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Das letzte Werk von Hunter S. Thompson, dem Drogen verschlingenden Gonzo-Journalisten, heißt „Football Season is over“. Er schrieb es kurz nach dem Super Bowl 2005 – dann erschoss er sich. Ganz so schlimm wirds bei mir wohl nicht werden.

Eine merkwürdige Atmosphäre, gestern Morgen, im Super Bowl Media Center. Schon der Shuttle Bus vom Hotel fährt nur für DPA und Handelsblatt, an den langen Tischen und in der Lounge mit dem Frühstück, wo auch ein Kicker und ein Billard-Tisch stehen, sind gerade mal ein halbes Dutzend Menschen anzutreffen. Kalt ist es, für den Abbau sind die großen Tore geöffnet, es zieht.


Die finale Pressekonferenz, wie immer ist Start 8.30, eine für deutschen Sportjournalisten unchristliche Zeit. Und das, wo doch die Colts als Gewinner so viel Wert auf Religiosität legen. Vielleicht noch 100 Leute sind gekommen um Siegertrainer Tony Dungy sprechen zu hören und den MVP (für Nicht-Sportler: der wertvollste Spieler des Spiels) Peyton Manning.

Dann darf Manning sich einen Cadillac aussuchen, nimmt aber nicht den sportlichen Roadster, sondern ein Familiengefährt: „Ich muss mir treu bleiben.“

Anschließend bleibt noch ein wenig Zeit für einen Spaziergang durch South Beach. Die Stadt scheint in ein tiefes Loch gefallen. Es windet, nur wenige Leute sind auf der Straße, Super-Bowl-Fanartikel werden bereits für die Hälfte offeriert – mit Ausnahme der Champions-Kappen und -T-Shirts.

Was also bleibt vom Super Bowl? Vor allem die Ehrfurcht vor einem Monster von Veranstaltung, das in einer Präzision organisiert ist, die ihresgleichen sucht. Sicher, es gibt das WM-Finale. Doch hat der Interview-Fischmarkt gestern wieder den Unterschied deutlich gemacht: Hier wird die Presse nicht als notwendiges Übel betrachtet, sondern als Verkaufsförderer. Und wenn die Presse sich wohlfühlt, fällt die Berichterstattung deutlich runder aus.

Doch es geht ja nicht nur um die Medien. Auch die Fans dürften sich nicht über mangelnde Organisation beklagen. Abgesehen vom Verkehr zum Stadion, natürlich. Alles am Super Bowl ist durchkalkuliert und durchorganisiert.

Vielleicht aber ist genau diese Reibungslosigkeit einer der Gründe, warum die Stimmung nicht mal ansatzweise mit europäischen Sportereignissen zu vergleichen ist. „You only got one song“, riefen die englischen Fans beim WM-Viertelfinale den Portugiesen entgegen. Was natürlich nicht stimmt. Sie hatten zwei Lieder. Am Sonntag Abend hätten englische Fans aber wohl ein kräftiges „You got no song“ angestimmt. Selbst bei einem Super Bowl ist „Defense go“ oder „Let’s go (hier bitte den Namen des Lieblingsteams einsetzen)“ das höchste der Gefühle.

Auch die Ligaorganisation in Europa ist mir lieber. Auch wenn mein Verein absteigen kann (war er ja gerade getan hat), so will ich doch davon träumen, dass er auch aufsteigen könnte, um mit den ganz Großen zu spielen. Die NFL dagegen ist eine geschlossene Gesellschaft, wer schlecht ist, spielt die Saison zu Ende und hofft auf das nächste Jahr.

Weil das so ist, wird die Berichterstattung über die NFL zum langsam anschwellenden Hype. Wer aus dem Kreis der Playoff-Kandidaten ausscheidet, ist nicht mehr wichtig. Bis es dann ins Finale geht, ist dieses schon so hochgeschrieben worden, als stünden die Truppen vor Waterloo und es gelte, die westliche Welt zu retten. Die zweiwöchige Pause zwischen Halbfinale und Finale sorgt dann dafür, dass am Ende die Themen ausgehen – es wird bizarr.

Der Super Bowl ist längst so überhöht, dass er droht, sich lächerlich zu machen. Schon längst zählen im Vorfeld die Partykultur und die lustigen Anekdötchen mehr als der Sport. Und hinterher gilt es Heldensagen zu singen, so schön und rührend, wie es vielleicht nur die Amerikaner können. Irgendwann in diesen Tagen las ich, leider weiß ich nicht mehr wo, die NFL sei etwas wie eine Soap Oper des Sports. Sie komme jede Woche ins Haus und arbeite zielsicher auf einen Höhepunkt hin. Die anderen Sportligen dagegen verwässerten mit ihrem aufgeblähten Programm die Marke.

Hinter all dem aber stehen immer noch Menschen. Und viele von ihnen nehmen den Super Bowl nicht als fiebriges Ereignis, sondern als großen Spaß mit. Zum Beispiel Kentucky.

Wie Kentucky wirklich heißt, tut hier nichts zur Sache. Wir saßen mit einer Gruppe von deutschen Journalisten auf der Rückfahrt vom Empfang am Donnerstag Abend, als es im Shuttle-Bus zu einem Geplänkel mit einem beanzugten Amerikaner kommt. „Wo kommt Ihr her“ und so weiter. Er kommt aus Kentucky und hat damit seinen Spitznamen weg. In Miami arbeitet er im Akkreditierungsbereich für die NFL.

„Ihr Deutschen trinkt doch viel, lasst uns noch einen trinken gehen“, lockt er. Doch einige Kollegen müssen noch schreiben. Nachdem wir uns anhören müssen, das sei aber sehr französisch, einigen wir uns auf den folgenden Abend, 8 Uhr, Treffpunkt Medienzentrum.

Wir sind dann auch da, von Kentucky aber keine Spur. Unsere suchenden Blicke bemerkt ein Ordner am Eingang. „Seid Ihr verabredet?“ Wir nicken. „Ach, er hat Euch schlecht beschrieben.“ Dann nimmt der Ordner sein Handy und ruft Kentucky an, der nennt uns den Weg zu einer irischen Sportbar.

Dort sitzt er mit seinen Freunden, allesamt Aushilfskräfte der NFL, wie sich herausstellt. Seit fünf Jahren kennen sie sich und treffen sich jedes Jahr beim Super Bowl. Den Rest des Jahres gehen sie anderen Berufen nach Kentucky ist Recruiter bei der Army (wir verkneifen uns die Politik an diesem Abend), Dana arbeitet in der Personalabteilung der Polizei von Los Angeles, Chris ist sogar extra aus England angereist.

Für zwei Wochen im Jahr lassen sie sich von ihren Arbeitgebern beurlauben und arbeiten, bestens bezahlt, wie sie zugeben, für die NFL. Und wer seinen Job gut macht, der wird im folgenden Jahr wieder angerufen. So baut sich die Liga ein Netz von zuverlässigen Kräften auf, die nicht allein wegen des Geldes anrollen, sondern weil sie Spaß daran haben.

An diesem Abend wurde das Monster Super Bowl wieder menschlich. Vielleicht ist dies das wirklich Besondere an dem einen großen Spiel: Hier hat eine wirtschaftlich orientierte Sportliga es geschafft, den Kommerz bis zum Letzten auszureizen – und doch beschwert sich niemand darüber, weil alle ihren Spaß daran haben.


Kommentare


Marco 6. Februar 2007 um 19:13

Das Oktoberfest in München funktioniert so ähnlich. Viele Kellnerinnen der Bierzelte und viele andere Mitarbeiter arbeiten schon seit Jahren zwei Wochen auf dem größten Volksfest der Welt und den Rest das Jahres in einem völlig anderen Beruf.

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Annabelle 7. Februar 2007 um 9:09

Kein Wunder, ist ja im Grunde auch die gleiche Veranstaltung

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