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Wenn Redakteure der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vorgeben, bei einem Artikel könnten Leser zuvor im Internet mitschreiben, erwartet jeder, dass dieses Experiment nicht so richtig glücken wird. Erschreckender ist: Es misslingt total. Gestern hätte ich mir fast das Müsli auf die Bettdecke geprustet. Weil ich gemütlich sonntäglichmorgenliegend frühstückte bei gleichzeitiger Lektüre der „FAS“. Und die druckten tatsächlich eine verschlimmbesserte Version jenes Weblog-Artikels, über den ich bereits am Freitag hergezogen war. Diesmal jedoch hatten sie mich erwähnt:

„Es gibt durchaus lesenswerte Journalistenblogs (beispielsweise beim Handelsblatt unter dem Titel „Indiskretion Ehrensache“, http://blog.handelsblatt.de/indiskretion), aber auch stark misslungene, in denen einzelne, verwaiste Beiträge vor sich hinschimmeln.“

Die Erwähnung des Handelsblatts in der „FAZ“ oder „FAS“ ist nun wahrlich ein besonderer Ritterschlag, denn die Frankfurter Kollegen zieren sich oft, uns als Quelle zu nennen. Trotzdem kann mich dies nicht in Sachen „Das können die alles nicht ernst meinen“-Erregung besänftigen.

Denn der Artikel strotzt vor Merkwürdigkeiten. Die Hübscheste hat Herr Stefanolix ja bereits in den Kommentaren meines ersten Beitrags entdeckt:

„So wanken nicht nur die ethischen Standards des Journalismus, sondern auch die erprobte Praxis, den Informationsfluss »bottom down« zu halten, also den Leser oder Zuschauer ausschließlich als Endverbraucher zu betrachten.“

Das mit dem bottom-down könnte aber vielleicht auch kein Fehler sein – sondern traurige Selbsterkenntnis, wie tief der Journalismus gesunken ist bei gleichzeitiger Publikumsbeschimpfung.

Denn jene Charakteristik des Journalismus, die professionelle Recherche und die Beherrschung der Sprache, lassen noch immer zu wünschen übrig – vor allem, wenn es um die Beschreibung dessen geht, was da im Internet passiert. So werden Wikis nicht nur „Wikis“ genannt, wobei die Anführungszeichen ja das journalistische Äquivalent zu „eher dubios“ sind, sondern sie werden allein als Lexika bezeichnet, die Wissen sammeln. Wikis aber sind vor allem eine Software – was damit gemacht wird, ist offen. So können über Wikis auch Terminpläne oder Meinungsmanifeste erschaffen werden.

Ähnlich bei Youtube und Flickr, die laut „FAS“ Bild- und Videotauschbörsen sind. Was die Frage nahe legt, welches Video denn der Kollege Harald Staun eingetauscht hat. Er schreibt weiter vorn in der gestrigen „FAS“ über neue Stars bei Youtube. Und wenn er die Videos gesehen hat, muss er ja dagegen etwas eingetauscht haben, auf dieser Tauschbörse. Diese Titulierung ist natürlich Unsinn.

Was die Recherche betrifft, greift die „FAS“ die immer wieder breit getretene Myspace-Mitgliederzahl von 150 Millionen auf. Mit ein wenig Recherche wäre zumindest ein zweifeliger Nebensatz angebracht.

Flickr dann aber als „ähnlich erfolgreich“ zu bezeichnen, ist wohl eine Frage der Definition. Denn nach eigenen Angaben zählt Flickr rund 3 Millionen Mitglieder, was von 150 Millionen jetzt doch ein kleines Stück entfernt ist. Aber was zählen schon 147 Millionen Mitglieder, wenn dem Schreiber ein passender Übergang fehlt?

Dass in Frankfurt manche Zeitläufte anders bewertet werden, als im Rest der Republik war ja am Freitag schon in Sachen StudiVZ feststellbar. Ebenso ärgerlich aber ist die Behauptung, die Jung-von-Matt-Klowandaffäre sei nur ein Sturm im Wasserglas gewesen. Ach ja? Dauerhaft festgehaltene böse Beiträge, die Google recht früh für suchende Agenturkunden-in-spe ausspuckt, sind mehr als Historie, sie sind eine bleibende Schädigung des Unternehmensimages. Und immerhin ist die Geschichte noch so präsent, dass „FAS“-Autoren sich ihrer noch erinnern.

Immerhin liefert der Artikel einen kleinen Einblick in den Redaktionsalltag des gedruckten Blattes:
„Redakteuren von Printmedien ist es in Fleisch und Blut übergegangen, einen Text nicht aus der Hand zu geben, bis er fix und fertig im Blatt steht.“

Ach? Heißt das, Texte werden in Frankfurt nicht von einem zweiten Redakteur gegengelesen, so wie es in den meisten Redaktionen der Republik inzwischen normal ist? Das wäre aber mal eine Erkenntnis, die von einer gewissen Rückwärtsgewandtheit zeugen würde.

Nun kann man über all das, was da im Netz so passiert, ja wahrlich unterschiedlicher Meinung sein. Leider aber währen die Autoren am Ende einen feigen Ausweg. Der Artikel endet in der gedruckten Version so:

„Für den Wissenschaftsjournalismus bedeutet das: Der Leser darf gern mitschreiben. Aber ein wenig Expertise sollte er schon mitbringen.“

Ach, über den Wissenschaftsjournalismus reden wir? Warum sagt mir das keiner auf den drei Seiten zuvor? Nein, dieses plumpe Abdrehen vom mutigen Stehen zu seiner Meinung ist einfach traurig.

Vielleicht aber ist es Ergebnis einer internen Wende. Denn während die erste Version des Artikels im Netz als Autoren Jochen Reinecke und Ulf von Rauchhaupt nannte, verschwand Letzterer inzwischen aus dem Netz. Im Gedruckten taucht er wieder auf – zusammen mit Jörg Albrecht. Was ist denn da passiert?

Na, egal, immerhin hat die „FAS“ uns alle nicht als Kriminelle beschimpft. Das überlassen die Frankfurter den sich ebenfalls mit Inkompetenz besudelnden Kollegen der „Süddeutschen Zeitung“. Der Artikel ist so dumm, dass ich keine Lust habe darauf einzugehen. Alles Weitere beim Herrn Alphonso.

Nachtrag: Gerade stoße ich erst auf einen Blog-Eintrag, der sich mit einem Beitrag aus der „FAZ“ beschäftigt. In diesem demonstriert eine freie Journalistin (mit der ich schon zusammen gearbeitet habe, und dich ich eigentlich schätze) eine bemerkenswerte Auffassung von Blog-Texten. Vielleicht steckt dahinter doch eine extreme und fast schon strategisch gesetzte Abneigung der „FAZ“ gegen Blogs?


Kommentare


Erik 29. Januar 2007 um 10:23

Das klingt nach einem traurigen Sonntagmorgen. Irgendwie so Haare suchend in der Suppe.

Kann aber auch an meiner Montagsmelancholie liegen.

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Stephan Fröhder 29. Januar 2007 um 10:31

Die Merkwürdigkeiten, die die FAZ zum Thema Web 2.0 etc. produziert, nehmen offenbar kein Ende… Bemerkenswert ist aber der Mut, mit dem man über Themen schreibt und urteilt, die selbst für den engagierten Blogger nicht leicht einzuschätzen sind.

Ohne die sich abzeichnende Krise der Printmedien und den dort gleichzeitig fortschreitenden Qualitätsmangel wäre die Frage nach der möglichen Konkurrenz aus den Blogs für die \’klugen Köpfe\‘ aus Frankfurt ganz uninteressant. Die spekulativen Diagnosen über die Zukunft des Internet jedenfalls sind für die große Tageseitung kein Ruhmesblatt. Was man in Frankfurt jetzt lernen könnte: Vom Leuchtturm aus lässt sich die Wasserqualität im Meer nicht gut untersuchen. Wenn dann auch noch Nebel herrscht….-)

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Jung-Ewig-Sucht 29. Januar 2007 um 10:32

Es ist nur eine Sonntagszeitung. Die ist heute wieder vergessen und alt. Aber schon schade wie sich das alles entwickelt.

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Carone 29. Januar 2007 um 12:27

Wieso darf denn der Leser gerade beim Wissenschaftsjournalismus mitschreiben? Soll da vielleicht die fehlende Expertise der Redaktuere kostengünstig durch die Expertise eines geeigneten Lesers/Wissenschaftlers ergänzt werden? Ein Schlem wer Böses dabei denkt 🙂

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Stefan Niggemeier 29. Januar 2007 um 13:32

Ich würde davor warnen, hinter einer solchen Häufung von Artikeln gleich eine Strategie zu vermuten.
Jedenfalls (und weil oben ja auch viele Kleinigkeiten bemängelt werden, die man \“mit ein wenig Recherche\“ anders hätte schreiben müssen) kann man aus Harald Stauns Artikel sicher nicht schließen, \“dass in Frankfurt manche Zeitläufte anders bewertet werden\“. Harald Staun sitzt in Berlin. Aber was zählen schon 500 Kilometer, wenn dem Schreiber ein passender Übergang fehlt?

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Thomas Knüwer 29. Januar 2007 um 13:54

Ich fürchte die Ironie hinter der Bemerkung einer Strategie ist nicht übergekommen…

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Kai Sender 29. Januar 2007 um 14:10

Vielleicht ist eine gewisse Abneigung der Frankfurter damit zu erklären, dass die meisten Blogs…nun ja, überflüssig sind.

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7an 29. Januar 2007 um 14:57

verstehe nicht, was an graffs artikel kritisiert wird. dass er den usern diebstahl statt urheberrechtsverletzung unterstellt? who cares? wer hat sich nicht schon illegal etwas kopiert? ob nun cds oder dateien. kümmert mich doch nicht, ob das nun als diebstahl, urheberrechtsverletzung oder vervielfältigung gesehen wird. ist alles mehr oder weniger richtig – je nach sichtweise und argumentation.

der artikel ist einfach ein solides erklärstück und stellt obendrein ja auch noch die ganzen reden der musikindustrie in frage? also wo ist das problem? wird graff kritisiert, weil er in einem satz von einer epidemie spricht und das böse klingt? wortklauberei. das ganze netz ist eine einzige epidemie, ein einziges virus. ich bin auch infiziert. und mir gefällt\’s.

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chefkoch 29. Januar 2007 um 19:36

Der Artikel ist langatmig und langweilig udn zeigt nichts Neues auf. Vor allem begehendie Autoren aber mal wieder den Urfehler, das WWW mit Internet gleichzusetzen. Dass WWW ist ein TEIL des Internets, genauso wie das Usenet, über das sie auch schreiben. Manche Dinge bekommt man irgendwie nie aus den Köpfe der DAUs raus 😉

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LBK 30. Januar 2007 um 13:51

Ich kann nur schwer verstehen, wieso die Emotionen über die Versuche der FAS hier so hochkochen. Es wird eben noch eine Weile dauern, bis die Printmedien ihren Weg des Umganges mit den Möglichkeiten des Web 2.0 gefunden haben. Das Vorgehen der FAS werte ich in diesem Zusammenhang als interessanten Versuch.

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niels | zeineku.de 30. Januar 2007 um 16:02

Chefkoch: Wenn wir schon präzise die ganzen Protokolle herumschubsen – Usenet ist nicht Teil des Internets, sondern wird zum Teil über das Internet transportiert.

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nix! 31. Januar 2007 um 16:05

Haha! Sehr gut! Jetzt ist der Chefkoch aber wieder kleinlaut an die Herdplatte zurückgeilt!

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mario 2. Februar 2007 um 16:20

Unterm \“Ich-bin-Blogger-und-sowas-von-2-PUNKT-0\“ Mäntelchen \“die Kollegen\“ (also doch \“Journalist\“?) von der FAS/FAZ anspucken: langweilig und lächerlich.

Und widersprüchlich. In sich.

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Thomas Knüwer 2. Februar 2007 um 21:54

Das kann man auch anders ansehen: Mancher Print-Redakteur spuckt unter dem Mantel des Journalismus Blogger an.

Es geht hier nicht um anspucken. Es geht hier um eine nötige und hart zu führende Diskussion. Die Krise der Printmedien hängt unmittelbar zusammen mit ihrem Unverständnis über das Internet.

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