicht nötig Quellen zu nennen. Schreibt einfach mal so ab und behauptet, es sei so:

,Stefan Baron, Chefredakteur der Wirtschaftswoche, arbeitet künftig als Pressechef der Deutschen Bank. Er löst Simon Pincombe ab, der die Öffentlichkeitsarbeit des Geldhauses stark auf die angelsächsische Belange ausgerichtet und sich damit die Kritik deutscher Medien zugezogen hatte. Der 59jährige Baron leitete seit 1991 die Redaktion des Wochenmagazins. In seiner neuen Position wird er eng mit Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zusammenarbeiten und alle Fragen mit diesem abstimmen.‘

Kein Wunder, dass die Kollegen das nicht online stellen. Ihr schreibt 2500 mal ,Ich soll meine Quellen nennen, auch wenn es Konkurrenzzeitungen oder Weblogs sind‘.“

Die Lehrerin spült die Tablette mit einer Flüssigkeit aus einer Volvic-Flasche herunter. Die Schüler halten das Getränk für Wasser. Die Lehrerin weiß: Es ist Wodka. Anders ist das Drama im Klassenraum nicht mehr zu ertragen.

„Und damit sind wir ja auch schon beim Thema. Wie oft habe ich gesagt, Ihr sollte Weblogs lesen UND ERNST NEHMEN? Na, wo stand denn zuerst die Meldung? Hm? Nein, Stefan, bei Dir weiß ich ja, dass Du es weißt. Ulrike?“

Ulrike kleinlaut: „Bei Boocompany.“

„Bei Boocompany. Genau. Und wer von Euch Arroganzakrobaten hat das geschrieben? Na? Keiner! Und wisst Ihr warum mich das besonders enttäuscht? Stefan, Finger runter, das hat schon was von Strebertum. Sonst keiner? WEIL DAHINTER EINE STORY STECKT, IHR NULLNUMMERN!“

Die Lehrerin stützt sich schwer atmend auf.

„Hans-Peter! Hör auf, den Lutz mit Papierkugeln zu beschießen!
Nun zu Dir, Peter. Weißt Du noch, was wir zum Thema Dementis besprochen haben?“

Peter antwortet mit gesenktem Blick: „Kein Nein, kein Dementi, Frau Lehrerin.“

„Kein Nein, kein Dementi – ganz richtig. Und wo in dem Satz ,Herr Baron ist mit großer Freude an der Arbeit‘ hast Du ein Nein gesehen?“

Peter ganz leise: „Tut mir leid, Frau Lehrerin.“

„Tut mir leid, tut mir leid, ich kann das langsam nicht mehr hören. Und gerade Du Peter hast Dich dieses Wochenende echt nicht mit Ruhm bekleckert. Einfach so jemand als Quelle outen, der nicht mal vor Ort war – das ist fast schon Rufmord. Unglaublich!“

Die Lehrerin muss sich setzen.

„Und schließlich noch zu Dir, Detlef. Nicht alles, was an einem 1. April geschrieben wird, ist ein Witz. RECHERCHE! RECHERCHE! RECHERCHE! UND QUELLEN NENNEN! Ist das denn wirklich so schwer?

Und damit Ihr das endlich lernt, schreibt Ihr bis morgen 5500 mal ,Wenn in einem Weblog eine Information steht, dann nennen ich auch ein Weblog als Quelle.‘ Und das schicken wir dann der Frau Lanu, die freut sich, wenn sie in zwei Wochen aus dem Urlaub kommt.“

Nachtrag: Ich hatte gerade ein sehr nettes Telefonat mit Ulrike Simon. Sie hat Ihre Infos nicht in Boocompany gefunden, was daran liegt, dass sie Boocompany nicht kennt. Und das glaube ich ihr auch. Deshalb: Sorry, sollte ich mit diesem Stück in dem einen Punkt zu hart rangegangen sein.


Kommentare


hANNES wURST 2. April 2007 um 11:22

Ist es denn also so, dass man den \“Schwarzen Baron\“ jetzt einen designierten PR-Fuzzi nennen darf? Was mich noch wundert: ich dachte, die Farbe der Deutschen Bank wäre traditionell ein Dunkelblau.

Antworten

Hab ich 2. April 2007 um 16:24

Das sie noch nicht davon gehört hat, würde ich jetzt einfach mal als als Notlüge bezeichnen. Gerade im Onelinejournalismus grassiert das herrlich von dir in Szene gesetzte \“Schauspiel\“ des Abschreibens ohne Hemmungen, das Weglassen von Quellenangaben (erst recht von der Konkurrenz), von anderen journalistischen Grundsätzen erst gar nicht zu reden. Recherche ist für viele leider ein Wort, dass im Fremdwörterbuch nachgeschlagen werden muss.

Daran tragen aber auch die Magazine und Verlage Mitschuld, die nicht bereit sind, Qualität auch entsprechend zu bezahlen und lieber zu Hilfsarbeitern greifen, die es oft gar nicht besser können …

Antworten

Jens 2. April 2007 um 16:29

Sehr schöner Artikel! Ich bin auch der Meinung, daß wenn die Presse sich auf Blogs bezieht, daß das dann auch bitteschön erwähnt werden sollte. Das machen die meisten traditionellen Medien leider nicht, wie man immer wieder feststellen konnte. Wobei ich feststellen mußte, daß es bei der Welt/Welt am Sonntag inzwischen besser läuft als z.B. bei der taz.

Antworten

Thomas Knüwer 2. April 2007 um 17:04

@Habich: Nein, in dem Fall glaube ich nicht an eine Notlüge, definitiv nicht.

Antworten

Ingix 2. April 2007 um 19:22

Gibt es eigentlich irgendeinen Hinweis, dass die Meldung bei boocompany als Ausgangspunkt der \“angeprangerten\“ Meldungen gedient hat?

Antworten

Peter Stawowy 2. April 2007 um 23:46

Jau, wieso soll man glauben, dass Boocompany die Quelle war? 😉 Aber sehr hübsch geschriebene Geschichte. Wenn Frau Simon Boocompany noch nicht kennt – kennt Günther Kress eigentlich Indiskretion Ehrensache? Und wer mailt äähh faxt ihm die Geschichte?

Antworten

Torsten 3. April 2007 um 7:46

Wie kommst Du darauf, dass Boocompany die Quelle ist? Hört nur Lanu den Flurfunk?

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*