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Haben Sie kein Mitleid mit mir, lieber Leser. Ich bin selbst schuld. Selbst schuld, dass ich ein soziopathes, irres Wesen bin, ein Windmühlenflügelbekämpfer, der die Ausweglosigkeit seines Tuns nicht erkennt, der sich vergräbt in einer virtuellen Identität. Ich bin Schmutz, ich bin es nicht wert, ernst genommen zu werden. Behauptet ein Professor aus Calgary. Wer viel im Internet unterwegs ist und darüber mit anderen Menschen spricht, die sich weniger dort tummeln, stößt schnell auf Vorbehalte. Wer seine Freizeit im Netz verbringt, so sagen viele, der könne ja nicht ganz dicht sein. Auf jeden Fall aber hat er keine Freunde. Er ist das, was der Amerikaner als Nerd oder Geek bezeichnet, übergewichtig, mundfaul, mit dicken Brillengläsern vor den Augen. Mit so einem, das ist klar, möchte man nichts zu tun haben.

Wer dann aber Menschen trifft, die beispielsweise Blogs schreiben, so auf Lesungen. Der ist überrascht. Sie sind nicht fetter als der Bundesdurchschnitt, dafür aber witzig, schlagfertig redegewandt, meist gut in ihrem Beruf und von ordentlicher Bildung, die meisten sind in ihrem privaten Umfeld das, was man Marketing-Leute als Meinungsführer bezeichnen. Kurz: Sie sind die Traumzielgruppe aller Werber.

Ich weiß nicht, wie oft Michael Keren, Professor an der Uni Calgary im Internet unterwegs ist und was er da so tut. Auf jeden Fall aber hat er ein Buch geschrieben. Es heißt: „Blogosphere: The New Political Arena“. Und es ergeht sich, zumindest wenn man das aus einem Interview mit Cnews schließen kann, in den altbekannten Vorurteilen:

„But Michael Keren, who has written „Blogosphere: The New Political Arena,“ suggests individuals who bare their souls in blogs are isolated and lonely, living in a virtual reality instead of forming real relationships or helping to change the world.“

Das Grundproblem scheint zu sein, dass Keren glaubt, Blogger schrieben nicht, weil sie das Schreiben mögen, sondern weil sie unbedingt gehört werden wollen:

„Many of us end up like Father McKenzie in the ‚Eleanor Rigby‘ Beatles song, who is writing a sermon that no one is going to hear,“ he suggests. „Some of us are going to be embraced by the mainstream media, but the majority of us remain in the dark, remain in the loneliness.“

„In this world of blogging, which the whole world can read, you have a personal expectation about a readership that’s just not there for the millions of bloggers who are writing their personal feelings.“

Wo er die Blogger gefunden hat, die fanatisch auf ihre Klickraten starren, wüsste ich auch gern. Die meisten tun das nicht.

„Bloggers think of themselves as rebels against mainstream society, but that rebellion is mostly confined to cyberspace, which makes blogging as melancholic and illusionary as Don Quixote tilting at windmills.“
Sich deprimieren, weil der eigene Kampf zu nichts führt. Mal abgesehen davon, dass die wenigsten Blogger davon deprimiert werden – woran erinnert mich das? Ach ja, Professoren. Die schreiben auch ständig irgendwas, und niemand mag auf sie hören. Professoren, sagen manche, sind doch nur schlecht gekleidete, überernährte Wesen, die sich in einer Scheinwelt vergraben und die zu nichts zu gebrauchen sind. Ich glaube, Michael Keren ist ein bemitleidenswerter und sehr trauriger Mensch. Bloggt er eigentlich?

(Gefunden bei Micro Persuasion)


Kommentare


Peter Turi 31. Januar 2007 um 17:45

>>> Sie sind nicht fetter als der Bundesdurchschnitt.

Bist Du sicher? Ich meine, klar, wenn man Dich mit rein nimmt, wird\’s im Durchschnitt schon hinkommen mit dem Durchschnitt. Aber Deutschland führende Motzblogger N., M. und S. sind für ihr Gewicht sicher eine Elle zu klein geraten. 😉

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Florian 31. Januar 2007 um 21:10

Hihi. Eigentor des Monats.

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Thomas Knüwer 31. Januar 2007 um 23:24

Fanatisch ist doch wohl anders.

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GHLing 1. Februar 2007 um 8:58

Seitdem wir wissen, dass das Internet aus Röhren besteht sollte uns doch gar nichts mehr wundern.
Ich bin geneigt, den Herrn Professor als das zu titulieren, was im Internet gerne \“Troll\“ genannt wird. Aber irgendwie fürchte ich, er glaubt, was er schreibt.

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herbert 1. Februar 2007 um 9:22

Nun damit hat der gute Professor jetzt einem Kollegen eine Steilvorlage geliefert, um in einer neuen Expertise zu beweisen, dass dies so alles nicht stimmt. Wer nimmt als Erster den Fehdehandschuh auf, um Geld zu verdienen.

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Chat Atkins 1. Februar 2007 um 10:52

Bitte kein Neid! Ist es denn nicht schön, wenn einem die Vorurteile als Wissenschaft bezahlt werden?

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Loriotta 2. Februar 2007 um 9:00

Lustig, wärend ich Ihren Artikel las, fragte ich mich, ob der Professor wohl selber bloggt? Und dann Ihr Schlusssatz…

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Detlef Borchers 2. Februar 2007 um 10:49

Na, na, das war wohl so: Der gut Mann hat ein Buch über Akademiker geschrieben. Wie isoliert sie in ihrem Elfenbeinturm sind und so. Wie sie ihre Wahrheiten nur aus Büchern saugen. Das Buch verkaufte sich nicht. Also machte er sich an eine große Search and Replace-Aktion. Was mit Bloggern läuft immer.

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