Die Debatte und Berichterstattung um das Hinrichtungsvideo von Saddam Hussein demonstriert in erschreckender Weise, wie manche Berufskollegen verlernt haben, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Der Kollege Niggemeier ist so schockiert, dass er schon einen offenen Brief, pardon, eine offene Mail schreibt. An einen der Kommentatoren, die sich erzürnen ob der Veröffentlichung des Saddam-Hinrichtungsvideos.
Der Adressat, Stefan Kornelius, Außenpolitik-Chef der „Süddeutschen Zeitung“, hat geantwortet. Das mit der „Seuche Internet“ habe sich ja nur auf die negativen Seiten bezogen, schreibt er. Nun ist Sprachklauberei ja immer so eine Sache, in einem Kommentar der „SZ“ aber würde ich eine stärkere sprachliche Differenzierung schon erwarten.
Auch Kornelius aber schafft es nicht, zu differenzieren zwischen dem Einzelfall Saddam und den Folgen der neuen Medienmöglichkeiten insgesamt. Damit ist er nicht allein: Überall wird beschrieben, wie schändlich es ist, eine Hinrichtung zu filmen. Doch gleichzeitig hat kein Medium Probleme damit, die Inhalte dieser Bilder für die eigene Analyse zu nutzen. Kornelius selbst schreibt ja sogar:
„Die Aufnahmen sind Zeugnis davon, wie entwürdigend der Tod Husseins war“
Und ohne das Video? Der „Guardian“ zitiert, was wir dann gehört hätten:„On Saturday Iraq’s national security adviser, Mouwafak al-Rubaie – who had attended the execution, kept up the official fiction with a highly misleading account of Saddam’s death.
„He was respected throughout, when he was alive and when he became a body, before and after the execution,“ Mr Rubaie told Sky News and Fox News. „We followed methodically the international standards and Islamic standards … every ‚t‘ was crossed and every ‚i‘ was dotted.““
Wüsste die Welt von diesen Umständen ohne das Video? Wer würde die Umstände der Hinrichtung als Symbol der wackelnden Regierung des Irak werten können? Die Hinrichtung der anderen Saddam-Getreuen ist derweil aufgeschoben – wegen des Videos.
Gehen wir noch weiter: Die „FAZ“ erinnert an das Massaker von Srebrenica und schreibt über den mangelnden Aufarbeitungswillen der Justiz. Wäre der nicht erheblich höher, entstünde durch Videobilder öffentlicher Druck?
Es zeugt von der politischen Denkhaltung vieler Journalisten in Politik-Ressorts, gerade den Hauptstadt-Kollegen, dass sie die Veröffentlichung des Videos als Intrige der Gegner einer demokratischen Regierung im Irak werten. Aber wer weiß das schon? Nicht jeder überlegt in jedem Moment, was seine Handlungen bewirken. Er hält sie aber in diesem Moment für richtig. Wie hätte wohl der Widerstand gegen Hitler ausgesehen, hätten die Handelnden sich ständig gefragt, wie Schritt 4 aussieht, bevor sie Schritt 1 machen? Polit-Schreiber haben diese Denke verinnerlicht: Sie fragen sich vor jeder Zeile inzwischen, das bestätigen mir Kollegen immer wieder, wer wohl bei dieser oder jenen Bemerkung vergrätzt werden könnte.
Solche eine Haltung hat wohl keine Zukunft mehr. Das sieht anscheinend ein anderer „SZ“ler auch so. Andrian Kreye, zum Beispiel. Er schreibt: „Es zeichnet sich eine mit den Mitteln der digitalen Medien bewerkstelligte Umkehrung der Machtverhältnisse ab, die dem totalen Überwachungsstaat des digitalen Zeitalters eine totale Überwachung von unten entgegensetzt.“
Nachtrag: Zu Kornelius eine wunderbare Formulierung, vor der ich mich ehrfurchtsvoll verneige, aus dem Hause Lobo (gefunden bei wirres.net):
„[Das Internet] ist eine Erfindung. Eine Kulturtechnik, nicht ein Inhalt. Wer es verdammt, weil er etwas Schlechtes darin gefunden hat, wird auch Schall verbieten wollen, wenn es donnert.“
Kommentare
eggbert 4. Januar 2007 um 11:48
Nein, mit Verlaub, die Argumentation Schall-Donner ist ein ganz billiger Trick: Jeder weiß, dass man weder Donner noch Schall verbieten kann, und durch die Gleichsetzung werden Internet-Kritiker quasi als \“gegen Naturgewalten anschimpfende\“ Tölpel lächerlich gemacht. Das mögen sie vielleicht verdient haben, aber zur Sache trägt das nichts bei, meiner Meinung nach.
Richtig wäre meines Ermessens:
Das Internet ist eine Kulturtechnik, nicht ein Inhalt. Verdammt und verboten gehört nicht seine Existenz, sondern eine unangemessene Benutzung, genauso wie nicht der Schall verboten ist, sondern die Ruhestörung.
Und, am Rande: Ich finde Herrn Kornelius Ausspruch nicht unbedingt so falsch. Die einen jubeln etwas überzogen über \“virales Marketing\“ und \“epidemische Akquise\“, die anderen schimpfen etwas überzogen über \“das Internet mit seinen Möglichkeiten, eine schlechte Sache unkontrollierbar und unaufhaltsam wie eine Seuche zu verbreiten\“.
7an 4. Januar 2007 um 13:03
hin oder her: kornelius unvorsichtige formulierung enthält eine botschaft. man mag es drehen und wenden wie man will, so ganz abschütteln werden sich unterton und nachgeschmack nicht lassen.
und auch kornelius\‘ frage, wie verkommen eine gesellschaft sein müsse, \“in der selbst die Exekution des verurteilten Schergen zum billigen, rohen Spektakel gerät\“, lässt die sensationslüsterne natur des menschen außer acht. warum sollten wir 2007 besser sein, als zu zeiten des circus maximus?
ps: den ersten kommentar bitte löschen. habe ihn unfertig abgeschickt.
Adhominem 4. Januar 2007 um 14:57
Was ich nicht verstehe ist, dass man den Eindruck bekommt, dass sich in der westlichen Welt, oder zumindest in deren Medien, mehr über die Veröffentlichung des Videos aufgeregt wird als über die Dinge, die es zeigt. Ist der eigentliche Skandal denn nicht die Entwürdigung eines zum Tode verurteilten?
Wenn ich, nur als Beispiel, die Stellungnahme der britischen Regierung höre, dass dieses Video nie hätte veröffentlicht werden dürfen, dann Frage ich mich, warum es denn nicht heißt, dass die Entwürdigungen nie hätten geschehen dürfen? Und wenn die FAZ schreibt, dass das Video die Konflikte im Irak anheizt, dann frage ich mich, ob es nicht eher die Geschehnisse während der Hinrichtung sind die die Aggressionen schüren.
Warum wird das Medium verurteilt und nicht die Tat? Heißt das nicht im Umkehrschluss, dass Menschen- und Grundrechtsverletzungen in Ordnung sind, solange man sich nicht erwischen lässt?
Sascha Stoltenow 4. Januar 2007 um 15:37
Die britische Regierung hat recht. Denn sie hat strukturell – wie eigentlich alle Regierungen – die gleiche Besorgnis, ihre Macht zu verlieren, wie Saddam. Es gab bzw. gibt immer noch den unausgesprochenen Konsens aller Regierenden, das auch Tyrannen nicht zu töten sind, weil man sich nur so davor schützen kann, selbst durch Tyrannen getötet zu werden. Die potentielle Umkehrung der Machtverhältnisse (nicht etwa weil die Menschen mehr wissen – sie meinen nur mehr und öffentlich) ist die Seuche, denn sie geht mit einem Machtverlust all der Flintenspanner in den Politik-Ressorts einher, die so gerne rufen: \“Vortrefflicher Schuß, Euer Majestät!\“
SvenS 4. Januar 2007 um 16:21
@Adhominem
Warum das Medium verurteilt wird? Große Teile der Bevölkerung (inkl. sog. Eliten) haben vor diesem \“neuen \“ Medium Angst weil sie es nicht verstehen und nicht mit althergebrachten Methoden beeinflussen/kontrollieren können. Speziell in Deutschland wird eine Kultur der Technikfeindlichkeit gepflegt. Da wird schon fast mit Stolz berichtet das man seinen Videorekorder nicht programmieren kann (und das das wegen schlechter Doku wirklich schwierig war ist schon mehr als 10 Jahre her) oder das man keinen Reifen wechseln könne oder eben das man sich mit dem PC Kram überhaupt nicht auskennt. Und das beschränkt sich erschreckenderweise nicht auf ältere Semester im Rentenalter, sondern auch auf Leute die noch deutlich unter 40 sind. Dazu kommt die Angst. In der Zeitung oder im Fernsehen wird an prominenter Stelle über die Risiken und Gefahren des Internets berichtet. Keine Woche vergeht in der nicht über ebay Abzocke, Phishing und natürlich Kinderpornografie berichtet wird. Das die meisten Risiken im Internet durch schlichte Anwendung des gesunden Menschenverstandes zu vermeiden bzw. wesentlich zu verringern sind wird dabei der Sensation zuliebe gerne ausgelassen. Übrig bleibt das Bild des Internets das die einen für ein rein kommerzielles Medium halten, sozusagen eine Art exklusiver Dauerwerbekanal für die Wirtschaft und die Anderen für die Fortsetzung des \“Unterschichtenfernsehens\“ in dem es ausschließlich um Lug, Betrug und (Kinder)Pornografie geht. Die Betrachtung als wertfreies Medium, das ist was man daraus macht geht dabei völlig unter. Auf der Seite der Funktionsträger und Mächtigen der Gesellschaft kommt zu dieser Angst aus Unwissenheit noch die Angst das es sich um ein nicht kontrollierbares Medium handelt. Kann man den Chefredakteur/Herausgeber einer Zeitung/Verlag/Fernseh/Radiosender noch unter Druck setzen, im Zweifel z.b. bei politischen Themen mit der Drohung dem Blatt/Sender eben keine Informationen mehr zu geben, ist das beim Blogger/Website/Forumsbetreiber schon schwieriger solange keine juristisch anfechtbaren Aussagen getroffen werden. Und in dieser undurchsichtigen Gemengelage gekennzeichnet durch Unwissenheit, Angst und Abwehrhaltung wird das Medium als solches Angegriffen und die eigentliche Tat/der Hintergrund gerät völlig aus dem Fokus. Man hat die Büchse der Pandorra mit dem Internet geöffnet. Für die Wirtschaft heute schon unverzichtbarer Kommunikationskanal lässt es sich nicht mehr abschaffen. Leider können nun aber auch die Kunden und Wähler ihre Meinung kundtun. Nicht nur mit vorsortierten und gekürzten Leserbriefen die im Zweifel ohnehin nur Regional gelesen werden und nachdem die Zeitung weggeworfen sind sowieso aus der Öffentlichkeit verschwunden sind. Versuche wie die Idee die Identität jedes Mailpostfaches per Legitimation zu bestätigen zeigt das völlige Unverständnis der technischen Gegebenheiten der politischen Kaste. Versuche Namen und Begriffe aus Berichten herauszuhalten bzw. die Berichte verbieten zu wollen weil diese im Google Ranking über der eigenen Präsenz stehen zeigen das es bei Ämtern und Firmen auch nicht besser bestellt ist.