„Kutschen“, sagten einst sicher die Kutschenmacher, „Kutschen sind eine erhabene Art zu reisen. Ruhig sind sie, angenehm und mit frischer Luft verbunden. Wer will da diese neumodischen stinkenden Autos? Die noch dazu so oft ausfallen? Nein, das Auto wird die Kutsche nie verdrängen.“ Und nachdem Sie diese Einleitung gelesen haben, werfen Sie bitte einen Blick auf das, was Christoph Keese, Chefredakteur der „Welt am Sonnstag“ dem „Medium Magazin“ gesagt hat (zitiert von Turi2):
„Zeitungen verschwinden schon deshalb nicht, weil sie ein enorm schnelles Medium sind. Eine Wissensdoppelseite in der „Welt am Sonntag“ über Wale, Löwen, Allergien, den Vatikan oder Star Wars bringt es leicht auf ein Datenvolumen von zwei Gigabyte – bei der Zeitung dauert das Laden eine halbe Sekunde: Umblättern, fertig! Machen Sie das mal im Internet, das kann dauern, auch mit DSL. Bequem im Sessel sitzen und blitzschnell zehn große Artikel auf eine angenehm raschelnde Papierfläche laden – das hat doch was.“
Wenn sich Zeitungsmacher solche Argumente ins Rennen schicken, um ihre Arbeitsgrundlage zu rechtfertigen, dann ist Panik geboten. Es wäre deutschen Verlagsentscheidern zu wünschen, dass sie ihre gedankliche Grundlage einfach umdrehen. Statt ständig zu behaupten, Zeitungen würde es immer geben, weil es sie halt schon immer gegeben hat, wäre es sinnvoller einfach mal das realistischere anzunehmen: Dass es sie nichtimmer geben wird. Derzeit liefert nämlich keine deutsche Zeitung einen Grund, warum sie mittelfristig noch existieren sollte.
Und mit der Angst, dass es Zeitungen irgendwann nicht mehr geben könnte, würden dann vielleicht die Maßnahmen ergriffen, die nötig sind, erreicht ein Produkt das Ende seines Lebenszyklus: Investitionen nämlich, die es zeitgemäß machen. Wer, wie Verlagsmanager derzeit, schon glücklich ist, wenn er die Auflage hält oder sie nur leicht sinkt, der sollte seinen Job aufgeben. Wer mit der Absicht eines 0:0 in ein Spiel geht, der verliert eben immer.
Nachtrag vom 4.4.: Medienrauschen hat mal Herrn Keeses Computerkenntnisse nachgerechnet.
Kommentare
genevainformation 3. April 2007 um 15:45
Zwei Gigabyte? Hm. Er meinte wahrscheinlich \“ein paar Kilobyte\“, da ist ja auch schon viel.
Farlion 3. April 2007 um 16:15
Ich habe lange nicht mehr so gelacht. 🙂
Wie kommt der Mensch auf 2GB? Verwendet die Welt am Sonntag unkomprimierte TIFs in 1200dpi auf der Website?
Autsch, das schmerzt.
mona_lisa 3. April 2007 um 16:42
Ähnliches habe ich vor Jahren von Event- und Hotelmanagern über Computer gehört: \“Computer sind nur ein Trend, den müssen wir nicht mitmachen.\“ Wo wären die eigentlich heute ohne ausgeklügelte Buchungs- und Reservierungssysteme? Offenbar sind sinkende Printauflagenzahlen für die \“Welt\“ noch kein Grund umzudenken.
Tg 3. April 2007 um 17:02
Also so einfach ist es ja nun nicht. Das Online-Fähnchen ist natürlich hipp, nur:
– finde ich von dem, was ich in meinem bezahlten Käsblättchen lese, bisher nichts (!) egal wo online,
– wird in der ja schon lange mit den immer gleichen Argumenten währenden Debatte recht arrogant über diejenigen hinweggegangen, die nicht auf Online umerzogen werden können oder wollen;
– hat mir noch kein Kollege seinen Wunschspagat zwischen toller Bezahlung für seine Content-Lieferung und null Zahlung für seinen Content-Abruf erklärt.
Andreas Nink 3. April 2007 um 18:01
So einfach ist es doch: das Bessere ist des Guten Feind. Mag das bezahlte Käseblättchen auch heute noch nichts vom Internet wissen (wollen), so heisst es doch abwarten, ob sich die Käseblättchenleitung auch in fünf Jahren noch auf den Kutschbock schwingen wird. Die Zahl der Offliner reduziert sich seit Jahren kontinuierlich. Sie ist, wie Statistiken zeigen, ein demographisches Phänomen. Die Tendenz ist eindeutig. Die Finanzierungspraxis hinkt den Anforderungen des Mediums hinterher. Na und? Das wird noch.
Völlig am Medium vorbei gedacht ist die Neigung von Zeitungsleuten, das Printprodukt einzuscannen und als PDF-Pseudozeitung zum Download anzubieten. Wer benötigt eine digitale Papierimitation? Richtiger ist der umgekehrte Weg: aus einem digitalen Datenbestand mit geringerem Aufwand eine Printversion zu extrahieren. Printprodukte wird es geben, solange eine Nachfrage besteht. Aber das Offline-Fähnchen wird sich gegenüber dem digitalen Produkt rechnen müssen.
ethone 3. April 2007 um 18:10
@Tg:
Ich habe vor einer Woche mein Abo der SZ abbestellt, weil ich einfach keine Tageszeitung mehr lese. Wenn ich Nachrichten will dann aktuell und nicht von gestern, Reportagen und Hintergründe gibt es auch im Netz genug, auf Abruf.
Wenn ich jetzt ganz arrogant von mir auf den Rest der Welt schließe wird die Papierzeitung einfach untergehen, egal ob manche denken Online wäre \“hipp\“ und deswegen würden alle dorthin rennen.
In einem anderen Umfeld wie dem Internet versucht mit alten Verkaufsmethoden und -preisen erfolgreich zu sein wird schnell merken, dass dies nicht funktioniert. Ob jetzt noch mehr über Werbung finanziert wird, über gezielte Dossiers à la Spiegel Online, über ePaper Abos oder sonstwas ist nebensächlich, fakt ist dass sich Verlage und Chefredakteure umorientieren müssen. Wer meint sich nicht bewegen zu müssen wird stehen gelassen.
Armin 3. April 2007 um 23:43
Och, verschwunden sind die Kutschen ja nun auch nicht gerade. Zugegeben, viele gibt\’s nicht mehr, aber wenn werden sie gerade zu besonderen Anlaessen noch immer gerne benutzt.
Hochzeiten, Staatsbegraebnisse, Touristen durch Wien kutschieren, ich glaube in ein paar Staedten in Deutschland wird das Bier noch per Bierkutsche ausgeliefert (Becks in Bremen z.B glaube ich).
Vielleicht ist etwas aehnliches die Zukunft der Zeitung? Etwas das man sich zu besonderen Anlaessen goennt, etwas zu dem man sich Zeit nimmt, mit Abstand vom hektischen Internet?
Prospero 4. April 2007 um 0:47
Da gabs doch vor kurzem dieses Handy mit ausrollbarem Display… 😉
Ansonsten würde ich mir aber wirklich langsam Sorgen machen – 2 GB? Eine Seite? Selbst Digitalisierungsprojekte von Bibliotheken kommen vermutlich da nicht ran – glaube ich jedenfalls. Es sei denn sie digitalisieren Wiegendrucke oder das Evangeliar Heinrichs des Löwen. 😉
Ad Astra
ethone 4. April 2007 um 9:08
Becks wird hier in Bremen leider nicht mehr per Kutsche ausgeliefert, wurde 2005 eingestellt nachdem InBev die Brauerei übernommen hatte.
(Hint: aus Kostengründen)
Armin 4. April 2007 um 10:34
ethone, musst Du mir die schoenen Erinnerungen nehmen? 😉
Gibt\’s das Segelschiff denn noch? Ich bin jetzt doch zu lange weg von Bremen und Deutschland um das alles mitzukriegen. Und trinke inzwischen fast nur noch Ale weil mir Lager nicht mehr schmeckt.
Frank Meier 4. April 2007 um 10:35
genau, immer wieder der gleiche Tenor ? die Anzeigen sind tot, sagt der Blogger, die Zeitung ist tot, sagen die Autoren usw.
was man behaupten kann, das der Markt in Bewegung ist, das durch das Internet eine ernsthafte Konkurrenz entstanden ist, die dazu auch noch aktueller und schneller ist als jede Zeitung ist
aber, wie schon der Fernseher nicht das Radio verdrängt hat, wird es auch weiterhin viele Zeitungen geben; vielleicht nicht in dem Umfang wie heute,
ich denke mal an den Installateur der sich beim Bäcker die Bild zu seine belegten Brötchen holt, denn nicht jeder Bürger ist rund um die Uhr online,
ist für Menschen die täglich am Computer sitzen, schwer vorzustellen,
ein weiterer Punkt, der wahrscheinlich wichtigste, es fehlt dem Internet das \“lokale\“, nirgends kann ich mich besser über mein persönliches Umfeld umfassend informieren als in der lokalen Zeitung, sei es die gekaufte oder das kostenlose Wochenendblättchen
und wenn ich mal einen Blick in die Zukunft wagen darf, würde ich eher davon ausgehen, das ausgerechnet diese kostenlosen Wochenendblättchen einen starken Zuwachs erleben werden (inkl. der Anzeigen-Beilagen) und das es auf dem Gebiet der großen Tageszeitungen diverse Aufkäufe gibt, diese Zeitung wird sich überregional ausrichten und mit angepassten Lokalteil bundesweit erhältlich sein
Ralf Grabowski 5. April 2007 um 10:51
Ich glaube auch nicht, dass Zeitungen als Medium verschwinden werden. Allerdings wird vielen Zeitungen, vor allem den Lokal- und Regionalblättern, die Geschäftsgrundlage entzogen, weil immer mehr Anzeigen ins Internet und immer mehr Abonnenten zur Gruppe der Nicht-Zeitungs-Leser abwandern.
Wenn man sich die Auflagenentwicklungen ansieht, dann lässt sich derzeit folgende Beobachtung machen: die normalen Tageszeitungen erleiden Auflagenschwund, große Blätter wie die Zeit bleiben +- 0 oder verkaufen sogar mehr. Tendenz: Print wird zur Lektüre der Intellektuellen oder der Oberschicht (um das mal in ganz platten Worten zu sagen), alle anderen lesen online oder sie konsumieren Gratiszeitungen oder informieren sich in der Glotze.