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Reflexe machen uns das Leben leichter. Manchmal retten sie sogar unser Leben. Doch wer nur noch seinen Reflexen gehorcht, stellt auch Dummes an. So wie Baden-Württembergs Landesvater Günther Oettinger. Im Laufe des Lebens gewöhnt sich jeder Mensch Dinge an, ohne darüber nachzudenken. Sehe ich zum Beispiel einen Bürger thailändischer Abstammung, denke ich sofort an „Essen“. Nein, nicht jenen Menschen, aber die wunderbaren Mahlzeiten aus seiner Heimat.
Höre ich dagegen „Arminia Bielefeld“ macht es in meinem Kopf sofort „BUUUUUUHHHH!!!!!!PFFUUUIIIIII!!!!!!“. Das ist halt antrainiert nach ein paar Jahren Anhängerschaft von Preußen Münster.

Trotzdem bedrohe ich den thailändischen Mitbürger nicht sofort, um ihn in die nächstgelegene Küche zu zerren. Und ich würde einem Anhänger von Arminia Bielefeld auch nicht so direkt ins Gesicht sagen, was ich von seinem Verein halte. Schon aus Gesundheitserhaltungstrieb. In solchen Momenten siegt der gesunde Menschenverstand über den Reflex.

Ich kann mir gut vorstellen, dass sich auch Politiker solche gelernten Reflexe (Obwohl: sind das Reflexe oder bezeichnet man das anders, zum Beispiel als Konditionierung?) zu eigen machen. Etwa, wenn es um das Verhalten von Journalisten geht. In Berlin und anderswo nämlich wird viel geschmust zwischen Chefredakteuren und hohen Politikern. Die Medien mögen die Nähe der Macht und die Mächtigen lieben die Nähe der Medien, so lange die nicht zu kritisch berichten.

Bei Günther Oettinger nun, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, scheint daraus ein gewisser Kuschelreflex entstanden zu sein, der über Menschenverstand gesiegt hat. Weggewischt alle gesellschaftliche Verantwortung, die ein Landesvater gegenüber den Strukturen einer Demokratie empfinden sollte, hinfort mit all dem Krempel von wegen „vierte Macht im Staate“.

Oettinger meint, dass doch bitte schön die Zeitungen seines Reiches mitmachen sollen im Ringen um Subventionen für den neuen Riesenbahnhof „Stuttgart21“. Und wenn die erstmal mitmachen, werden sie einen Teufel tun und kritisch hinterfragen, ob das Örtchen, das sich so gern Schwabenmetropole nennt (was ein bezeichnendes Licht auf die Schwaben wirft, wenn sie Stuttgart für eine Metropole halten), wirklich einen so großen Bahnhof braucht.

Aber solche Fragen stellt sich eben nicht, wer dabei ist, in Rekordgeschwindigkeit vom Ministerpräsidenten über den Landesvater zum Sonnenfürsten zu mutieren.

Nachtrag vom 15.9.: Sechs Chefredakteure und Redaktionsleiter sind anscheinend bereit, sich vor Oettingers Karren spannen zu lassen. Da bin ich ja mal gespannt auf die Namen…


Kommentare


stieglitz 11. September 2006 um 21:08

Lieber Herr Thomas Knüwer, auch wenn Sie zu den den ganz wenigen Journalisten gehöhren, die Lanu wenigstens einigermassen akzeptier, muss ich Ihnen jetzt zu diesem Beitrag, richtig widersprechen.
Ich bin weder Wähler noch Parteifreund von Oettinger, noch bin ich Stuttgarter, sondern Esslinger.
Aber aus Ihren Ausführungen lese ich eine gehörige Portion Ressentiments gegen Stuttgart heraus.
Ohne Nachzudenken, kommt bei Ihnen wie bei Bielefeld, wenn Sie Stuttgart hören: „BUUUUUUHHHH!!!!!!PFFUUUIIIIII!!!!!!“.
(hab ich kopiert 😉 raus.
Das Projekt Stuttgart 21 ist in meine Augen ein sehr wichtiges und auch sehr vernünftiges Vorhaben. Es wird auch von den führenden Zeitungen der Region bereits, breit unterstützt, ein weiter Intervention von Oettinger bedarf es dazu eigentlich gar nicht.

Sie sitzen in Frankfurt? Nach dem ICE Ausbau, knapp über eine Stunde Fahrzeit, haben wir Schwaben Sie eh schon eingemeindet 😉

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Flusskiesel 12. September 2006 um 18:01

Wozu braucht Stuttgart einen Bahnhof? Eine autofreundlichere (und fussgängerunfreundlichere) Stadt habe ich noch nie erlebt. Der große Stern über dem Hbf spricht Bände.

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