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„Werch chats echfundön?“ fragen die in der Ricola-Werbung immer. Vielleicht wäre es Zeit für einen Youtube-Werbespot für Weblogs. Da würde dann gefragt: „Wer hats gefunden?“ Und ein Chor der Internet-Nutzer würde gregorianisch antworten: „Die Blogger“. Zum Beispiel in Sachen Google und Youtube. Das Weblog Techcrunch zählte bisher nicht zu meiner Standardlektüre – man kann ja nicht alles lesen. Jetzt aber ändert sich das: Denn es war eben nicht das „Wall Street Journal“, das als erster von den Gerüchten um Google und Youtube Wind bekam – sondern Techcrunch.

Und auch die Verbreitung leisteten nicht klassische Medien, sondern Blogger. Es dauerte rund neun Stunden zwischen dem ersten Auftauchen der Meldung über Verhandlungen und dem Artikel in der Online-Ausgabe des „Wall Street Journal“. Neun Stunden sind für die Internet-Szene verdammt lang, für ein klassisches Medium verdammt schnell – was darauf hindeutet, dass die Kollegen vom „WSJ“ auch davon gehört hatten, aber noch nicht genügend Fakten hatten, um es zu schreiben. Vielleicht fühlten sie sich gar durch die Techcrunch-Meldung unter Druck gesetzt.

Erst berichten Weblogs, dann die klassischen Medien – diese Situation werden wir ab jetzt sehr viel häufiger erleben – vor allem bei Nachrichten rund um den Technikbereich, aber auch in Sachen Wirtschaft und Finanzen.

Eine reine Frage der Mathematik: Es gibt mehr Blogger als Journalisten. Und unter den Bloggern gibt es eine große Zahl gut Informierter mit Branchenwissen. Die unterliegen nicht der redaktionellen Pflicht, eine Geschichte erst „hart zu recherchieren“ – sie können auch schreiben, dass ein Gerücht im Umlauf ist. Nicht immer muss die Einschätzung dabei richtig sein. Techcrunch, zum Beispiel, tat das Gerücht in Sachen Google-Youtube als Gerücht ab, selbst als „WSJ“ und „New York Times“ schon berichteten. Was das Blog und die Zeitungen unterscheidet: Techcrunch legte seine Quellenlage offen.

Diese neuen Reihenfolge kann Angst machen – wenn man Blogger weiter für eine durchgeknallte Masse Internet-Freaks hält, die sich ungefähr so gut unter Kontrolle haben wie Zinedine Zidane, kommt das Gespräch auf Familienangehörige.

Dokumentierte Angst versprüht zum Beispiel Christian Zechel, anscheinend Arzt und langjähriges Mitglied der Deutschen Gesellschaft für PR. Für das Portal Web.de verfasste er einen Text, dessen Forderung politisch gesehen besser nicht interpretiert werden sollte, sonst landen wir in ganz bösen Untiefen:

„Was der Blogosphäre jedoch fehlt, ist die ?ordnende Hand?, die dafür sorgt, dass Blogger nicht über das Ziel hinausschießen. Überspitzungen von Gerüchten sind derzeit noch Tür und Tor geöffnet, denn auch eine Geschichte mit eher diskutablem Wahrheitsgehalt erhält eine gewisse Dynamik, wenn sie nur von genügend Stimmen erzählt wird. Solange dieses Glaubwürdigkeitsdefizit weiter besteht, können die Blogger nicht in Konkurrenz zu den etablierten klassischen Medien treten.“
(Gefunden bei wirres.net)

Ersetzen wir in diesem Artikel mal „Blogger“ durch Journalisten und „Blogosphäre“ durch „klassische Medien“ und dann… Ach nein, das wird mir zu eklig.

Die neue Zeitrechnung der Nachrichtenentstehung bedeutet vor allem einen gehörigen Wandel für uns Journalisten. Denn wir müssen nun auch Weblogs lesen, zusätzlich zu den Nachrichtenagenturen und den Zeitungen und den Zeitschriften und den Fachmagazinen. Und: Wir müssen Weblogs zuerst am Morgen lesen, vielleicht parallel zu den Agenturen.

Um das zu realisieren, müssten die Kollegen Blogs aber erst mal ernst nehmen. Gestern im Laufe des Tages stritt ich mich (freundschaftlich natürlich) mit unserem Ressortleiter Unternehmen & Märkte, Marcello Berni. Für ihn ist der Youtube-Kauf der Beginn einer neuen Blase. Weil sich eben nicht rechnen lässt, was Google da ausgibt. Und so führte er einen Analystenbericht von JP Morgan an, laut dem Youtube in diesem Jahr nur 13,5 Millionen Dollar umsetzt und einen Verlust von 9,5 Millionen einfährt.

Ich dagegen konterte mit einer schlichten und für mich sehr logischen Rechnung der möglichen Anzeigenerlöse, aus dem Weblog Hip Mojo. Und nach der läge die Umsatzrendite von Youtube irgendwo bei 70 bis 80 Prozent.

Wer hat Recht? Mit ein wenig rumrechnen, scheint mir die Auflistung von Hip Mojo logischer, ebenso wie die Annahme, dass Youtube schwarze Zahlen schreibt.

Viele Journalisten nehmen Weblogs und andere Formen dessen was man User Generated Content nennt noch immer nicht ernst. Das liegt auch an mangelnder Kenntnis. So erklärt sich auch eine Zeile aus der heutigen, langen Geschichte in der „Financial Times Deutschland“, die übertitelt ist mit „Hype 2.0“ (leider nur gegen Bezahlung zu lesen). Dort heißt es über Youtube:

„Die Inhalte sind bunt, bizarr und oft sinnentleert: Oft singen Jugendliche ihre Lieblingssongs Playback. In einem Video schießt Cola Light wie ein Geysir in die Höhe, nachdem ein Hobbyregisseur ein ,Mentos‘-Bonbon…“

Kurze Unterbrechung, liebe „FTD“-Kollegen. Ist das Mentos nur ein sogenanntes „Mentos“ oder warum setzt Ihr ein Produkt in Anführungszeichen? Aber das nur nebenbei…

„…in die Flasche geworfen hat. Ein 79-jähriger Brite namens Peter wurde zum Star, weil er in einem Video erklärte, dass er Youtube-süchtig sei.“

Man könnte aber auch sagen, dass Lynne & Tessa weit unterhaltsamer und lustiger sind als Comedy auf RTL, die Mentos-, pardon, „Mentos“-Nummer fatal an die Knoffhoff-Show erinnert, und die anrührenden Erzählungen von Geriatric1927 bewegendes Reality-TV sind. Aber dafür müsste man sich bei Youtube ja umsehen und nicht nur von „Spiegel“ & Co abschreiben. Und wenn man so ein wenig durch das Youtube-Universum gleitet, könnte man Nachrichtensendungen entdecken, Politiker-Interviews und längst nicht mehr erhältliche Kulturperlen (in der Spalte unten rechts auf Videos gehen).

„Wer soll das alles lesen?“, fragen mich dann Kollegen. Und die einzige Antwort lautet: „Wir. Auch wenn’s Mühe macht. Das Leben ist kein Ponyhof – erst recht nicht in den Medien.“


Kommentare


Jörg Weisner 11. Oktober 2006 um 12:23

Gut geschrieben.
Ich spüre selber, wie das Bloggen und Lesen von Blogs meine Medienverhalten langsam aber sicher ändert.
Die lokale Zeitung, über Jahre morgens meine bevorzugte Frühstückslektüre, habe ich in den letzten Monaten höchstens einmal die Woche zur Hand genommen.
Die Beiträge auf meinen Blogline-Blogs sind einfach spannender. Sie behandeln genau die Themen, die mich interessieren.
Die Liste selbst ist ständig im Wandel. Neue Blogs kommen hinzu, alte, langweilige oder nicht mehr für mich relavante, werden gelöscht.
Genau diese Möglichkeiten hat die klassische Presse nicht.
Und was Youtube angeht. Auch das entdecke ich immer mehr. Habe erst heute morgen eine sehr schönes Saxophon-Video entdeckt, welches ich heute Abend auf mein eigenes Blog stellen werde.
Also auch hier, weg vom klassischen Fernsehen …

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andré kühnlenz 11. Oktober 2006 um 13:02

oh, ein noch nicht zugespitztes gerücht:
„Christian Zechel, anscheinend Arzt und langjähriges Mitglied der Deutschen Gesellschaft für PR“

im ernst: wer unbedingt eine hand in der blogospäre sucht, könnte sich überlegen, von „unsichtbarer hand“ zu spechen, die doch wieder alles ordnet, fehler korrigiert usw…

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PR Blogger 11. Oktober 2006 um 14:03

Wie wäre es mit der „unsichtbaren Hand“ des Marktes… Gelesen wird eigentlich nur, was sichtbar wird, weil andere darauf verweisen. Einen Zensor brauchen wir deshalb nun wirklich nicht.

Natürlich kann und muss niemand alles online lesen, aber dank Tagging und RSS lassen sich Informationskanäle einrichten, mit der sich bestimmte Themen sehr gut zeitnah in einem Feedreader abbilden und somit rezipieren lassen.

Trotz der Vielzahl an Büchern und anderen Printprodukten, die wir jederzeit online und offline kaufen können, stellt niemand das Konzept „Buch“ und „Print“ per se in Frage. Wer soll alle Bücher, Zeitschriften und Zeitungen denn lesen. Niemand. Stattdessen lohnt es sich, nach dem eigenen Interesse vorzugehen und auszuwählen.

Ich kann allen Journalisten nur raten, lernen Sie Technorati.com kennen und nutzen Sie es für Ihre Recherche. Sie werden staunen, was Sie dort alles finden und wie schnell sie auf dem Ponyhof „reiten“ können.

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Frank Huber 11. Oktober 2006 um 16:31

Klingt alles toll – nur wer bezahlt dann in Zukunft ihr Gehalt, Herr Knüwer? Denn das Handelsblatt lebt von seinen Printverkäufen und nicht vom Web 2.0 – und das hat bisher kein deutscher Verleger gemeistert. Geschweige denn einen Cent damit verdient.

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spaetburgunder 11. Oktober 2006 um 20:06

@ Frank: Wer sagt denn, dass wegen dem Web2.0 Zeitungen nicht mehr gelesen werden? Vielleicht ändert sich der Zugangsweg – aber schon jetzt kenne ich genügend Leute, die Geld bspw. für ein Spiegel-Dossier ausgeben (ob es das wert ist – das ist eine andere Diskussion). Auf jeden Fall: Die Modelle sind da, sie funktionieren und werden genutzt. Sicherlich noch zu wenig – aber das wird sich entwickeln.
Das ist das Eine. Andererseits werden sich die Medien verbreitern – das ist einfach so, das hatten wir die vergangenen zehn Jahre, das wird weitergehen. Also – ich glaube, Thomas braucht sich um sein Gehalt, auch wenn er reiner Print-Mann wäre, keine Sorgen zu machen.
Anders ist das sicherlich bei Beratern, die krampfhaft versuchen, mit der nichtkommerziellen Seite des Web2.0 Geld zu verdienen.

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Irene 13. Oktober 2006 um 20:01

A propos Recherche und Metaphorik: Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie noch nie gesehen haben, wie neunjährige Mädchen in einer einfachen Reitschule die hoch mit Mist beladenen Schubkarren durch den Stall geschoben haben. So ein Reiterhof ist kein Wendy-Heft, liebe Medienblogger!

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